40 Jahre Caravaning-Industrie
Reisemobil-Markengeschichte

40 Jahre promobil

Fast unbemerkt hat sich die Reisemobilwelt gewandelt. Waren einst inhabergeführte Mittelständler das Rückgrat der Branche, sind es heute Konzerne, die sich den Großteil der Marken einverleibt haben.

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In diesem Artikel:
  • Die Anfänge: 1980er
  • Ausbau der Produktion: 1990er
  • Wachsende Branche: 2000er
  • Zeit der Fusionierungen: 2010er
  • Blick auf die Gegenwart

Vor 40 Jahren war die Welt noch einfach. Eine Reisemobilmarke stand üblicherweise für einen Hersteller, einen Produktionsstandort und oft ebenso für einen persönlichen Inhaber, der dem Kind seinen Namen gab.

Zwar sprach man damals noch nicht von Start-ups, aber auf ähnliche Weise waren sie praktisch alle entstanden: Viele der heute bekannten Reisemobilmarken bauten bereits in den 1960er Jahren erste Caravans in der Garage, profitierten dann vom frühen Wohnwagen-Boom und bauten schnell eine Serienproduktion auf.

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Die Anfänge: 1980er

Reisemobil Industrie Hobby i
Hersteller
Harald Striewski (rechts), Inhaber einer der großen Gruppen, packte beim Bau des ersten Hobby 600 noch selber an.

In den 1980er Jahren blickt die junge Caravaning-Branche hoffnungsvoll auf das noch zarte Pflänzchen Reisemobil. Als praktikable Basis erweist sich bald der 1982 erschienene Ducato von Fiat. Mit promobil kommt 1983 das passende Magazin zum Thema. Die Zeit scheint nun reif für motorisierte Freizeitfahrzeuge und eine neue, in einigen Belangen anspruchsvollere Zielgruppe. Bei Bürstner entstehen in diesen Jahren erste Teilintegrierte, Dethleffs startet den Dauerbrenner Globetrotter, Hobby präsentiert den extravaganten Hobby 600, Knaus den aufsehenerregenden Traveller und Hymer die elegante B-Klasse.

Parallel dazu lockt das wachsende Publikumsinteresse wiederum Newcomer unter den Herstellern an. Sie nehmen sich das Branchen-Urgestein Westfalia zum Vorbild und bauen Kastenwagen aus. So feiert Carthago mit dem Malibu auf Basis des VW T3 überraschende Erfolge. Das Prinzip jedoch bleibt: Hersteller, Marke und Standort bilden meist eine feste Einheit.

Doch bereits Anfang der 1980er legt jemand in Frankreich den Grundstein zu einer der großen europäischen Gruppen. François Feuillet übernimmt das Ruder beim Zubehörspezialisten Trigano, der auch in die Reisemobil- und Caravan-Fertigung eingestiegen ist. Feuillet ist kein Erfinder, sondern Banker und erkennt die Möglichkeiten. Der hauseigenen Marke Chausson stellt er 1985 kurzerhand die neugegründete Parallelmarke Challenger zur Seite und erweitert so ohne Entwicklungsaufwand die Vertriebsmöglichkeiten. Ein unkompliziertes Rezept, dem später noch einige Unternehmen folgen werden, während Trigano von nun an auf Zukäufe setzt.

Reisemobil Industrie Triango i
Hersteller
Im südfranzösischen Tournon-sur-Rhône liegt das Stammwerk von Trigano. Die Zentrale befindet sich in einem unscheinbaren Bürohaus in Paris.

Mehr über die Wohnmobile der 1980er-Jahre finden Sie hier.

Ausbau der Produktion: 1990er

In puncto Markenzukauf hat jedoch zunächst der oberschwäbische Caravan-Pionier Erwin Hymer die Nase vorn. Er baut 1991 seine Marktposition durch die Übernahme von Dethleffs, LMC und TEC aus. Organisatorisch bleiben die Marken aber erstaunlicherweise getrennt.

Reisemobil Industrie Hymer i
Hersteller
Die Fäden der Erwin-Hymer-Gruppe laufen in Bad Waldsee zusammen.

