Rückblende: In promobil 9/2014 traten die fünf wichtigsten Transporter in der Liga der Dreieinhalbtonner zum umfassendsten Vergleichstest aller Zeiten an. Der kurz zuvor modernisierte Mercedes Sprinter gewann damals das Rennen und ließ dabei auch seinen von den jüngsten Verbesserungen abgehängten Halbbruder VW Crafter klar hinter sich. Seitdem hat VW viel gearbeitet, sich vom süddeutschen Partner emanzipiert, einen komplett eigenständigen Transporter entwickelt und in Polen dafür extra eine Produktion aufgebaut.
Schlägt der neue Crafter den Titelverteidiger?
Nun trifft der neue Crafter, der mit seinem Vorgänger wenig mehr als den Namen gemein hat, auf seinen Erzrivalen Mercedes Sprinter. Allerdings begegnen sich die beiden nicht ganz auf Augenhöhe, da zum Testzeitpunkt keine völlig vergleichbaren Testexemplare verfügbar waren. Während der Crafter als nackter Kastenwagen mit Trennwand, 140-PS-Motor und Schaltgetriebe aufläuft, schleppt der Sprinter als verglaster Kombi mit Dachklimaanlage, 190-PS-Top-Aggregat und Siebengang-Automatik naturgemäßig ein paar Extrapfunde mehr mit sich herum.
Doch die Grundanlagen beider Kontrahenten lassen sich dennoch vergleichen. Fahrerhaus, Sitzposition und Bedienung etwa unterscheiden sich teils deutlich voneinander. Wer andere VW-Modelle kennt, – besonders den T6 –, fühlt sich auch im neuen Crafter sofort wohl und heimisch. Alle Bedienelemente finden sich da, wo man sie vermutet, und lassen sich klar und exakt schalten. Was den Qualitätseindruck der Materialien und Oberflächen anbelangt, stößt der große VW tatsächlich die Tür zu einem neuen Niveau im Transportersegment auf. Nicht dass der Sprinter billig oder grobschlächtig wirken würde, aber seine großen, nackten Flächen erscheinen „plastikhafter“, im Vergleich zum feingenarbten Lederimitat des Crafter.

Für Smartphone & Co. hat der Sprinter seit der letzten Überarbeitung eine Ablage mit USB-Lade- und Klinkeneingangsbuchse fürs Radio oben auf dem Armaturenbrett – so kann er in diesem Punkt gut mit dem neuen VW mithalten. Ebenso auch bei der Anzahl der Becherhalter. Mehr 12-Volt-Anschlüsse und mehr Ablagefächer inklusive einem größeren und bedarfsweise kühlbaren Handschuhfach bringen aber den Crafter nach vorn.
Unterschiede zeigen sich auch bei der Sitzposition und im Raumgefühl. Schmal und hoch mit einer eher aufrechten Sitzhaltung präsentiert sich das Sprinter-Fahrerhaus. Ein wenig breiter, Pkw-artiger erscheint die Crafter-Führerkanzel – letzteres gilt auch für die Sitzhaltung. Die Pkw-Anklänge gehen sogar so weit, dass das Lenkrad unten modisch abgeflacht ist.
Abgespeckte Ausstattung in beiden Transportern
Entfernte Ähnlichkeiten an die Pkw-Modelle des Hauses sind beim Mercedes allenfalls in einzelnen Bedienelementen zu entdecken. Das Armaturenbrett wirkt vergleichsweise kahl, die Bedienung ist aber ebenso klar – jedenfalls wenn man sich mit dem markentypischen Multifunktionshebel links an der Lenksäule angefreundet hat. Nach dem Dreh am Zündschlüssel erwachen die ungleichen Motoren willig zum Leben und verharren in unaufgeregtem Leerlauf.
Während VW mit dem 2,0-Liter-Aggregat in vier Leistungsstufen ganz dem modernen Downsizing-Diktat folgt, gönnt Mercedes als letzter Hersteller – sich und dem Fahrer – einen hubraumstarken Top-Motor. Über dem 2,2-Liter-Vernunftantrieb in drei PS-Stufen rangiertder Sechszylinder mit 3,0 Liter Hubraum, der zwangsweise an eine Siebengang-Automatik gekoppelt ist.
Auch wenn der so befeuerte Sprinter weniger vehement losstürmt, als man es aufgrund seiner Nennleistung von 190 PS vielleicht erwarten würde, kann der 50 PS schwächere Test-Crafter bei der Beschleunigung und Elastizität naturgemäß nicht mithalten. Die Top-Version des VW-Aggregats mit 177 PS und immerhin 410 Nm Drehmoment könnte den Abstand sicherlich verringern, an die Souveränität des Mercedes-Sechszylinders kommt sie aber nicht heran.
Mehr Power, mehr Fahrkomfort
Geht es nach der Vernunft, so kann der 140-PS-Crafter rundum zufriedenstellen. Legt man mittels des knackig schaltbaren Getriebes die passende Übersetzung ein, reichen die 340 Nm Drehmoment gut zum Mitschwimmen im Verkehr, aber auch mal für eine zügigere Autobahnetappe. Versüßt wird die leistungsmäßige Zurückhaltung durch einen im Testschnitt rund zwei Liter geringeren Verbrauch, im Vergleich zum famosen Mercedes-Sechszylinder, dessen Leistung man natürlich auch gerne nutzt.

