Bulli-Tour durchs Mittelgebirge Harz

Wohnmobil-Tour Harz
Campingtour durch die Mythen- und Sagenwelt

Veröffentlicht am 24.06.2023

Schon lange liegt die Idee in der Schublade: eine Campingtour durch die Mythen- und Sagenwelt des Harzes. Es liegt so nah, und doch haben wir es noch nicht geschafft, einen Termin für diese besondere Reise in "unser" Mittelgebirge zu fixen. Life is a Bitch, oder sollte ich besser sagen "Witch"? Denn wie von Zauberhand liegt es da, das freie Mai-Wochenende im Familien-Kalender.

Unser blecherner Hexenbesen macht sich mit uns auf den mühseligen Weg, um knapp 1.400 Höhenmeter hinauf und auch wieder hinunter zu fegen. Ich habe bei solchen Steigungen immer Mitleid mit dem Auto, kann mich aber schnell damit trösten, dass ein VW T3 genau für solche Transporte gebaut wurde. Und er macht das wirklich gut. Steigungen von bis zu 14 Prozent lassen zwar immer noch einen Stau hinter uns entstehen, aber schneller als ein Traktor sind wir allemal. Bis Braunlage kennen wir die Strecke quasi im Schlaf, aber als es dann in Richtung Sorge durch Sachsen-Anhalt geht, wird es mit der Ortskenntnis schon recht knapp.

Doch so soll es ja sein – "unbekanntes" Terrain lockt eben am meisten. Während Tochter Ida damit beschäftigt ist, wie eine Jukebox mit Flatrate auf der Rückbank zu trällern, genießen wir in der ersten Reihe die Show, die uns dieser Naturpark bietet. Stauseen, blühende Bergwiesen, dichte Wälder, gefolgt von notwendigem Kahlschlag und der einhergehenden Holzernte.

Höhlen und ein Wasserfall

Die Temperatur pendelt sich bei wohligen 26 Grad ein. Zeit für eine Abkühlung. Da passt der erste Stopp am Königshütter Wasserfall perfekt. Mit vier Pkw-Parkplätzen ein bisschen knapp bemessen, stellen wir uns in den Ort und marschieren einfach an der Kalten Bode entlang zur 1994 künstlich angelegten Kaskade. Dass hier Menschenhand am Werk war, sieht man erst auf den zweiten Blick. Fast tropisch, wie sich das Wasser auf den mit Moos bewachsenen Steinen über eine Höhe von 16 Metern den Hang hinabschlängelt. Ein kleines Naturparadies und die perfekte Abkühlung für heiße Kinderfüßchen.

Harz - Hermannshöhle
Tropfsteinhöhlen Rübeland/J. Reichel

Zurück im Bus machen wir uns auf nach Rübeland. Nicht nur der Ortsname ist ungewöhnlich, sondern auch die märchenhafte Lage, die umrahmt von schroff aufsteigenden Felswänden im Tal der Bode ihresgleichen sucht. Rübeland ist in erster Linie für seine Höhlen bekannt. Während die Baumannshöhle den Titel der ältesten Schauhöhle Deutschlands innehat, ist in der Hermannshöhle die einzige Grottenolmpopulation des Landes beheimatet. Der Grottenolm ist ein nackt, blind und aalförmig anmutender Schwanzlurch, dessen Verbreitungsgebiet östlich der Adria zu finden ist. Ab den 1930er Jahren wurden einige Exemplare zu Schauzwecken in einem künstlichen Höhlengewässer, dem Olmensee, ausgesetzt und fühlen sich seitdem dort pudelwohl. Wir sind gespannt, ob wir eines von diesen bis zu 70 Jahre alt werdenden Tierchen zu Gesicht bekommen.

