Die serienmäßigen Schraubenfedern aus Stahl an der Vorder- und Hinterachse machen ihre Sache eigentlich ganz gut. Verglichen mit anderen Basisfahrzeugen in diesem Segment, ist die V-Klasse – und damit auch der Mercedes-eigene Campingbus Marco Polo – alles andere als ein Raubein. Doch das ließ Jochen Elser, Projektleiter für die Einführung der Airmatic bei den Mid-Size-Vans, und sein Team nicht ruhen.
Dritte Evolutionsstufe des Fahrwerks
Sie sprechen dabei gar von der dritten Evolutionsstufe. Nach dem Stahlfederfahrwerk mit konventionellen Stoßdämpfern und der Variante mit frequenzselektiver Dämpfung auf der Zugseite, folgt nun das Vollluftfederfahrwerk mit frequenzselektiver Dämpfung auf der Zug- und Druckseite.

Klar, mit Luftfederungen kennt man sich bei der Marke aus, die für Luxuslimousinen steht. Doch für die V-Klasse mit ihrem höheren Gewicht und Schwerpunkt mussten die Komponenten neu zusammengestellt und ganz speziell abgestimmt werden. Neue Möglichkeiten schafft dabei die frequenzabhängige Steuerung der Dämpfungswirkung. Was konkret bedeutet, dass das Rad bei kurzen Stößen, etwa einem Schlagloch, frei ein- und ausfedern kann, während sich die Karosserie nach Bodenwellen durch die stärkere Dämpfung schnell wieder beruhigt. Bei der Feinabstimmung gelang es – nach eigener Aussage – zudem, auch hochfrequente Reifenschwingungen abzudämpfen und damit die Fahrgeräusche weiter zu senken.
Sport- und Comfort-Modus fürs Fahrgefühl
Und wie fährt er sich? Schon auf den ersten Metern ist das geschmeidige Gleiten spür- und hörbar. Wie gesagt, der Serien-Marco Polo fährt sich bereits komfortabel, aber der Airmatic-verfeinerte Bus legt tatsächlich noch eine merkliche Schippe obendrauf. Oder eher runter. Denn es ist das "weniger" –besser gesagt das "noch weniger" –, das überzeugt. Noch weniger Stöße, noch weniger Schwingen, noch weniger Rappeln als beim Serienfahrwerk. Es ist den Ingenieuren sehr gut gelungen, durch die aufwendige Dämpfungsregelung typische Luftfedernachteile wie stärkeres Nachschwingen nach Bodenwellen oder mehr Karosserieneigung in Kurven abzustellen.
Das gilt schon für das normale Fahrprogramm "Comfort". Darüber hinaus kann der Fahrer in den Sport-Modus wechseln. Über einen Kippschalter auf der Mittelkonsole lässt sich nicht nur die Schaltcharakteristik der Neungang-Wandlerautomatik und das Ansprechverhalten dess Gaspedals anschärfen, sondern auch die Fahrwerksabstimmung.

Im Sport-Modus senkt sich die Karosserie um zehn Millimeter ab und daraus folgt zudem auch eine straffere Feder- und Stabilisierungscharakteristik. Wer Spaß daran hat, ab und an kurvige Landstraßen entlangzuwedeln, verwandelt den Airmatic-Marco Polo mit dem Dynamic-Schalter zwar nicht in einen Sportwagen, aber doch in einen erstaunlich agilen und griffigen Bus.
Diese Niveauabsenkung stellt sich aber auch im Comfort-Programm von ganz alleine ein, und zwar sobald das Fahrzeug schneller als mit Tempo 110 unterwegs ist – dann mit dem Ziel, durch die verbesserte Aerodynamik Sprit zu sparen. Unter 75 km/h geht es automatisch wieder hoch auf Normalniveau. Und in die andere Richtung ist sogar noch mehr drin. Im Dynamic-Programm "Lift" hebt sich die Karosserie um 35 Millimeter nach oben – um etwa auf holprigen Wegen zum Traumstellplatz zu gelangen, ohne Schäden am Unterboden zu verursachen.
Dieser Fahrmodus ist auf eine Geschwindigkeit von maximal 30 km/h begrenzt, darüber senkt sich der Wagen automatisch auf Normalhöhe – hebt sich bei Langsamfahrt (unter 10 km/h) aber auch automatisch wieder an. In Kombination mit dem 4Matic-Allradantrieb ist die Hubhöhe allerdings aus technischen Gründen auf 27 Millimeter begrenzt.
Vorteile als Zugwagen und Campervan?
Falls eine Anhängerkupplung mitgeordert wurde und auch ein Hänger am Haken hängt und eingesteckt ist, wird die Luftfederung automatisch auf Normalniveau gehalten. Das stellt sicher, dass der Kugelkopf stets auf gleicher Höhe bleibt und sich die Stützlast dadurch nicht verändert, insbesondere auch bei Tandemachsanhängern.
An GespannfahrerInnen wurde also bei der Entwicklung gedacht – und wie sieht es mit Zusatzfunktionen für den Campingbetrieb aus? Beispielsweise eine automatische Nivellierfunktion im Stand, um auf einem schrägen Stellplatz trotzdem in der Waagerechten schlafen zu können?

