Die Übelkeit flaut allmählich ab. Der Magen bleibt von 60 Vollbremsungen nicht unbeeindruckt. Die Reifen haben ebenfalls gelitten; zwei Sätze sind mehr oder weniger Schrott. Dafür sind wir am Ende dieses langen Testtages um etliche Messwerte und viele Erkenntnisse reicher.
Warum der Aufwand? Nach ersten, maximal mittelmäßigen Bremstests haben wir uns den Mercedes Sprinter und insbesondere die neue B-Klasse MC I noch einmal angesehen. Hymer hatte uns gebeten, diese Werte im Rahmen eines Workshops gemeinsam aufzuarbeiten. Wir stimmten zu, schließlich hatten wir relevante Vorwürfe gegen die Sicherheit des Wagens erhoben.
Ein Fazit gleich vorweg
Anders als bei unseren ersten Tests mit Vorserienmodellen bremst der Hymer B MC bei unseren aktuellen Messungen ziemlich ordentlich. Grundsätzlich ist die Bremsleistung aber immer abhängig von inneren und äußeren Bedingungen, und deren Einfluss wollen wir genauer unter die Lupe nehmen. Welchen Effekt haben Masse und Balance auf die Bremsleistung? Und wie wirken sich verschiedene Reifen aus?

Zwei Testwagen drehen wir bis an die Grenze der Belastbarkeit durch die Mangel: zum einen die B-Klasse mit Frontantrieb, zum anderen den Sprinter-Kastenwagen Grand Canyon S mit Hinterradantrieb, der konzeptionell und technisch dem – in Bezug auf die Bremsen nie auffällig gewordenen – Vorgängermodell entspricht.
Zu den Faktoren, die jeder Reisemobilist abgesehen vom Eigengewicht des Fahrzeugs unmittelbar und immer mitbestimmt, zählen Camping-Gepäck und -Ausrüstung. Hinzu kommen technisch bedingte Massen, etwa das Wasser an Bord. Ob der Frischwassertank voll oder nur zum kleinsten Teil gefüllt ist, kann bei einem mittelklasseüblichen Reisemobil gut und gerne 100 Kilogramm Unterschied ausmachen. Bei der neuen B-Klasse mit ihrem extragroßen Frischwassertank liegen zwischen voll und leer sogar 180 Kilogramm. Auf der Waage ein Riesenunterschied.
Testversuche
Der B MC I 580 geht mit 3325 Kilo Gewicht auf die Bahn, nur besetzt mit Fahrer und Beifahrer, ansonsten ohne Zusatzballast, sprich Reiseausstattung. Die Reifen sind angefahren, aber in gutem Zustand. Hochbeschleunigen bis knapp über 100 km/h. Dann voll in die Eisen. Zehnmal maximale Verzögerungen. Zur Sicherheit laufen zwei Messgeräte mit: Die Verzögerung von durchschnittlich –9,21 m/s2 – etwas weniger als die Erdbeschleunigung (9,81 m/s2 = 1 G) – summiert sich auf knapp 42 Meter Bremsweg. Ein ziemlich guter Wert – sogar besser als der Durchschnitt der Modelle, die wir jeden Monat im Supercheck testen.

Wir nähern uns ein wenig mehr der Realität und laden Gepäck zu. 350 Kilo Ballast wandern in die Heckgarage, da wo man üblicherweise auch die schwergewichtigste Fracht verstaut, und verschieben die Balance wesentlich nach hinten. Und noch mal von vorn. Nach zehn Versuchen die Überraschung: Nur einen knappen Meter später kommt der Hymer zum Stehen, obwohl die Bremsen mit zunehmendem Gewicht doch deutlich mehr Energie abbauen müssen.
Die Erklärung heißt Grip. Die Verbindung zwischen Reifen und Fahrbahn nennt man kraftschlüssig, und die Kraft dieser Verbindung hängt unmittelbar von der Reibung ab. In dem Maß, in dem die Massenträgheit (mehr Ballast) zunimmt, wird auch die Haftung größer. Einfach gesagt: Die Anpresswirkung durch die hecklastige Beladung erhöht den Reibwert der Hinterräder, die dadurch stärker verzögern.
