Die Fähre namens Berlin legt pünktlich in Rostock ab. Zwischen Hohe Düne und Warnemünde schlängelt sie sich raus auf die kurzen Ostseewellen. Der Blick zurück – malerisch. Amazoni (unser Van heißt so) bekommt davon nix mit, der ausgebaute Kastenwagen wartet im zweiten Unterdeck. Warum er mit dem Heck wackelt? Nun, es ist seine erste große Tour nach dem Umbau.
Während die Berlin gemütlich Richtung Gedser schippert, sollten wir ein Detail zu diesem Roadtrip beplaudern. Damit keiner enttäuscht wird. Also … wie jeder Campende haben auch wir ein paar Eigenarten. Campingplätze zum Beispiel – die steuern wir auf so einer Reise selten bis gar nicht an. Hat was mit Dynamik und Flow zu tun. Wer hier also auf einen Campingguide rund um die Ostsee hofft, wird leer ausgehen. Was uns ohne Umwege zur Frage bringt, wie wir das mit den Übernachtungen gelöst haben. Die Antwort: ein Mix aus guten Apps und höflichem Kontakt zu Einheimischen.
Jetzt legt die Fähre gleich an. Eine Runde durch Gedser muss reichen, Amazoni zieht es Richtung Kopenhagen.
Die erste Perle!
Auf dem Weg wächst ein Hüngerchen heran, das in dem Örtchen Greve Strand in einem Festmahl mündet. Mosede Fort – eine Küstenfestung aus dem Ersten Weltkrieg – bietet nicht nur gute Ausstellungen, sondern auch einen soliden Parkplatz am Strand. Hier wird gekocht und barfuß im Sand diniert. Zurück am Van, parkt nebenan ein kleiner Zirkus ein. Zwei Jungs entdecken den Hängematten-Halter auf Amazonis Dach und fragen neugierig nach, ob sie mal hochdürfen. Klar. Wir kommen ins Gespräch, plaudern über Vanlife. Ist ja ihr Alltag, da sie fast das ganze Jahr unterwegs sind. Am Ende laden sie Amazoni ein, einfach auf dem großen Parkplatz zu übernachten. Ihre Genehmigung würde genügend Autos abdecken. Tak!

Mit dem Hängematten-Halter auf Amazonis Dach lässt es sich gut entspannen.
Bevor es am nächsten Morgen nach Kopenhagen geht, stoppen wir am Flughafen – Kumpel Eric komplettiert die Crew. Ein feiner Kerl aus dem fernen Kalifornien. In regelmäßigen Abständen besuchen wir uns – und starten im jeweils anderen Teil der Erde Roadtrips. Für die Ostseerunde hat er fast seinen ganzen Jahresurlaub eingesetzt. "Ready when you are", ruft er mit einem breiten Grinsen.
Kopenhagen: königlich, hip und attraktiv
Kopenhagen mit dem Van? Besser nicht. Amazoni parkt neben einer U-Bahn-Station im Schatten und wir rattern los. Erster Stop: Cafébar "Social Brew" – hier gibt’s Filtergold und eine frische Zimtschnecke. Danach geht’s auf den Rundetårn mit lohnenswerter Aussichtsterrasse. So bekommt man schnell einen Überblick über die Stadt. Der Tag vergeht wie im Flug, wir bummeln über die Einkaufsstraße Strøget, werfen einen Blick auf die bunten Häuser bei Nyhavn und finden eine coole Alternative zur Kanalrundfahrt. Hier kann man Kajaks kostenlos mieten – wenn man im Gegenzug Müll aus den Kanälen fischt. Top!
Nach einem wohltuenden Abendessen geht’s am bekannten Vergnügungspark Tivoli vorbei in den Freistaat Christiania. Die ehemalige Militäranlage wird seit 1971 besetzt – von einer selbst regierenden Gemeinschaft. Grob umrissen geht’s um Freiheit, Anarchie und Liebe. Christiania ist ein Magnet – für Kreative und Touristen. Die ganze Geschichte würde hier den Rahmen sprengen, eine kleine Recherche lohnt sich!
Von unterwegs Sauna buchen
Kurz vor Sonnenuntergang über die Öresundbrücke rüber nach Schweden – hat was. Vor allem dank des Schengenraums. Ohne Grenzkontrolle geht’s nach Süden, via Höllviken nach Skanör. Ein schöner kleiner Ort am Meer, einer der ältesten Schwedens. Eric hat fleißig gegoogelt, ein superschönes Saunahaus ausfindig gemacht und uns online zwei Stunden eingebucht. Der Türcode kam per Mail. Das "Falsterbo Kallbadhus" ist ein cleaner Holzwürfel direkt an der Ostsee. Drinnen supersauber und die Sauna mit XL-Fenster zur Ostsee. Der Knaller: Von der Sauna aus geht’s über eine Leiter ins Wasser. Wir sind schockverliebt. Und schmieden einen Plan. Dazu gleich mehr. Amazoni darf auf dem angrenzenden Parkplatz für 300 SEK (also rund 28 Euro) bis morgen früh parken. Kein Schnäppchen, aber okay. Frisch sauniert und geduscht träumt es sich im Van besser.