Oder die Möglichkeit, den Wagen komplett abzusenken, um Federwippen weitestgehend auszuschließen, wenn man sich im Fahrzeug bewegt – und nebenbei die Einstiegshöhe auf ein Minimum zu beschränken? Bei diesen Punkten muss Projektleiter Elser zwar passen, nimmt die Anregungen aber mit, um eine spätere Umsetzbarkeit zu prüfen.
Der Aufpreis lohnt sich
Verfügbar ist die Airmatic für alle drei Varianten des Marco Polo: den einfachen Activity auf der Transporterbasis Vito sowie den Horizon und den Top-Marco Polo – ohne Namenszusatz, aber mit voller Campingausstattung –, die beide die noblere V-Klasse nutzen. Die Luftfederung kann sowohl mit dem serienmäßigen Hinterrad- als auch dem optionalen Allradantrieb kombiniert werden und mit allen Motorvarianten von 136 bis 237 PS.
Die Neungangautomatik ist bei sämtlichen Marco-Polo-Varianten inzwischen ohnehin serienmäßig an Bord, was gerade in Verbindung mit dem Airmatic-Fahrwerk besonders sinnvoll ist, denn nur zusammen mit den Fahrprogrammen kann das System seine ganzen Komfortvorteile ausspielen. Übrigens macht die Airmatic den Marco Polo nicht etwa schwerer, sondern soll sogar – laut Mercedes – ein paar Kilos im zweistelligen Bereich sparen.

Kommen wir zu den Kosten. Mercedes verlangt für die Airmatic einen Aufpreis, der zwischen 1697 und 2303 Euro liegt. Die Werte sind so unterschiedlich, weil beim günstigeren Marco Polo Activity auf Vito-Basis zusätzliche Komponenten hinzukommen, die bei den Marco-Polo-Varianten auf V-Klasse bereits Serie sind.
Mercedes Marco Polo Airmatic (2022)

Preis: ab 56.561 Euro
Basis: Mercedes Vito/V-Klasse, Heckantrieb, ab 100 kW/136 PS
Gesamtgewicht: 3100 kg
Länge/Breite/Höhe: 5140/1928/1980 mm
Baureihe: Den Marco Polo gibt es in drei Varianten, als Activity und Horizon mit Dreier-Schlafsitzbank und Aufstelldach. Der Top-Marco Polo hat dagegen eine Zweierbank und eine Möbelzeile daneben. Alle drei sind nun auch mit Airmatic-Vollluftfeder-Fahrwerk bestellbar.
Hintergrund zur Airmatic-Luftfederung
Luftfeder ist nicht gleich Luftfeder. Anders als bei einer Zusatzluftfeder ist bei einer Vollluftfeder kein weiteres Federelement neben dem Luftbalg vorhanden – außer meist einem Endpuffer, der bei hartem Durchschlagen zusätzlich Energie abbaut. Mit der Vollluftfeder lässt sich nicht nur eine sanftere Federungswirkung erreichen, sondern nebenbei auch ein größerer Hubweg für die Niveauregulierung.
Häufig sind Luftfederungen aber nur an der Hinterachse eingebaut, weil die Umsetzung vorn aufgrund der durch die Lenkung komplizierteren Achskonstruktion schwieriger ist. Die Mercedes Airmatic ist eine Vollluftfederung für beide Achsen. Dabei kommen sogenannte Rollbälge mit relativ dünner Gummiwand zum Einsatz, die ein besonders feinfühliges Federansprechen ermöglichen.
Zum Schutz sind die Bälge außerdem mit einem Faltenbalg umhüllt. Speziell sind aber auch die Stoßdämpfer, die mit zusätzlichen, frequenzselektiven Ventilen in der Zug- und Druckstufe ausgestattet sind und so situationsabhängig dämpfen.
Fazit
Ob der Aufpreis nun viel oder wenig ist für etwas mehr Fahrkomfort, darüber kann man streiten. Schließlich federt der Marco Polo schon mit Stahlfedern gut. Angesichts des technischen Aufwands, der betrieben wird, und der feinen Abstimmung sowie der Zusatzfunktionen wird für den Preis einiges geboten – zumindest für die Marco-Polo-Topversionen eine sehr reizvolle Option.