Während Erwin Hymer die nach ihm benannte Marke bereits 1990 an die Börse gebracht hat, bleiben die drei Neuzugänge ein Teil seines Privatvermögens. So herrscht unter den Hymer-Marken viele Jahre lang mehr Konkurrenz- als Konzerndenken.

Die erste größere Übernahme über europäische Grenzen hinweg gelingt 1990 der französischen Marke Pilote mit dem Zukauf von Frankia, doch bleiben auch hier die Synergien überschaubar. Über die Landesgrenzen blickt man ebenfalls bei Knaus und eröffnet 1992 ein Werk in Ungarn – damals ein ungewöhnliches Unterfangen in der regional verwurzelten Branche. Gleichzeitig kommt es andernorts zu einer Übernahme, die für Knaus später noch bedeutsam werden wird: Die Wohnmobilsparte der Karosseriewerke Weinsberg wird von der Tabbert Industrie AG, TIAG genannt, übernommen. Zuvor hatte sich die TIAG bereits die Marken FFB und Wilk gesichert, die jedoch in der Reisemobilwelt schnell wieder untergehen.

Da ist es schon eine ganz andere Nummer, als Erwin Hymer 1996 die zunehmend konkurrierende Nobelmarke Niesmann + Bischoff hinzukauft und sich als weitere Überraschungen im Zwei-Jahres-Rhythmus auch Bürstner und die italienische Marke Laika zulegt. Trigano – inzwischen ebenfalls eine Aktiengesellschaft – bleibt nicht untätig. Die Franzosen kaufen 1998 mit Autostar zunächst im eigenen Land ein und wenden sich dann Italien zu, wo 1999 CI und Roller Team zu haben sind.

Reisemobil Industrie Knaus
Hersteller
Jandelsbrunn in Niederbayern ist die Heimat der Knaus-Tabbert-Gruppe. In Hessen und Ungarn liegen weitere große Produktionsstätten.

Knaus und TIAG nähern sich währenddessen einander an, beschließen 1996 zunächst eine Allianz und fusionieren fünf Jahre später, wodurch schließlich Knaus Tabbert als neuer Konzern das Licht der Welt erblickt.

Und eine weitere Gruppe formiert sich in diesen Jahren: Hobby, insbesondere durch die Caravan-Produktion europaweit eine echte Größe, übernimmt 1998 die Freizeitsparte vom Traktorenhersteller Fendt. Dort hatte man sich in den Jahren zuvor auch mit Reisemobilen einen Namen gemacht, doch weil die Fahrzeuge nicht im eigenen Haus, sondern im Lohnauftrag gebaut werden, ist mit motorisierten Mobilen erst einmal Schluss.

Zunächst fern der wachsenden Gruppen beginnt eine andere Erfolgsgeschichte, welche die Reisemobilwelt verändern wird. Der Österreicher Peter Pössl landet 1995 einen echten Coup, als er einen ausgebauten Peugeot Boxer günstiger als das nackte Basisfahrzeug anbietet. Wie der Fiat Ducato hat auch der Peugeot 1994 einen tiefgreifenden Modellwechsel erlebt, der ihn fit für die nächsten zwölf Jahre macht. Gebaut wird der Pössl in Slowenien bei Adria. Damit entsteht eine neue Klasse, die heute schlicht Kastenwagen genannt wird.

Reisemobil Industrie Poessl i
Hersteller
Nach Jahren der Auftragsfertigung hat Pössl heute eigene Werke.

Kompakte Campingbusse in größeren Stückzahlen sind traditionell eine Spezialität von Westfalia. Das haben auch die Automobilhersteller erkannt und scharen sich um die Marke. Seit 1985 kooperiert Ford beim Bau des Nugget mit den Westfalen. 1988 entsteht hier in Zusammenarbeit mit VW der erste California, der ab 1991 auf dem modernen T4 basiert. 1996 stößt auch Mercedes hinzu und lässt den Marco Polo in Rheda-Wiedenbrück bauen.

