Fahrbericht zum neuen Fiat E-Ducato (2022)

Fahrbericht zum neuen Fiat E-Ducato (2022)
Das beliebte Basisfahrzeug aus Italien in elektrisch

Neuheiten 2022
Veröffentlicht am 25.01.2022

Seit vier Jahrzehnten kennt der Fiat Ducato nur eine Antriebsform – und die heißt Diesel. Alle übrigen Motorversionen spielten nie eine ernsthafte Rolle. Schon deshalb steigt die Spannung bei der ersten Begegnung mit dem neuen E-Ducato.

Umso erstaunlicher, dass sich der neue Fiat – abgesehen von dezenten Schriftzügen – nichts von seinem Antrieb anmerken lässt. Im Gegenteil: Der E-Ducato entspricht optisch noch den bis Sommer 2021 gebauten Modellen. Während gut ausgestattete Diesel in der neuesten Auflage mit digitalen Instrumenten und schlüssellosem Start aufwarten, blickt der Fahrer des E-Ducato beim Einsteigen auf konventionelle Skalen und hält einen guten alten Zündschlüssel in der Hand. Unspektakulärer könnte der Umstieg in die mögliche Zukunft kaum sein. Selbst ein Schalthebel ist an Bord – obwohl der E-Antrieb keine unterschiedlichen Übersetzungen benötigt. Ducato-Kennern kommt er aus den früheren Comfort-Matic-Modellen bekannt vor.

Fahrcharakter: Sanft und soft nach vorne

Drehen wir also am "Zünd"-Schlüssel. Als ob man Vorglühen müsste, dauert es einen kurzen Moment, bis der E-Ducato im Instrumentendisplay die Fahrbereitschaft vermeldet. Jetzt den Schalthebel von N auf D stellen – und nicht vergessen, die Handbremse manuell zu lösen. Eine automatisch-elektrische Feststellbremse, wie in der jüngsten Ducato-Generation zu haben, würde hier viel besser passen. Anders als Automatikmodelle kriecht der E-Ducato beim Lösen der Bremse nicht gleich los, sondern benötigt das Signal vom "Gas"-Pedal. Was dann folgt, ist für geübte Ducato-Fahrer wirklich revolutionär. Keine nennenswerten Geräusche aus dem Motorraum, keine Vibrationen, der E-Ducato nimmt einfach Fahrt auf. Selbst die beste Automatik erlaubt keine so gleichmäßige und damit letztlich komfortable Beschleunigung. Daran könnte man sich gewöhnen.

Fahrbericht Ducato
Ulrich Kohstall

Und die gebotene Kraft? Schwächlich wirkt der E-Motor jedenfalls nicht. Mit 122 PS und 280 Nm entsprechen die Daten ungefähr den 2,8-Liter-Turbodieseln vor gut 20 Jahren. Damit kann man leben. Wenn man sich nicht scheut, das Fahrpedal auch mal bis zum Bodenblech zu drücken, kommt man mit dem unbeladenen Elektro-Kastenwagen im städtischen Umfeld zügig voran – trotz erhöhtem Gewicht, das die unterflur montierten Batterien mitbringen.

Unser Testwagen ist mit dem kleineren von zwei lieferbaren Akkupaketen ausgerüstet. Nach WLTP-Norm erlaubt es einen Radius von 170 Kilometern. Auf der Reichweitenanzeige, die ein etwas provisorisch wirkendes Display auf dem Armaturenbrett anzeigt, reduziert sich der Wert nach dem Betätigen der Heizung und ein paar flotten Ampelstarts allerdings beunruhigend schnell. Mehr Gelassenheit bringt wieder mehr Kilometer.

Fahrbericht Ducato
Ulrich Kohstall

Auf der Landstraße genießt man selbst mit unvermeidlich erhöhten Fahrgeräuschen immer noch mehr Ruhe als im Diesel-Ducato. Hier könnte man sich zu flotten Kurvengeschwindigkeiten hinreißen lassen, denn der niedrige Schwerpunkt macht sich unmittelbar durch eine satte Straßenlage bemerkbar – wäre da nicht die mahnende Anzeige der Reichweite.

Die Überlandstrecke bietet auch Gelegenheit, sich mit den wenigen manuellen Eingriffsmöglichkeiten des Fahrers zu beschäftigen. Er kann per Druckschalter zwischen drei Fahrmodi von Eco über Normal bis Power wählen, wobei die Unterschiede überschaubar erscheinen. Am Wählhebel lässt sich die Rückgewinnung der elektrischen Energie aktivieren. Je nach Geschwindigkeit verzögert der E-Ducato dann beim Loslassen des Fahrpedals spürbarer. Eine zusätzliche Feinjustierung der Rekuperation wie in anderen E-Autos ist aber nicht möglich. Wo sonst der Drehzahlmesser sitzt, informiert ein analoger Zeiger, ob die Batterie gerade lädt oder entladen wird. Eine Fülle weiterer Fahr- und Ladeinformationen steckt im aufgesetzten Display, mit dessen Untermenüs man sich aber besser später im Stand beschäftigt.