Wie aus einer Klimaanlage schießt uns kalte Luft aus der Tiefe entgegen. Eine willkommene Abkühlung. Zögerlich betritt Ida die Grotte, ist aber schnell im Entdeckermodus. Faszinierende Felsformationen und schimmernde Tropfsteine weisen uns den Weg immer tiefer in das Herz des Berges. Da, vor uns flattert doch was. Eine kleine Fledermaus zeigt sich und lässt Ida mit einem gekonnten Flugmanöver entzückt zurück. Was für ein Erlebnis. Leider haben wir bei den Grottenolmen weniger Glück, denn die mögen es so dunkel, dass unsere Augen sie im Wasser nicht erfassen können. Macht nichts, das Skelett eines Höhlenbären ist ebenso beeindruckend und weist uns mit erhobenen, knöchernen Tatzen den Weg hinaus ins warme Licht.

Campen direkt am Fluss

Der Blaue See wartet quasi um die Ecke. Das Gewässer ist durch den Abbau von Kalkstein seit 1885 entstanden. Er ist bis zu 15 Meter tief und wird durch mehrere Karstquellen gespeist. Seine türkisblaue Färbung verdankt der See dem hohen Kalkgehalt. Aufgepasst, der Zugang ist von den meisten Seiten her eher beschwerlich. Für Ida wird er mit hunderten von Kaulquappen und jeder Menge Molche belohnt. Wir sind durch die Hitze ein wenig geschlaucht, als wir den Weg zurück zum Bus antreten, und benötigen dringend einen Platz, an dem wir uns alle ausruhen können. Klostercamping Thale soll für drei Nächte diesen Zweck erfüllen.

06502 Thale (D)
Kloster Camping Thale
23 Bewertungen
25,00 EUR/Nacht

Das Ziel ist schnell erreicht, und während ich einchecke, lässt Ida es sich bei einem Eis aus der Kühltruhe der Rezeption gut gehen. Unser Platz ist direkt am Fluss Bode unter einem Kastanienbaum gelegen. Der Schatten passt, die Mücken vom stehenden Wasser im Mühlengraben nebenan weniger. Einen Spritzer Anti-Brumm, gekühlte Getränke und Würstchen vom Skotti-Grill lassen die kleinen Blutsauger wieder nebensächlicher erscheinen. Der Campingplatz insgesamt ist sehr gepflegt und die sanitären Anlagen auf neuestem Stand. Hier kann man es aushalten. Das laute Rauschen der Bode irritiert in der Nacht ein wenig. Man meint fast, eine Klimaanlage im Bus zu haben. Schöner letzter Gedanke, bis jeder in seiner Ecke völlig erschöpft in sagenhaften Träumen versinkt.

Harz - Frühstück
Bernd Bohle

Ida ist am zweiten Tag schon früh wach. Wahrscheinlich verlangt ihr Geist nach neuen Abenteuern. Die soll sie bekommen, doch erstmal ist Frühstück angesagt. Wie ich finde einer der schönsten Momente im Campingleben. Alle sind entspannt, weil ausgeruht, und begrüßen mit einem Schluck aus der Kaffeetasse den Tag. Laut Wetter-App müssen wir uns allerdings sputen, wenn wir unseren Plan für heute umsetzen wollen. Für den Nachmittag ist eine Gewitterwarnung herausgegeben worden. Einen Vorgeschmack bekommen wir prompt geliefert. Ein kurzer, aber wuchtiger Sturm schiebt eine Staubwolke über uns hinweg und bringt Teile unseres Equipments zu Fall. Kurz nach diesem Entree folgt ein Besuch der Campingplatz-Betreiber, die uns ans Herz legen, das Areal hier unter den Bäumen zu verlassen. Die Umquartierung verläuft problemlos, kostet allerdings wieder Entdecker-Zeit.

Hexentanzplatz und Walpurgishalle

Nachdem alles sicher an seinem neuen Platz ist, schwingen wir uns auf die Räder und fahren zu den Seilbahnen von Thale. Mit hohem Puls erreichen wir gegen Mittag die Freizeitwelt, die sich am Fuße dieser Sehenswürdigkeiten niedergelassen hat. Wie in einem Vergnügungspark wird auf der sogenannten Spaßinsel alles geboten, was Kinderherzen höherschlagen lässt. Vergnügungsbahn, Wasserkarussell, Bumper-Boote, Trampolin und vieles mehr lenken aber ein wenig ab von der wunderbaren, einzigartigen Natur, die uns umgibt.