Dasselbe Phänomen beobachten wir beim Hecktriebler. Hecklastig auf 3505 Kilo ausgeladen, steht der Grand Canyon S nach 45,19 Metern. Mit 3125 Kilo Wettkampfgewicht beträgt der Bremsweg 45,55 Meter. Wobei wir fairerweise sagen müssen, dass die Differenz im Bereich der Messtoleranz liegt; laborartig identische Bedingungen sind auf der Teststrecke nicht zu realisieren.
Einfluss durch Reifen

Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf die Reifen, denn der Campingbus kommt ja etwas später zum Stillstand als der Integrierte. Auch dafür gibt es eine Erklärung: Der Grand Canyon S hat Reifen mit reinrassigem Winterprofil aufgezogen, die sich wegen der weicheren Profilblöcke mit den vielen Lamellen auf trockener Bahn schlechter mit dem Asphalt verzahnen als Ganzjahres- oder Sommerreifen. Winterpneus ganzjährig zu fahren, ist angesichts dessen nicht empfehlenswert. Ein Rechenbeispiel mit unseren Messwerten verdeutlicht das Risiko: Während der leere Integrierte bereits steht, ist der Bus immer noch rund 28 km/h schnell. Und knallt mit dieser Geschwindigkeit im schlechtesten Fall auf ein Hindernis.
Auch fabrikneue Reifen verlängern den Bremsweg, denn ihnen haftet noch das Trennmittel an, das bei der Produktion dafür sorgt, dass sich der Reifen leichter aus der Form löst. Die Werte der Versuchsreihe mit neuer Serienbereifung bestätigen die These ein Stück weit. Zusätzlich kommt hier jedoch hinzu, dass die Fahrbahn beim letzten Fahrversuch leicht feucht ist. Beide Effekte, neue Reifen und feuchte Fahrbahn, verlängern in unserem Test den Bremsweg im Schnitt um fast sechs Meter. Tipp: Fahren Sie nach dem Neukauf die Reifen rund 200 Kilometer vorsichtig an; so machen wir das auch bei unseren Reifentests.
Zurück zur Gewichtsbalance: Wie wirkt sich die Lastverschiebung auf den Bremsweg aus? Wir positionieren die Sandsäcke diesmal möglichst weit vorn hinter den Vordersitzen der B-Klasse. Besetzt mit Fahrer und Beifahrer, ist der Wagen nun viel frontlastiger. Und sein Bremsweg verlängert sich spürbar. Im Schnitt von zehn Vollbremsungen um gut zwei Meter. Warum? Durch die Lastverschiebung in Richtung Bug nickt der Wagen beim Bremsen vorne tiefer ein; die Hinterräder werden stärker entlastet, und weil ihre Haftreibung dadurch ebenfalls geringer wird, können sie weniger Bremskraft übertragen.
Erst einmal sind diese Erkenntnisse beruhigend; denn die größten Stauräume finden sich bei Reisemobilen üblicherweise hinten. Als Empfehlung, prinzipiell alles Gepäck möglichst in der Garage zu platzieren, sollte man das jedoch nicht verstehen. Eine zu hecklastige Balance kann sich sehr wohl auch negativ auf Fahrverhalten und -sicherheit auswirken. Sollte nämlich die Hebelwirkung die Vorderräder zu stark entlasten, verlieren diese an Seitenführungskraft. In Kurven oder beim schnellen Ausweichen kann zu viel Gewicht im Heck das Auto zudem enorm destabilisieren. Im schlimmsten Fall bricht das Heck aus, der Wagen übersteuert und wird unkontrollierbar. Ideal ist eine möglichst ausgewogene, moderat hecklastige Gewichtsverteilung, die auch abhängig vom jeweiligen Modell ist, besonders von Hecküberhang und Radstand. Am besten lässt man das reisefertig beladene Mobil einmal wiegen. Das schafft Klarheit.