So bilden die Autokonzerne zwar keine Caravaning-Gruppe, werden aber zusammen mit Westfalia zur wichtigen Größe im Markt. Einen anderen Weg wählt Carthago. Im oberschwäbischen Aulendorf wendet man sich ab 1991 mehr und mehr von Ausbauten ab – und setzt auf immer größere und noblere Aufbauten auf Fahrgestelle.

Mehr über die Wohnmobile der 1990er-Jahre finden Sie hier.

Wachsende Branche: 2000er

Leichte Verschiebungen im Markt der aufgebauten Reisemobile bringt ein Wandel im Publikumsgeschmack mit sich. Während die deutschen Marken unverändert den Schwerpunkt auf Alkovenmobile legen, haben Franzosen längst die Teilintegrierten für sich entdeckt. Als diese Bauform gegen Ende der 1990er-Jahre in ganz Europa ihren Siegeszug antritt, fällt es den linksrheinischen Nachbarn leichter, ihre Position auf dem Markt auszubauen. In der Folge vergrößern auch sie ihre Markenvielfalt.

Pilote wird endgültig zu einer Gruppe, als man 1997 Bavaria gründet sowie 2000 Le Voyageur und ein Jahr später die deutsche Nobelmarke RMB übernimmt. Bei Rapido begnügte man sich 1993 zunächst mit Esterel, nutzt jedoch die Möglichkeit, 2005 auch Fleurette zu erwerben, und gründet 2006 Itineo. Trigano geht in ganz Europa auf Einkaufstour. 2001 stößt Arca aus Italien hinzu, 2002 Benimar aus Spanien und 2004 der bei uns unbekannte französische Campingbusspezialist Font Vendôme, der später noch für viele andere Trigano-Marken produzieren wird. Zum Beispiel für Karmann: Der bekannte Karosseriebauer übergibt seine Reisemobilsparte im Jahr 2000 zunächst an Eura Mobil. 2005 geht dieses Paket dann komplett an Trigano. Damit hat der Konzern ein Standbein in allen wichtigen Märkten.

Reisemobil Industrie Pšssl i
Hersteller
Aus Pössl ist mit den Marken Globecar, Roadcar, Clever und Campster eine Gruppe geworden. Ihrem Thema „Günstige Campingbusse“ ist sie immer treu geblieben.

Weniger auffällig – abgesehen von stark wachsenden Verkaufszahlen – vollzieht sich der Aufstieg von Pössl. 2002 übernimmt die Glück-Händlergruppe den inhabergeführten Betrieb, lässt ab 2004 bei Dethleffs ausbauen und vergrößert durch Gründung der Zweitmarke Globecar seinen Fußabdruck in der Branche. Als weitere Ergänzung im besonders preissensiblen Bereich kommen 2012 ebenso Clever Vans und drei Jahre später Roadcar dazu. Aus der Marke ist eine Gruppe geworden, inzwischen mit eigener Fertigung – alles unter dem Motto "Pössl - Mission Campingbus".

Reisemobil Industrie Cardo i
promobil-Archiv
Erwin Hymer (2. v. r.) ist dabei, als das Werk für Carado und Sunlight eröffnet.

Wenn es um günstige Preise für Reisemobile mit Aufbau geht, sind die italienischen Marken schon seit den 1990er-Jahren tonangebend. Die erste überzeugende Antwort aus Deutschland kommt von Dethleffs, wo man 2004 die Günstigmarke Sunlight ins Leben ruft.

Mehr über die Wohnmobile der Nuller-Jahre finden Sie hier.

Zeit der Fusionierungen: 2010er

In der Konzernzentrale von Hymer erkennt man das Potenzial, stellt ihr mit Carado eine Zweitmarke an die Seite und gründet 2006 für beide das Capron-Werk in Sachsen. Im Gleichschritt werden die jungen Hymer-Marken zu absoluten Bestsellern. Der Erfolg dieser internen Kooperation, eine Branchenkrise um das Jahr 2010 und schließlich 2013 der Tod von Erwin Hymer fördern das Zusammenwachsen des Konzerns. Noch im gleichen Jahr zieht sich Hymer von der Börse zurück. 2015 stoßen auch Dethleffs und LMC offiziell zum Konzern, der fortan als Erwin Hymer Group auftritt. Statt sich in internen Wettbewerben zu verstricken, positioniert man sich gegen wachsenden Konkurrenzdruck von außen.

