Aktuelle Lieferverzögerungen
Warten auf das Wunschmobil

Das Jahr 2019 stellte die Reisemobilbranche vor Herausforderungen. Neue Vorschriften sorgen auch aktuell noch für Lieferverzögerungen. Die Gründe sind vielfältig – und haben doch eine Ursache.

Aktuelle Lieferverzögerungen
Foto: Andreas Becker

In den vergangenen Wochen erreichten die promobil-Redaktion zahlreiche Leser-Zuschriften mit ein und demselben Tenor: Kunden warten auf ihr Reisemobil, das bereits hätte ausgeliefert werden sollen. Einzelfälle oder Branchenproblem? Wir haben bei Basisfahrzeug- und Aufbauherstellern nachgefragt.

WLTP sorgt für verspätete Wohnmobil-Lieferungen

Die Lieferverzögerungen hängen vor allem mit der Einführung des neuen WLTP-Messverfahrens bei der Abgasnorm Euro 6d-Temp zusammen, die seit dem 1. September nun auch für leichte Nutzfahrzeuge – und damit für viele Reisemobile – als Maßstab gilt. Durch die neuen EU-Verordnungen wurden die Typprüfmodalitäten im Emissionsbereich deutlich komplexer. Das führt – wie im Vorjahr bereits bei den Pkw – zu Mehraufwand und Verzögerungen bei der Homologation.

Das hat nun auch Auswirkungen auf die Reisemobilbranche. Anders als bei neuen Pkw-Modellen erfolgt die Zulassung bei Reisemobilen im Mehrstufen-Verfahren – näher erklärt im Interview unten. Mehr zum Thema Abgasnorm finden Sie hier.

Bereits lange Lieferzeiten werden noch länger

Die Mehrstufen-Typgenehmigung hat einerseits Vorteile, weil jeder Akteur seinen Produktionsumfang weitgehend unabhängig von den anderen Beteiligten homologieren lassen kann. Andererseits müssen natürlich erst alle Stufen freigegeben sein, bevor ein neues Modell zugelassen werden kann. In einem Jahr wie 2019, in dem viele Änderungen bei Basisfahrzeugen homologiert werden müssen und zudem noch ein neuer Prüfzyklus greift, führt das zu Verzögerungen bereits in der ersten Stufe, was die Lieferzeiten von aktuell acht bis 15 Monaten zusätzlich um mehrere weitere Wochen verlängern kann.

Vor allem die PSA-Gruppe hatte 2019 noch Mühe mit der Homologation der Motoren gemäß den neuen Messverfahren. Die Typgenehmigungen für den Jumper und Boxer erhielt Citroën und Peugeot erst am 12. Dezember. Inzwischen sollen also alle Freigaben vorliegen.

Auch Fiat kämpfte mit Problemen bei der Ducato-Auslieferung. Auf Nachfrage begründet das Fiat so: "Entgegen der ursprünglichen Planung kam es seitens der EU-Kommission Ende letzten Jahres zu einer kurzfristigen Änderung innerhalb der Emissionsverordnung WLTP. Das hat zwangsläufig zu Verzögerungen geführt."

Dabei ging es vor allem um Reisemobile mit 120-PS-Motor sowie der 180-PS-Variante im Zusammenspiel mit der neuen Automatik: "Wie immer, wenn wir eine neue Motorengeneration einführen, erfolgt dies schrittweise. Wie geplant, haben wir sowohl in der Homologation als auch in der Produktion mit den Schaltgetriebe-Varianten von 140 bis 180 PS begonnen. In einem zweiten Schritt kam dann der 120-PS-Motor hinzu. Abgeschlossen wurde der Modellwechsel mit den Automatik-Versionen."

Seit Ende Juni 2019 stehen den Aufbauern laut Fiat alle Homologationen zur Verfügung. In einigen Fällen offenbar zu wenig Zeit, um die Fahrzeuge zum Auslieferungstermin auch zulassen zu können. Insbesondere wenn etwa wegen eines Alko-Chassis noch eine dritte Homologationsstufe beteiligt ist.