Kleine Miet-Saunen gibt es in Schweden fast so viele wie gute Cafés. Online buchen, Türcode aufs Telefon, fertig.
Nach Stockholm plant Google Maps 647 Kilometer. Sieben Stunden irgendwas. Wir machen drei Tage daraus und gondeln die Küste hinauf. Finden jeden Morgen kleine Badestege, wandern auf Aussichtspunkte, jagen Zimtschnecken und kommen an – in diesem Roadtrip. Der frisch geschmiedete Plan für die Übernachtungsspots geht auch auf: Zum Nachmittagskaffee suchen wir nach kleinen Miet-Saunen in passender Richtung.
Hej Stockholm!
Die zweite Perle. Ein Inselparadies – denn Stockholm erstreckt sich auf 14 Inseln. Wenn das Wetter passt, sollte man zu Fuß los. Ab und an mal eine Fähre hilft. Amazoni parkt also außerhalb – und wir ziehen Turnschuhe an. Erster Spot: ein Badeplatz mitten in der Stadt. Herrlich erfrischend. Danach: Kaffee! Gefolgt von einem Besuch im Dänischen Architekturzentrum. Wer das Thema mag, wird den Ort lieben. Den Rest des Tages laufen wir. Ohne Plan. Ohne Google Maps. Finden kleine Boutiquen, großartige Straßenkunst und ein super Yoga-Studio. Gut gedehnt und frisch geduscht empfiehlt uns der Yoga-Lehrer noch eine Band, die später in einem Hinterhof spielt. Danach gibt es die beste Pizza (der Reise) – in einem winzigen Pop-up-Laden. Stockholm, du bist umwerfend!

Einer der vielen öffentlichen Badestellen in Stockholm, rund um die Uhr geöffnet und garantiert eine Erfrischung wert.
Was nicht in den Tag gepasst hat? Ein Besuch der Östermalms Saluhall – schöne Markthalle mit vielen Köstlichkeiten. Wer mehr als einen Tag in der Stadt ist, sollte sich den Stockholm Pass holen … eine Art Touristenkarte, die freien Eintritt zu 60 Sehenswürdigkeiten, Museen und Attraktionen ermöglicht. Obendrein lassen sich damit kostenlos die bekannten Hop-on/Hop-off-Busse nutzen.
Die Fähre nach Finnland startet kurz vor 22 Uhr in Kapellskär und macht einen nagelneuen Eindruck. Das Ziel – Naantali in Finnland – will der Kapitän in achteinhalb Stunden erreichen. Gut, dass die Kabine obligatorisch ist. Vor dem Einschlafen kurzer Wissenscheck, was wir über Schweden gelernt haben: Alle duzen sich. Köttbullar – die beliebten Fleischbällchen – spricht man "Schöttbullar" aus. Und: "Lagom" drücken die Schweden aus, wenn was genau richtig ist. Wenn man einen Kaffee bestellt, sollte er lagom Milch haben, das Wetter sollte lagom warm sein, die Portion im Restaurant lagom groß. Gute Nacht.
Finnland Ahoj!
Der Wecker kurz nach fünf lohnt sich: So lässt sich die wunderschöne Schärenlandschaft vor der Ankunft in Naantali bestaunen. Faszinierend. In Finnland findet Amazoni einen Weg nach Turku. Nach 20 Minuten sind wir am Ziel und schmunzeln über ein finnisches Sprichwort: Warum nach Paris, wenn man Turku hat? Als Finnlands älteste Stadt ist Turku geprägt von historischem Charme und einer blühenden urbanen Szene. In die wir natürlich gern eintauchen. Amazoni parkt am Ufer des Aura, eines großen Flusses, der hier in die Ostsee mündet. Eigentlich wollten wir nur ein paar Stunden bleiben – es wird ein ganzer Tag daraus. Ein freundlicher Camper-Kollege empfiehlt uns am Abend einen guten Übernachtungsspot in der Nähe. Turku – eine weitere Perle!