Für Langstrecken eher ungeeignet

Uns fehlt noch eine Autobahnetappe: Ruckzuck steht hier die Tachonadel auf 110, was tatsächlichen 100 km/h entspricht. Mehr ist nicht drin. So sinnvoll die elektronische Beschränkung im Sinne der Reichweite sein mag, so sehr fühlt sich der Fahrer dennoch bevormundet. Durch dieses Handicap muss er sich nicht nur auf Landstraßen, sondern ebenso auf belebten Autobahnen jeden Überholvorgang gut überlegen. Langstreckentauglichkeit sieht anders aus.

Ein E-Transporter für den Lieferverkehr

Die ist von Fiat aber auch gar nicht gewollt, denn der E-Ducato wurde für den innerstädtischen Lieferverkehr konzipiert. Nach der Testrunde sinniert man trotzdem, ob der E-Ducato nicht doch eine Basis für Reisemobile sein könnte. Unabhängig von Umweltaspekten hat der elektrische Antrieb zweifellos seine angenehmen Seiten. Die Batterien komplizieren zwar den Unterbau von Bordtechnik, doch der Raum für Ausbauten bleibt. Fahrgestellvarianten des E-Ducato sind ebenfalls lieferbar.

Fahrbericht Ducato
Ulrich Kohstall

Ein paar Hürden bleiben außerdem: Selbst mit dem großen Batteriepaket ergibt sich nur eine Norm-Reichweite von 271 Kilometern auf gemischten Strecken. Das reicht für gemütliche Touren in kleinen Etappen, nicht für die Urlaubslangstrecke. Hierfür wäre zumindest das optionale Schnellladesystem erforderlich, das die Akkus an entsprechenden Stationen in etwa 1,5 Stunden bis zu 80 Prozent lädt. Schwerer wiegt das Thema Gewicht, denn mit E-Antrieb wäre bei Reisemobilen die 3,5-Tonnen-Grenze nicht zu halten. Der Gesetzgeber hat das erkannt und erlaubt das Fahren von alternativ angetriebenen Transportern mit Klasse-B-Führerschein bis 4,25 Tonnen – leider bislang nur im gewerblichen Bereich.

Zu den größeren Hürden gehört ebenfalls der Preis. Aktuell wäre das E-Ducato-Basisfahrzeug deutlich teurer als ein komplettes Diesel-Reisemobil. Ein Grund dafür dürfte die aufwendige Fertigung sein. Die E-Variante läuft zunächst ohne Antrieb im süditalienischen Sevel-Werk vom Band und wird anschließend in Kleinserie auf Elektrobetrieb umgerüstet, was einige behelfsmäßig wirkende Lösungen erklärt.

Dennoch: Ein elektrisch angetriebenes vollwertiges Reisemobil rückt mit dem E-Ducato in erreichbare Nähe. Bis es wirklich so weit ist, hat der E-Ducato bestimmt auch die Neuerungen der aktuellen Ducato-Generation übernommen.

Fiat E-Ducato

Fahrbericht Ducato
Ulrich Kohstall

Karosserie: Kastenwagen (3 Radstände, 3 Höhen), Fahrgestell (4 Längen), Kombi (später verfügbar)

Antrieb: Permanentmagnet- Elektromotor 90 kW/122 PS, max. Drehmoment 280 Nm, Frontantrieb

Batterien/Reichweite: Lithium-Ionen-Akku mit drei Modulen 47 kWh, Reichweite im kombinierten WLTP-Zyklus 170 km; Lithium-Ionen-Akku mit fünf Modulen 79 kWh, Reichweite im kombinierten WLTP-Zyklus 271 km

Lademöglichkeiten: 7 kW (Wechselstrom) 100 % Aufladung von drei Modulen in 7 Stunden 50 Minuten; 11 kW (Wechselstrom) 100 % Aufladung von drei Modulen in 4 Stunden 50 Minuten, 100 % Aufladung von fünf Modulen in 8 Stunden; 50 kW (Gleichstrom) 80 % Aufladung von drei Modulen in 50 Minuten, Aufladung von fünf Modulen in 1 Stunde 25 Minuten

Gewichte: Zulässiges Gesamtgewicht 3500 oder 4250 kg, Leergewicht ab 2340 kg

Preise: Kastenwagen ab 65 926 Euro, Fahrgestell ab 65 212 Euro, Kombi ab 69 615 Euro

Fast vergessener Vorgänger

Fahrbericht Ducato
Pressebild

Vor mehr als 30 Jahren experimentierte man bei Fiat bereits mit einem elektrischen Transporter. Der Ducato Elettra basierte 1989 auf dem damals ganz neuen Typ 290 und hatte einen Gleichstrommotor mit 58 PS unter der Haube. Die bescheidene Leistung war jedoch nicht der einzige Grund, warum die Reisemobilbranche einen großen Bogen um den Elettra machte. Hinzu kam ein fast 900 Kilo schweres Batteriepaket im Laderaum, das einen Ausbau praktisch unmöglich gemacht hätte. Ohnehin fiel die Reichweite mit rund 70 Kilometern bescheiden aus. 1993 ließ Fiat die Kleinserienfertigung auslaufen, kurz bevor mit dem Typ 230 eine ganz neue Ducato-Generation erschien – ausschließlich mit Verbrennungsmotoren.