Technik-Wissen: Turbodiesel-Motor von Wohnmobilen
Reisemobil-Motoren sind sauberer als ihr Ruf

Trotz Dieselgate und Fahrverboten: Für Reisemobile gibt es bis heute kaum geeignete Alternativen zum Turbodiesel-Motor. Doch wie funktioniert das Herz der Fahrzeuge?

Technik-Wissen Turbodiesel
Foto: Fiat

Er ist in die Jahre gekommen, der Selbstzünder. 1897 brachte Rudolf Diesel seinen ersten Motor zum Laufen – mit einem Zylinder, 19,6 Litern Hubraum und stattlichen vier Tonnen Gewicht. 26 Prozent Wirkungsgrad lieferte der Stahlkoloss, der Rest der eingesetzten Energie verpuffte als Wärme. Viel Raum für Verbesserungen also, den die Ingenieure in den vergangenen 123 Jahren ausgiebig genutzt haben.

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Daimler AG
Erster Pkw-Diesel im Mercedes 260 D von 1936: vier Zylinder, 2,6 Liter, 45 PS.

Während der Diesel als Arbeitstier schnell Verbreitung fand, galt er fürs Auto lange als zu laut und zu lahm. Erst 1936 steckte er in einem Pkw, dem Mercedes Benz 260 D. Trotz gestiegenen Wirkungsgrads und im Vergleich zum Benziner rund 30 Prozent niedrigeren Verbrauchs sollte er sich die Achtung der Autofahrer auf breiter Front erst ein halbes Jahrhundert später erwerben: mit Turbolader – erstmals 1977 im Mercedes 300 SD – und mit Direkteinspritzung – erstmals 1987 im Fiat Croma. Damit hatte Diesels Vermächtnis seine Fesseln gesprengt, der Siegeszug seines Motors war nicht mehr aufzuhalten.

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Anfang der 80er sorgte Fiats 2,5-Liter-Saugdiesel mit 95 PS für Furore, der dem Ducato als erstem Vertreter der schnellen Lieferwagen mächtig Beine machte. 1994 schließlich hielt der Turbolader Einzug unter seiner Haube. Zunächst trappelten 115 Pferde in den Datenblättern, spätere Ausbaustufen mit 2,8 Liter Hubraum und bis zu 128 PS bewiesen dann, wozu aufgeladene Dieselmotoren in der Lage sind.

Funktionsweise eines Turbodiesel-Motors

Im Turbodiesel-Motor wird die angesaugte Luft durch vom Abgasstrom angetriebene Schaufelräder vorverdichtet. So kann mehr Kraftstoff eingespritzt werden, Zylinderfüllung, Energiedichteund Leistungsausbeute steigen. Den der Leistung abträglichen Temperaturanstieg beim Verdichten der Luft gleicht ein Ladeluftkühler vorm Eintritt in den Zylinder wieder aus. Bei gleichem Hubraum sind Turbodiesel stärker, sparsamer und verblüffen auch bei niedrigen Drehzahlen mit sattem Drehmomentschub. Ihre übliche Auslegungmit kurzem Hub und großer Bohrung erlaubt spritzige Drehfreude und zudem eine relativ kompakte Bauweise.

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Westfalia
1995 trat mit dem Westfalia James Cook der erste Campingbus auf Sprinter-Basis das späte Erbe an.

Auch bei der Einspritztechnik kam Rudolf Diesels eiserner Sprössling voran. Aus dem Vorkammerprinzip wurde die Direkteinspritzung – zunächst per Pumpe-Düse-Technik. Dabei wurde jeder Zylinder von einer eigenen, nockenwellengetriebenen Hochdruckpumpe versorgt. Doch das dezentrale System war aufwendig und teuer. Mittlerweile hat sich die günstigere und flexiblere Common-Rail-Einspritzung durchgesetzt. Eine zentrale Pumpe hält den Kraftstoff in einem gemeinsamen Leitungssystem für alle Zylinder ständig unter Druck. So können Einspritzmenge und -dauer unabhängig von der Kurbelwellenstellung über ein programmiertes Kennfeld gesteuert werden – bis zu acht Einspritzdosen sind pro Arbeitstakt möglich. Das garantiert eine hochexakte Verbrennungsteuerung und somit das bisherige Optimum in Sachen Leistungsausbeute, Laufruhe, Verbrauch und Abgase.

Ein perfekter Motor, sollte man meinen, doch sein Pferdefuß sind die gesundheitsschädlichen Stickoxide, die er in hohem Maß ausstößt. Dem rücken die Hersteller mit einem SCR-Katalysator (Selective Catalytic Reduction) im Abgasstrang unter Zugabe von Harnstoff zu Leibe. In Wasser gelöst, spritzt man ihn als Ad-Blue in den Abgasstrom, wo er im Katalysator chemisch zersetzt wird. Das entstehende Ammoniak wandelt die Stickoxide in harmlosen Stickstoff und Wasserdampf um.

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Dethleffs
Mit Powerdiesel und Frontantrieb brachte der Ducato frischen Schwung in die Wohnmobilbranche. Als einer der ersten Hersteller nutzte Dethleffs den Fiat 1983.

So ist der Dieselmotor inzwischen viel sauberer als sein Ruf und obendrein stärker und effizienter denn je. Die neueste Fiat-Turbodiesel-Generation liefert bei nur 2,3 Liter Hubraum bis zu 177 PS und 400, mit Automatikgetriebe sogar 450 Nm Drehmoment – auch dank Turboladern mit variabler Schaufelgeometrie. Von solchen Leistungsdaten hätte ein gewisser Rudolf Diesel kaum zu träumen gewagt.

Fazit

Im September 2019 trat die Euro-6d-Temp-Abgasnorm in Kraft. Fahrzeuge, die dieser Norm nicht entsprechen, dürfen seitdem nicht mehr neu zugelassen werden. Noch gibt es als Tageszulassungen Wohnmobile mit 6b- oder 6c-Dieseln auf dem Markt, die mit spürbaren Abschlägen verkauft werden. Hier lässt sich sicher das ein oder andere Schnäppchen machen.

Die Angst vor Fahrverboten ist zunächst auch unbegründet, denn bisher wird nicht nach den jeweiligen Unterkategorien der Euro-6-Norm differenziert. Doch Achtung: Im realen Einsatz – und auf den kommt es künftig an – liegen die Werte der neuen Motoren bei den Stickoxidemissionen nach Messungen des ADAC rund 75 Prozent niedriger als bei 6b. Sollen die Messwerte in den Innenstädten künftig weiter gedrückt werden, sind zusätzliche Einschränkungen also nicht auszuschließen. Wer auf Nummer sicher gehen will, kauft Euro 6d-Temp.

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