Hymer gehört nicht mehr nur nach Bad Waldsee. Seit 2019 steckt ein riesiger US-Konzern hinter der Marke. Was hat das mit XXL-Wohnmobilen und Elektroantrieben zu tun? Eine ganze Menge.
Wer ist Thor Industries?
Thor Industries ist kein nordischer Donnergott. Sondern der größte Wohnmobil-Hersteller der Welt. Der Name geht zurück auf die Nachnamen der beiden Gründer: Wade F.B. Thompson und Peter Busch Orthwein.
Gegründet haben die beiden das Unternehmen 1980 in den USA. Heute ist der Firmensitz in Elkhart, Indiana. Die 50.000-Menschen-Stadt bezeichnet sich als "RV Capital of the World", RV steht dabei für "recreational vehicle", deutsch für "Freizeitfahrzeug". Ca. 80 Prozent aller Freizeitfahrzeuge aus den USA werden hier produziert.
Thor vereint viele bekannte Marken unter seinem Dach. Zum Beispiel Airstream, Entegra, Jayco, Heartland oder Keystone. Insgesamt besteht Thor aus über 20 Marken.
Wer hat Hymer übernommen?
2019 hat Thor Industries die deutsche Erwin Hymer Group (EHG) übernommen. Kaufpreis: rund 2,1 Milliarden Euro. Es war die größte Übernahme in der Firmengeschichte von Thor. Und die erste außerhalb Nordamerikas.
Thor wollte damit Fuß fassen in Europa. Und Hymer bot den perfekten Deal. Denn die Erwin Hymer Group war schon damals Europas Marktführer für Freizeitfahrzeuge.
Wo ist der Hauptsitz von Hymer?
Trotz Übernahme bleibt Hymer tief in seiner schwäbischen Heimat verwurzelt. Der Hauptsitz liegt weiterhin in Bad Waldsee, Baden-Württemberg. Dort wurde das Unternehmen gegründet. Und dort stehen auch große Teile der Produktion. 2023 hat die EHG bekannt gegeben, ihre Produktions- und Logistikflächen dort sogar zu erweitern.
Die Marken der Erwin-Hymer-Group produzieren an vielen weiteren Standorten. Sie betreiben ein weitverzweigtes Produktionsnetz in mehreren deutschen Bundesländern und Ländern Europas. Diese Diversität der Werke erlaubt der EHG, verschiedene Marken und Fahrzeugtypen gleichzeitig zu produzieren – von Premium‑Wohnmobilen bis zu preiswerteren Caravans und Campervans.
- Hymer/Eriba: Bad Waldsee. Hier befinden sich der Hauptsitz der EHG und das Hauptwerk, inklusive eigener Chassisfertigung und großer Produktionshallen.
- Bürstner: Kehl am Rhein. An drei Produktionsbändern werden Wohnwagen und Wohnmobile gefertigt.
- Dethleffs: Isny im Allgäu. Hier werden alle Formen von Freizeitfahrzeugen ausgebaut. Außerdem steht hier das Kompetenzzentrum "Campervans" des Konzerns, das auch für Marken wie Pössl und Crosscamp Fahrzeuge produziert.
- Carado/Sunlight/Etrusco: Der Hauptsitz befindet sich in Leutkirch im Allgäu. Produziert werden die Fahrzeuge von Carado/Sunlight bei der Capron GmbH in Neustadt bei Dresden. Die Fahrzeuge von Etrusco werden im italienischen San Casciano in der Toskana gebaut.
- LMC: Die Marke produziert Freizeitfahrzeuge in Sassenberg/NRW.
- Weitere Werke: Polch (Rheinland-Pfalz), Walldürn (Baden‑Württemberg) sowie Niederlassungen im Ausland (z. B. Italien, Frankreich, UK).
Klar, dass innerhalb der Gruppe Synergien entstehen und gemeinsame Entwicklungen. Die daraus resultierende Plattform-Strategie, sprich: dieselbe technische Basis für zwei ähnliche Fahrzeuge unterschiedlicher Marken, nutzen allerdings auch andere Caravaning-Hersteller.
Hymer baut also weiter in Deutschland und Europa. Mit amerikanischem Rückhalt und Kapital im Hintergrund. In Zahlen sieht das so aus: 3 Milliarden Euro Umsatz wurden im vergangenen Geschäftsjahr gemacht, 44.445 Fahrzeuge wurden gebaut und 7.700 Beschäftigte zählt die EHG. Laut European Caravaning Foundation hat die EHG aktuell einen Marktanteil in Europa von 24,1 Prozent.
Was bedeutet der US-Invest für Hymer?
Mehr Geld, mehr Technik – und mehr Tempo bei Innovationen. Thor bringt viel Produktions-Know-how mit. Und vor allem: den Willen, Neues zu wagen. Elektro- und Hybrid-Wohnmobile sind dabei ein großes Thema. In den USA hat Thor bereits mit dem Thor Embark ein XXL-Wohnmobil mit Elektroantrieb vorgestellt. Auch in Europa gibt es erste Hybrid-Prototypen – mit Technik, die Hymer-Kunden bald interessieren dürfte. Mit dem e-Trailer System von ZF sicherte sich Thor exklusive Rechte an einer E-Lösung für Caravans und und Zugwagen.
Außerdem kündigte Hymer 2020 an, Fahrzeug-Chassis künftig selbst zu bauen. Im Jahr 2021 übernahm Thor einen US-amerikanischen Zubehör-Konzern, um von Zulieferern weniger abhängig zu sein. Will und kann Thor als Konzern alle Einzelschritte der Freizeitfahrzeug-Herstellung übernehmen?
Eine der ersten Fahrzeug-Entwicklungen bei der Marke Hymer wenige Monate nach der Übernahme war die Studie Vision Venture. Daraus entstand das Serienmodell Hymer Venture S.
Die jüngsten Marken-Neuentwicklungen der EHG sind Crosscamp, eine junge Campervan-Marke, die 2019 gegründet wurde, und Corigon – ebenfalls eine junge Marke, die allerdings mit Teilintegrierten und Kastenwagen neue Zielgruppen erreichen soll.