Traktionsprobleme kennt der Sprinter mit Heckantrieb kaum. Aber auch der Crafter macht seine Sache für einen Fronttriebler gut – mindestens so gut wie der Fiat Ducato, besser als der Ford Transit.
In der exakt und sehr verbindlich agierenden elektro-mechanischen Lenkung sind Antriebseinflüsse fast nicht zu spüren. Die Sprinter-Lenkung fühlt sich im Vergleich indirekter an. Sein komfortables Fahrwerk ist oft einer der Kaufgründe. Und wie benimmt sich der Crafter bei Straßenunebenheiten? Den VW-Ingenieuren ist ein sehr guter Kompromiss gelungen zwischen ordentlichem Schluckvermögen der Federn und Dämpfer und angenehm geringem Wankverhalten der Karosserie. Mit zur stärkeren Wankneigung des Sprinter trägt sicher auch seine um rund 15 Zentimeter größere Gesamthöhe bei. Hauptgrund hierfür ist der Heckantrieb, der unter dem Fahrzeugboden mehr Platz beansprucht.
Der merklich niedrigere Crafter schafft es dank Frontantrieb dennoch, auf 1,95 Meter Innenhöhe zu kommen – sogar drei Zentimeter mehr als der Sprinter, was aber auch dessen Verkleidungsteilen an der Decke geschuldet ist.
Allradantrieb gibt es für Crafter und Sprinter
Mit Heck- oder Allradantrieb schrumpft die Crafter-Stehhöhe um zehn Zentimeter. Damit ist diese Variante für den Ausbau als Campingbus wenig geeignet – außer man wählt das Superhochdach.
Diese beiden Antriebsvarianten werden beim Crafter für den Bau von Reisemobilen aber auch dadurch ausgebremst, dass die feine Achtgang-Automatik – zumindest aktuell – nur in Kombination mit dem Frontantrieb und dem 177-PS-Motor angeboten wird.
Der Sprinter dagegen kann in fast allen Versionen mit einer siebengängigen – bei Allrad fünfgängigen – Automatik geordert werden. Er ist mit drei Radständen und vier Karosserie-Längen erhältlich. Der Crafter bietet zwar ähnliche Längen an, verzichtet aber auf den kürzesten Radstand, der beim Sprinter schon mal für kompakte Campingbusse und Teilintegrierte zum Einsatz kommt.
Im direkten Vergleich der Sechs-Meter-Karosserien mit mittelhohem Dach sind die Innenmaße der Laderäume, die für einen Campingausbau zur Verfügung stehen, praktisch identisch – rechnet man beim Sprinter-Kombi die Innenverkleidung ab. Kleine Vorteile kann er sich beim Einstieg durch die seitliche Schiebetür erarbeiten, mit einer niedriger angesetzten integrierten Trittstufe und einer größeren lichten Höhe der Türöffnung.

Auf der Waage zeigt sich der Crafter um fast 60 Kilogramm leichter. Besonders an der Vorderachse bleiben durch die höhere zulässige Achslast deutlich mehr Reserven als beim Sprinter. Allerdings muss man diesem auch seine besonders umfangreiche Sonderausstattung zugutehalten, die vor allem auf die Vorderachse drückt.
Vergleicht man die Werksangaben zum fahrbereiten Leergewicht der Serienversionen, ist der Sprinter überraschenderweise sogar etwas leichter angegeben –trotz des schwereren Heckantriebs.
VW Trailer Assist auch im Crafter
Bei der Neuauflage 2013 legte der Mercedes die Latte der verfügbaren Sicherheitssysteme vor allem mit dem Seitenwind- und Notbrems-Assistenten ziemlich hoch. Der neue Crafter packt nun noch eine Schippe drauf. Die elektromechanische Lenkung macht aktive Eingriffe möglich. So steuert der Spurhalteassistent den Wagen für etwa 15 Sekunden autonom um die Kurve, und sollte man beim Ausscheren ein Fahrzeug auf der Überholspur übersehen, lenkt der Crafter von selbst dagegen. Außerdem ist damit automatisiertes Einparken sogar mit Anhänger möglich. Man muss nur Gas geben, lenken tut der Crafter.
Der Sprinter kontert immerhin mit einer Parkhilfe, die geeignete Lücken erkennt und genaue Lenkanweisungen gibt. Diese Systeme sind – hier wie da – allerdings nicht für aufgebaute Reisemobile erhältlich.
Wichtiger in Sachen Komfort und Sicherheit ist der Abstandsregeltempomat des Crafter, der dem Sprinter bislang fehlt. Mit ihm kann man bequem im Verkehr mitschwimmen. Bei Stockungen wird die Geschwindigkeit automatisch reduziert und nötigenfalls eine Vollbremsung vorbereitet.
Alles in allem kann sich der neue Crafter an die Spitze setzen, auch wenn der Sprinter im Antriebskapitel weiter punktet. Das verbindliche Fahrverhalten, die umfangreiche Sicherheitsausstattung und der günstigere Preis sprechen für den VW. Doch voraussichtlich 2018 geht das Rennen in eine neue Runde: Dann wird die Neuauflage des Mercedes erwartet.