Bremsen: Tipps und Pflege
Moderne Reisemobile haben an allen vier Rädern Scheibenbremsen. Diese sind selbstjustierend und einfach in der Wartung. Bremsbeläge können bei durchschnittlicher Kilometerleistung gut und gerne drei bis vier Jahre halten. Scheiben müssen noch seltener getauscht werden. Sie setzen zwar schnell Flugrost an, doch der ist meist schon nach wenigen Bremsungen wieder abgeschliffen. Passiert das nicht regelmäßig, wie bei längeren Standzeiten z. B. über den Winter, kann Rost jedoch auch bleibende Schäden hinterlassen.
Nachlassende Bremsleistung kann mehrere Ursachen haben. Ein Grund ist Überhitzung, die etwa bei Passabfahrten auftreten kann. Trotz starkem Pedaldruck verzögert das Mobil schlecht. Nach längerer Abkühlphase funktioniert die Bremse in der Regel wieder normal. Sollte sich das Pedal ohne merkliche Bremswirkung ganz durchdrücken lassen, kann auch ein zu niedriger Bremsflüssigkeitsstand Ursache sein. Ein weiches Pedal deutet hingegen auf Luft, Wasser oder eine andere Verunreinigung der Bremsflüssigkeit hin. In dem Fall hilft das Entlüften der Bremse bzw. der Tausch der Bremsflüssigkeit.
Bremsweg und Verzögerung im Vergleich
Verglichen wurden die Bremswege und Verzögerungen der Hymer B-Klasse MC I 580 und des Hymer-Car Grand Canyon S. Dabei wurde das Testgewicht, die Antriebsart, die Beladung, das Gewicht auf beiden Achsen sowie die Verteilung des Gewichts, die Bereifung und der Fahrbahnzustand berücksichtigt.
Hymer B-Klassse MC I 580
Antrieb: Vorderradantrieb
Bereifung: 225/75 R 16 C Conti Van-Contact Camper
1. Testgewicht: 3325 kg ohne Beladung
Gewicht Vorder-/Hinterachse: 1800/1525 kg
Reifen angefahren, Fahrbahn trocken
Bremsweg: 100-0 km/h: 41,95 m
Verzögerung: -9,21 m/s²
2. Testgewicht: 3675 kg mit ca. 350 kg Ballast in Heckgarage
Gewicht Vorder-/Hinterachse: 1680/1995 kg
Reifen angefahren, Fahrbahn trocken
Bremsweg: 42,57 m
Verzögerung: -9,06 m/s²
3. Testgewicht: 3675 kg mit ca. 350 kg Ballast im Bug
Gewicht Vorder-/Hinterachse: 2020/1655 kg
Reifen angefahren, Fahrbahn trocken
Bremsweg: 44,62 m
Verzögerung: -8,65 m/s²
4. Testgewicht: 3325 kg ohne Beladung
Gewicht Vorder-/Hinterachse: 1800/1525 kg
Reifen neu, Fahrbahn leicht feucht
Bremsweg: 47,98
Verzögerung: -8,04 m/s²
Hymer-Car Grand Canyon S
Antrieb: Hinterrradantrieb
Bereifung: 235/65 R 16 C Conti Van-Contact Winter
1. Testgewicht: 3125 kg ohne Beladung
Gewicht Vorder-/Hinterachse: 1549/1576 kg
Reifen angefahren, Fahrbahn trocken
Bremsweg: 100-0 km/h: 45,55 m
Verzögerung: -8,44 m/s²
2. Testgewicht: 3505 kg mit ca. 350 kg Ballast im Heck
Gewicht Vorder-/Hinterachse: 1695/1810 kg
Reifen angefahren, Fahrbahn trocken
Bremsweg: 45,19 m
Verzögerung: -8,54 m/s²