Zu Recht steht der Begriff "alternativlos" auf der Liste der Unwörter des Jahres. Obwohl die Monokultur der Grundrisse für den VW T5 dieses Wort schon manchmal nahelegt: Praktisch alle Einrichtungen bestehen aus einer Möbelzeile hinter dem Fahrersitz und einer Sitz-Liegebank. So auch der Wohnraum des Bestsellers VW California. Der werkseigene Ausbau führt die Tradition der frühen Campingbusse in immer wieder verfeinerter Form bis heute fort.
Dass es auch ganz anders geht, beweist Reimo. Dort kann man ebenfalls auf eine lange Historie klassischer VW-Möblierungen zurückblicken und schlägt nun ein neues Kapitel auf. Der Multi Style bringt zwei Komfortattribute unter, die aus dem modernen Reisemobilbau nicht mehr wegzudenken sind: Einzelbetten und eine Kassettentoilette. Wie passt das alles in einem kurzen VW T5?
Wer nun eine verwinkelte und verbaute Einrichtung erwartet, wird im Reimo Multi Style angenehm überrascht. Bei hochgestelltem Dach kann man sogar von vorne nach hinten durchgehen.
Die Sitzgruppe nimmt vorne die gesamte Wagenbreite in Anspruch und bietet Sessel für eine Viererrunde, sobald die Vordersitze gedreht sind. Das setzt im schmalen VW-Fahrerhaus ein wenig Übung voraus – was jedoch ganz genauso für den California gilt.
Ein wenig Übung für den Umbau
Im VW-Testwagen ließ sich hier der optionale Komfortsitz auf der Fahrerseite ohnehin nicht drehen. Kein wirklich großer Verlust, denn sonst kämen die Beine mit dem Küchenblock in Konflikt. Im California sitzt man am besten zu zweit vis-à-vis am Tisch. Ein Paar im Multi Style kann sich dagegen auf zwei breiten hinteren Sesseln lümmeln und entspannt die Füße hochlegen.
Dass die Sitzgruppe des Reimo nicht noch stärker punktet, liegt an Details. Während der Fahrt monieren Mitreisende im Fond fehlenden Halt und harte Kopfstützen. Der Tisch verlangt mehr Umbauaufwand. Immerhin steht eine kleine Platte zum Ausklappen parat.
Die Reimo-Entwickler haben auch Kleinigkeiten, die das Leben an Bord angenehmer machen, durchaus im Blick. Davon zeugen ebenso durchgehende Seitenverkleidungen mit kaschierten Vorhangschienen.
Der perfekte California?
Perfektionisten tendieren dennoch zum California. Ohne optische Brüche trägt der VW-Ausbau vom Bug bis zum Heck die Handschrift von Automobilentwicklern. Das kühle Weiß der Oberflächen im Testwagen ist dabei nur eine Designvariante. Serienmäßig kleiden sich die Alu-Möbel in Holzdekor.
Dass ein Autokonzern auch Betten bauen kann, demonstrieren beide Schlafgelegenheiten im California. Vom Zuschnitt her klassisch – also recht schmal – machen sie aus dem vorhandenen Platz das Beste: Die untere Bank faltet sich schnell in die Horizontale und bietet mit optionaler Schaumstoffauflage praktisch lückenlosen Liegekomfort.
Für den Einstieg ins Oberstübchen surrt das elektrisch betriebene Dach nach oben. Dann klettert man über die Vordersitze auf die dünne, aber lattenunterfederte Matratze. Im Reimo werden zum Aufstellen des Dachs zunächst drei Gurte gelöst, damit es gasdruckunterstützt nach oben schwenkt. Hier muss man im Heck etwas umständlich über den Küchenblock nach oben steigen. Dort vermissen Schläfer jegliche Matratzenfederung oder -unterlüftung. Im direkten Vergleich fällt auch die Kopffreiheit geringer aus.
Multi Style nur für Paare günstig
Bedenkt man außerdem, dass Aufstelldach und Bett extra kosten, kommt man unweigerlich zu dem Schluss, dass der Multi Style sich auf die Bedürfnisse von Paaren konzentriert, die gezielt Einzel- statt Dachbetten suchen.
Sind die Vordersitze zum Wohnraum gedreht und der Tisch abgebaut, gelingt es tatsächlich, in wenigen Sekunden die beiden Sessel zu Liegeflächen zu verwandeln.Das Bettzeug kann tagsüber leicht erreichbar hinter den Sitzlehnen lagern. Abgesehen von den unbefestigten Sitzauflagen am Fußende entstehen ebene, stabile Betten mit rund 65 Zentimeter Breite. Wer will, kann noch ein kleines Mittelpolster in den Durchgang basteln.