Die dicke Fähre steuert durch einen Irrgarten, der aus Inseln besteht.
Zwei Stunden dauert die gemütliche Fahrt nach Helsinki. Bei Salo stoppen wir kurz für den morgendlichen Sprung ins kalte Wasser. Zur Belohnung wartet in Helsinki guter Kaffee. Den gibt’s am Hakaniemi-Marktplatz. Wer’s mag, beißt dazu in einen beliebten Fleischkuchen namens "Lihapiirakka". Nach einem feinen Stadtbummel zieht es uns abermals in ein Yoga-Studio. Die Einheit tut gut – Tipp der Lehrerin: "Erkundet Kallio – ein weniger hektisches, unkonventionelles Viertel von Helsinki. Und bucht euch später in eine der ältesten finnischen Saunen ein: die Furuvik Seaside Sauna." 1.000 Tak!
Weiter nach Estland
Zwei Tage später im Klorofüll in Tallinn – einem pflanzenbasierten "Farm-to-Table"-Restaurant in der Kunstfabrik. Unfassbar lecker. Da wären wir also in Estland. Die Fährfahrt von Helsinki dauerte keine drei Stunden. Danach heißt es staunen: vor allem über die Dynamik. Tallinn hat eine der größten Start-up-Szenen der Welt – und eine wunderschöne Altstadt. Es gibt selbstfahrende Busse, sehr viele gute Restaurants und freies Campen außerhalb von Ortschaften. Voraussetzung: die Natur respektieren, keine Spuren hinterlassen. Träumchen!
Die kommenden Tage lassen wir es langsam angehen, genießen unbebaute Osteestrände, tanken Ruhe. Wer Einsamkeit mag, kommt in Estland, Lettland und Litauen voll auf seine Kosten. Und dann ist da Riga – Hauptstadt Lettlands und mit rund 600 000 Einwohnern die größte Stadt des Baltikums. Trubel. Gute Energie. Wir tauchen ohne Plan ein … Fazit nach zwei Tagen: zauberhafte Gebäude aus Holz, gute Jugendstilarchitektur und eine Altstadt mit vielen kleinen Märkten und Cafés. Wunderschöne Perle!
Kuldiga kann man sich merken – das charmante Städtchen an der Venta. Nebenan gibt’s mit 240 Metern Europas breitesten Wasserfall. Empfehlenswert: ein Bummel durch Kuldiga, das voller Charme die alte und die neue Zeit von Estland spiegelt. Superlecker: das Restaurant KOPA taste – slow food cuisine. Reservierung notwendig.

Beim Überqueren des Flusses in Kuldiga reibt man sich zu Recht die Augen: Ist das wirklich Jesus auf einem Surfbrett da unten? Ist er. Lustige Kunstinstallation.
Eine Woche haben wir noch. Für Litauen und Polen. Eine Woche Ostsee-Glück. Ohne Trubel, ohne Perlen. Dafür viel Natur. Amazoni steht jeden Abend auf einem anderen schönen Platz. Nie weit weg von den Wellen. Mal hilft eine App, oft sind es Tipps von Einheimischen. In Danzig steigt Eric in den Flieger. Mit vollen Akkus und um einige schöne Augenblicke reicher ruft er: "What a beautiful dance around the Baltic Sea."
Anfahrt
Wir fahren im Uhrzeigersinn, also geht’s in Rostock los. Schöne Hansestadt, nicht so voll wie Hamburg, nicht so wild wie Berlin. Und doch charmant. Ideal für einen Tagesausflug, also vielleicht doch etwas eher ankommen – und die Zeit bis zum Start der Fähre mit einem Stadtbummel vertreiben. Unsere Fähre nach Dänemark heißt Berlin und legt 15:45 ab. Frühbuchung sei Dank, kostet das einfache Ticket 69 Euro. Kurzentschlossene bezahlen eher 99 Euro.
Reisezeit
Eine Ostseeumrundung lohnt sich zu jeder Jahreszeit; im Sommer hat’s den Vorteil, dass einem keine Körperteile in der Ostsee abfrieren. Zudem sind die Tage im Norden schön lang. Ideal sind daher die Monate Juni bis September. Wenn der Mai warm ist, passt das auch. 14 Tage sollten es sein, mehr geht immer.
Vor Ort
Egal in welchem Land an der Ostsee: Kartenzahlung funktioniert meist tadellos. Kostenpflichtige Brücken oder Fähren gilt es im Voraus zu buchen. Im Fall der Fälle helfen eine Auslandskrankenversicherung und ein guter Pannendienst.
Übernachten
Campingplätze sind rund um die Ostsee kein Problem – auch nahe der großen Städte gibt es welche. Wir haben diverse Apps genutzt – wie zum Beispiel Pintrip. Da gibt’s für eine Gebühr von rund 60 Euro Zugang zu einem Netzwerk von über 300 Gastgebern in ganz Dänemark. Andere Länder, wie Estland, erlauben Freistehen außerhalb geschlossener Ortschaften, wenn man sich ordentlich verhält. Was selbstverständlich sein sollte. Uns haben auf dieser Reise oft auch Tipps von Einheimischen geholfen.
Fähren
Rostock > Gedser/Dänemark (69 Euro)
Kapellskär/Schweden > Naantali/Finnland (195 Euro mit Kabine/Finnlines)
Helsinki > Tallin (129 Euro/Viking Line)
Kosten
Das hängt schwer von den eigenen Bedürfnissen ab. Generell sind die Lebenskosten in Dänemark und Schweden etwas teurer als bei uns. Dafür wird es ab Estland dann wieder günstiger. Wir hatten 1.600 Euro in der Reisekasse – für Lebensmittel, Sprit und Eintrittskosten. Und sind zu zweit damit gut ausgekommen. Fährkosten und Gebühren für Apps kamen on top.
Streckenlänge
Rund 3600 Kilometer waren es bei uns von Rostock nach Rostock. Amazoni war sparsam. Durchschnittsverbrauch: 7,8 l/100km.