Der oberschwäbische Nachbar Carthago ist längst zu einer ernstzunehmenden Größe herangewachsen. Aus seinem 2008 in Slowenien neu errichteten Werk gelangen immer mehr Chic-Modelle auf deutsche Straßen. 2012 belebt man dort die Campingbustradition mit dem Malibu Van wieder neu und formt aus Malibu eine eigene Marke. 2013 eröffnet mit Carthago-City eine Firmenzentrale mit Produktionsanlagen nur wenige Kilometer vom Hymer-Stammwerk entfernt. Bis heute ist Carthago – ähnlich wie Hobby im Norden Deutschlands – jedoch stets ein Familienunternehmen geblieben.

Reisemobil Industrie Carthago i
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Carthago-Gründer Karl-Heinz Schuler (3. v. r.) beim Spatenstich für den neuen Firmensitz im oberschwäbischen Aulendorf im November 2011.

Anders Knaus-Tabbert: Die Branchenkrise hinterlässt ihre Spuren in Form einer Insolvenz im Jahr 2008. Mit dem Einstieg des niederländischen Investors HTP geht es aber stetig bergauf. Weinsberg wird als Günstigmarke neu in Stellung gebracht, Morelo stößt als Nobelmarke hinzu und die Knaus Tabbert Group in ihrer heutigen Form entsteht; 2020 wird sie zur Aktiengesellschaft.

Vorwiegend familiär bleibt es in den französischen Gruppen, wobei hier und da die nächste Generation mehr Verantwortung übernimmt. Und immer wieder geht es um neue Marken. Pilote gründet 2006 Mooveo und legt 2015 mit der reinen Campingbusmarke Hanroad für den Heimatmarkt nach. Sie wiederum beliefert inzwischen auch Frankia, wo man sich 2019 mit der Submarke Yucon vergrößert hat.

Trigano, weiterhin eine Aktiengesellschaft mit der Mehrheit im Familienbesitz, sichert sich in Italien 2013 Elnagh und Mobilvetta, zwei Jahre später ebenso Rimor. Auch weniger bekannte Marken kommen hinzu, wobei die Übernahme des erfolgreichen Herstellers Adria im Jahr 2017 bis in den letzten Winkel der Branche Aufsehen erregt. Bei Rapido denkt man inzwischen auch in größeren Dimensionen. 2010 kaufen die Franzosen überraschend Westfalia. Zwischenzeitlich war die Traditionsmarke eine Mercedes-Tochter, was VW dazu brachte, selbst Campingbusse im großen Stil auszubauen. 2016 erhält die Rapido-Gruppe mit dem Erwerb der Marken PLA und Giottiline auch eine italienische Tochter. Man geht sogar über europäische Grenzen hinaus und kauft 2019 Roadtrek in Nordamerika.

Reisemobil Industrie Giottiline i
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Mit der Übernahme von Giottiline und PLA weitet sich die Rapido-Gruppe 2016 nach Italien aus, wo man kräftig in die Fertigung investiert.

Kurioserweise gehörte der Campingbusspezialist Roadtrek kurzzeitig zur Hymer-Gruppe – bevor die EHG selbst von Amerikanern übernommen wird. Anfang 2019 kauft der in kurzer Zeit stark gewachsene Reisemobil- und Caravan-Hersteller Thor Industries die Erwin Hymer Group. Durch diese größte Übernahme der Branchenhistorie wird Hymer wiederum zum Teil eines börsennotierten Konzerns.

Blick auf die Gegenwart

Im folgenden Artikel zeigt promobil, wie die Größenverhältnisse der Caravaning-Branche aktuell aussehen:

Die aktuelle Ausgabe
Promobil 06 / 2023

Erscheinungsdatum 03.05.2023

148 Seiten