Harz - Gondelboden
Bernd Bohle

Mit dem Versprechen an Ida, nachher eine dieser Attraktionen nochmal aufzusuchen, begeben wir uns zunächst mit der Gondel 245 Meter höher zum Hexentanzplatz. Meine Akrophobie wird durch den durchsichtigen Boden der Kabine ein wenig geschürt, erfährt aber aufgrund der atemberaubenden Aussicht während der Fahrt Milderung. Ida meint, dort draußen würden bestimmt Dinos wohnen. Das können wir vom Denkansatz voll bestätigen: Man kommt sich vor wie in einem Hubschrauber, der seine Runden über die vergessene Welt aus dem Film Jurassic Park zieht. Auch nach dem Ausstieg 428 Meter über dem Meeresspiegel kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Der Blick ins Tal ist mehr als beeindruckend. Laut Sage soll hier oben die Hexe Watelind gelebt haben, die mit höllischen Zauberkünsten zur Oberhexe aufstieg und auf diesem Platz neben mystischen Tänzen auch Versammlungen mit ihrer Zunft vollzog. Eine tolle Geschichte, die hier zum alljährlichen Walpurgisfest mit eingebunden wird.

Die Walpurgishalle ist übrigens unweit vom Platz zu finden. Den Giebel des 1901 errichteten Museumsgebäudes krönt das Haupt des einäugigen Göttervaters Wotan (aka Odin), flankiert von Raben und Wölfen. Im Inneren kann man fünf große Wandgemälde mit Motiven aus Goethes Faust und anderen Walpurgissagen bestaunen. Eine Welt, in die man sich hineinziehen lassen kann. Der am nahen Sachsenwall gefundene Opferstein ist die Krönung dieser Mischung aus Lebens- und Glaubenswelt vergangener Zeiten.

Harz - Hexentanzplatz
Bernd Bohle

Wanderung mit Aussicht

Zurück im Tal geht es gleich wieder 244 Meter bergauf. Diesmal per Sessellift hoch zur Rosstrappe, einem 403 Meter hohen Granitfels über dem Bodetal. Ida macht sich mit ihren drei Jahren recht gut, was die Wanderungen zu den Aussichtspunkten anbelangt, scheint aber so langsam an ihre Grenzen zu kommen. Dennoch schaffen wir es nach rund einem Kilometer über recht steinige Wege bis an die Kante der Klippen. Besonderes Highlight ist ein im Durchmesser etwa 50 Zentimeter großer Felseindruck in Hufform, um den sich eine weitere fantastische Geschichte rankt.

Diese Sage, kindgerecht geändert, war im Vorfeld Teil einer Motivationskampagne für unsere Tochter, um sich wandernd fortzubewegen. Nachdem sie das Corpus Delicti, das einer Theorie zufolge auch ein germanisches Opferbecken sein könnte, nun erblickt hat, weichen urplötzlich alle Kräfte und ich darf mit 14 Kilo Mensch auf dem Arm schwitzend den Rückweg antreten. Im Tal auf dem Trampolin der Spaßinsel kommen wie durch Zauberhand Idas Kräfte zurück. Ein Blick auf die Wetter-App gibt das Startsignal, zum Campingplatz zurückzukehren. Schnell noch ein wenig vom Grill, dann setzen schon die ersten Regenschauer ein. Völlig erschlagen vom Tag und den vielen Geschichten zieht es uns dann in die Betten. Geschlafen haben wir jedenfalls felsenfest bis prinzessinnenhaft.