Für die Befürworter von Einzelbetten dürfte jedoch etwas anderes im Vordergrund stehen: Hier kann man – ohne jemanden zu stören – auch schlaftrunken aufstehen, wenn man mal muss. Und jawohl, im Multi Style gibt es eine richtige Kassettentoilette wie in größeren Reisemobilen. Ein völlig neues nächtliches Erlebnis in einem kurzen VW T5.
Selbstverständlich ist das WC auch tagsüber benutzbar, doch dann stört es stärker, dass die geöffnete Trennwand die Küche blockiert, dass man zunächst einmal Vorhänge schließen muss und keine separate Entlüftung des Abteils vorgesehen ist.
Im Multi Style stehen im California sitzen
Die Küche des Multi Style orientiert sich ebenfalls eher an größeren Mobilen. Man steht – bei aufgestelltem Dach – vor dem hohen Block, statt zu sitzen. Leider begrenzt der Dachausschnitt die Stehfläche, so dass die Spüle nur mit langem Arm erreicht wird. Ein weiteres Manko: der knappe Stauraum, denn der Küchenblock nimmt auch Gasflaschen und Abwasserkanister auf.
Die California-Küche kann mit mehr Stauraum dienen und auch bei abgesenktem Dach benutzt werden. Wer vor der niedrig angeordneten Spüle steht, braucht jedoch auch hier lange Arme oder bückt sich.
Der Reimo wirft an dieser Stelle abermals seine Vielseitigkeit in die Waagschale. Unter den zahllosen Ausstattungsmöglichkeiten aus dem großen Reimo-Sortiment findet sich beispielsweise auch ein elektrischer Warmwasserboiler. Praktisch beim Spülen, aber auch für die ebenfalls optionale Außendusche am Heck.
Die rückwärtigen Seiten der Einrichtung könnten beim Multi Style und California kaum unterschiedlicher sein. Der VW eröffnet hier einen durch das Liegepolster geteilten Laderaum, was im Alltag die praktikablere Variante ist.
Kein Platz für Campingmöbel im Reimo
Im Reimo muss man sich beim Einladen großer Gegenstände entscheiden, ob man den Durchgang, Küche und WC wirklich blockieren will. Andererseits kann man hier lange Teile einfach bis nach vorne durchschieben. Die Platzausnutzung in Möbeln und Sitztruhen gelingt beiden Einrichtungen gut. Nur für Klappstühle – die California-Fahrer in der Heckklappenverkleidung vorfinden – entdeckt man im Multi Style keinen perfekten Platz.
Als würden die Einrichtungsunterschiede nicht ausreichen, differenziert sich der Multi Style auch technisch ein gutes Stück vom California. Reimo verzichtet beispielsweise auf einen fest installierten Abwassertank. Das macht die Entsorgung manchmal leichter. Allerdings muss man sich angesichts des kleinen Zwölf-Liter-Kanisters auch häufiger damit beschäftigen. Dass im Multi Style mit Gas statt Diesel geheizt wird, hat für die Nebensaisontauglichkeit praktisch keine Auswirkungen.
Für die Heizung verlangt Reimo allerdings Aufpreis, wie für viele andere nützliche Dinge, was den günstigen Grundpreis stark relativiert. Nicht nur im Wohnraum, sondern auch rund um das Fahrerhaus hat der California bereits alle wichtigen Ausstattungen serienmäßig. Etliche Nettigkeiten, wie das vornehmere Armaturenbrett samt verbesserter Geräuschdämmung und Kopf-Airbags, gibt es bei Reimo nicht einmal als Extra.
Für den California wiederum steht eine zusätzliche Auswahl an Luxus- und Sicherheitsextras zur Wahl, darunter der drahtlose Internetzugang und ein Spurwechselassistent.
So fühlt sich der California beim Fahren eine Spur feiner an, erst recht, wenn er wie der Testwagen mit Doppelkupplungsgetriebe ausgerüstet ist. Ohne direkte Vergleichsmöglichkeit fehlt es dem Fahrer im Multi Style mit einigen sinnvollen Optionen jedoch ebenfalls an nichts. Der im Testexemplar eingebaute 140-PS-TDI mit Sechsganggetriebe macht im leichteren Multi Style einen guten Job und verlangt selten mehr als neun Liter Diesel auf 100 Kilometer. Sehr gute Ergonomie im Fahrerhaus, gepaart mit hohem Langstreckenkomfort, trägt zum modernen Bulli-Gefühl bei. Dass man dies jetzt auch mit Einzelbetten und festem WC kombinieren kann, ist das Verdienst des Reimo.
Fazit
Die Wertung gibt die tatsächlichen Unterschiede nur unvollkommen wieder. Hier die vornehme Vielzwecklimousine von VW, dort der hemdsärmlige Reimo mit Campingkomfortausstattung für zwei. Auf ihre Art üben beide eine hohe Anziehungskraft aus. Wenn sie denn nur nicht so teuer wären ...