Experten-Interview: Homologation von Wohnmobilen

Wir haben Raphael Hofer, Leiter des Technischen Dienstes bei der TÜV SÜD Auto Service GmbH zum Thema befragt.

Aktuelle Lieferverzögerungen
TÜV SÜD
Raphael Hofer, Leiter des Technischen Dienstes bei der TÜV SÜD Auto Service GmbH.
Was genau versteht man unter dem Begriff "Homologation"?

Der Begriff der Homologation leitet sich aus dem Griechischen ab und bedeutet "Übereinstimmung". Mit dem Begriff wird gemeinhin das Verfahren für die Zulassung von Kraftfahrzeugen, Fahrzeugteilen und Anhängern bezeichnet. Das Resultat einer Homologation ist im automotiven Umfeld die Typgenehmigung, die von zuständigen Behörden erteilt wird. Im Zuge einer Typgenehmigung bescheinigt eine Behörde, dass ein Fahrzeugtyp den gesetzlichen Anforderungen entspricht.

Nach welchen Kriterien wird eine Homologation durchgeführt?

In der Europäischen Union haben wir ein harmonisiertes Typgenehmigungsverfahren für Pkw, Lkw, Busse und Wohnmobile. Den Rahmen hierfür steckt die europäische Richtlinie 2007/46/EG. Diese Rahmenrichtlinie verweist auf weitere EU- oder UN/ECE-Einzelrechtsakte, in denen die Anforderungen an einzelne Systeme definiert werden, zum Beispiel für Bremssysteme. Darüber hinaus sind für Einzelfahrzeuge nationale Gesetze wie die deutsche StVZO zu berücksichtigen.

Wie läuft ein Homologationsprozess ab?

Um den verschiedenen Fahrzeugklassen gerecht werden zu können, wurden unterschiedliche Homologationsverfahren etabliert. Wohnmobile werden meist in einem Mehrstufen- und Mehrphasenhomologationsverfahren typgenehmigt. Dabei werden für einzelne Systeme wie Bremsen, Beleuchtung und Emissionen eigene Systemtypgenehmigungen erteilt. Diese Systemgenehmigungen werden wiederum in einer Gesamtfahrzeuggenehmigung nach 2007/46/EG zusammengefasst. Eine Mehrstufenhomologation bezeichnet die Typgenehmigung eines Fahrzeugs, das in mehreren Stufen gefertigt wird. Ein Beispiel aus dem Wohnmobilbereich ist ein auf ein vorproduziertes Fahrgestell im zweiten Schritt aufgebauter Wohnaufbau. Der Fahrgestellhersteller wäre in diesem Beispiel der Hersteller der 1. Stufe, und der Aufbauhersteller wäre der Hersteller der 2. Stufe.

Und wie geht es dann weiter?

Jeder Hersteller muss den von ihm gefertigten Fahrzeugtyp hinreichend beschreiben. Auf Grundlage dieser Beschreibung wird ein Testprogramm durch oder in Begleitung eines Technischen Dienstes wie TÜV SÜD durchgeführt. Nach positiver Beurteilung und Dokumentation des Technischen Dienstes werden die Dokumente an die jeweilige Behörde gesendet, die auf dieser Basis eine Genehmigung erteilt. Zusätzlich zu den eingereichten Unterlagen und Testergebnissen muss bei einem Hersteller vor der erstmaligen Genehmigung eines Fahrzeugtyps eine sogenannte Anfangsbewertung durchgeführt werden. Hierdurch wird sichergestellt, dass die fortlaufende Produktion jederzeit dem genehmigten Typ entspricht.

Fazit

Die Zahl der betroffenen Mobile schwankt je nach dem Produktportfolio der Aufbauer. Bei Herstellern, die auf Citroën- oder Peugeot-Basis bauen, kann es aufgrund der späten Typgenehmigungen noch zu Lieferverzögerungen kommen. Der Caravaning Industrie Verband Deutschland (CIVD) äußert sich jedoch optimistisch und rechnet mit einer Normalisierung im ersten Quartal 2020.

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Erscheinungsdatum 03.05.2023

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