Die Sonne küsst uns durch die Schlitze der Van-Gardinen wach. Heute lassen wir es bei wieder regenfreiem Wetter einmal gemütlicher angehen. Zwischendurch erkunde ich die Umgebung rund um das ehemalige Kloster Wendhusen, an dem der Platz gelegen ist. Die Abtei ist die älteste auf dem Gebiet des heutigen Landes Sachsen-Anhalt. Enge Gassen und alte Baumbestände geben der Gegend ein uriges Flair. Teilweise habe ich sogar das Gefühl, im mediterranen Raum unterwegs zu sein. Aber wir sind mitten im Harz und wollen auch an diesem Tag noch etwas Sagenhaftes erleben. Heute steht die Fahrt zur Teufelsmauer an.

Mit dem Rad zur Teufelsmauer

Glänzend von Sonnenmilch geht es los per Rad auf den mit kleinen Findlingen gepflasterten Wegen. Schön anzuschauen, aber umso schlechter mit dem Rad zu befahren, mühen wir uns über die ersten Höhenmeter auf diesem Straßenbelag in Richtung Naturdenkmal. Ordentlich durchgerüttelt ist dann endlich unser Tagesziel erreicht. Nur noch den schmalen Weg bei küstenähnlichem Wind hinauf und wir stehen mitten auf der Teufelsmauer, jener imposanten Sandstein-Felsformation, die auf etwa 20 Kilometer Länge von Ballenstedt bis nach Blankenburg im Harz verläuft.

Harz - Teufelsmauer
Bernd Bohle

Um die Felsen herum ist Sandboden zu finden, auf dem sich oft Silbergras angesiedelt hat, wie man es von Dünen kennt. Für die Menschen in grauer Vorzeit muss dieses Gebilde wie auch auf uns mächtig Eindruck gemacht haben und hat entsprechende Sagen hervorgebracht. Wir verabschieden uns von diesem göttlichen Stück Teufelswerk, um ein weiteres Mal die inneren Organe im Takt der Pflastersteine wabern zu lassen. Nach einer erholsamen Dusche und einem dicken Stück Pizza Calzone aus dem Omnia-Ofen endet auch schon unser letzter Tag auf dem Campingplatz in Thale.

Immer, wenn es am schönsten ist, muss man gehen. So auch an diesem Sonntagmorgen eines mystischen Wochenendes im Harz. Nur noch alles schnell verpacken und dann mit dem Bus zur Endstation dieser Reise. Die großen Sandhöhlen im Heers sollen es sein. Nach einer halben Stunde Fahrt erreichen wir den prall gefüllten Parkplatz, von dem aus man auch Burg Regenstein erwandern kann.

Ida wird in den Fahrradanhänger verfrachtet, um unnötigem Zetern wegen müder Beine vorzubeugen. Der Weg beginnt recht simpel, wird jedoch durch Wurzelwerk und Treppenstufen für den Schiebenden zur temporären Herausforderung. Aber wir schaffen es, durch diesen herrlichen, lichtdurchfluteten Laub- und Kiefernwald hindurch die Höhlen zu finden.

Vor uns öffnet sich eine mit weißem Sand durchsetzte, tiefliegende Fläche, an deren Flanken sich helle, durchhöhlte Felsen erstrecken. Wieder einer von diesen Aha-Momenten des Wochenendes. Ida kann es kaum erwarten, auf den Felsen herumzuklettern und die Grotten zu durchsuchen. Überall sind Zeichen, Namenskürzel und Muster eingeritzt, die uns zeigen, wie frequentiert besucht dieser Ort sein muss. Es wird vermutet, dass sich hier ein germanischer Thingplatz befunden hat, also eine Stätte, wo Volks- und Gerichtsversammlungen abgehalten wurden. Was für ein schöner Ort. Doch wir müssen wieder nach Hause und wandern zurück auf Pfaden, die uns mit Sicherheit noch so viel mehr Geschichten erzählen könnten. Ich für meinen Teil nehme tiefe Ehrfurcht mit auf den Heimweg. Ehrfurcht vor der Natur und vor der Vergangenheit.