Nein, das soll keine Lobesarie auf die B-Klasse von Hymer werden. Allerdings taugt sie exzellent, um sich auf die Spur des reisemobilen Fortschritts zu begeben. Die Kontinuität der Baureihe ist beispiellos. Was nicht heißen soll, dass ein Hersteller nicht gelegentlich überprüfen sollte (sogar muss), ob ein Modellkonzept noch zeitgemäß, noch gefragt ist. Was aber sehr wohl beweist, was für ein großer, zukunftsfähiger Wurf Erwin Hymer mit dem Inte- grierten gelungen ist. Seine Geschichte ist der Werdegang vom Brot-und-Butter-Reisemobil mit lange konkurrenzlosem Preis-Leistungs-Verhältnis zum noblen Oberklasse-Komfortintegrierten für Betuchte und markenbewusste Urlaubsnomaden.
Vier Modelle erzählen diese Geschichte des Fortschritts, die Etappen der Entwicklung eines Reisemobils: das Hymermobil 581 BS von 1979, die B-Klasse 654 von 1992, eine B-Klasse 504 von 2004 und ein aktueller Modern Comfort 680.
Hymermobil 581 BS (1979)





Das war schon revolutionär damals, was die Hymer KG 1979 für 43.790 Mark auf den Markt brachte. Der Typ 581 BS war zwar namentlich noch keine echte B-Klasse, darf aber als deren legitimer Vorläufer gelten. Der charakteristische Knick im Dach, der auch die Nachfolger kennzeichnet, nimmt dem Mobil im Zusammenspiel mit der leicht angekeilten Form das Schuhschachtelhafte, die Bauchbinde hält das Design optisch zusammen. Die eigentliche Revolution der neuen, abenteuerlich aufwendigen integrierten Bauweise indes war weniger das Design als vielmehr die nie dagewesene Raumökonomie.
Das Hubbett im Bug macht erst die außerordentliche Kompaktheit des 581 von lediglich 5,56 Meter Länge möglich. Den Aufbau angesichts der filigranen B-Säulen so robust hingekriegt zu haben, dass die Frühstücksbrett-plane Frontscheibe nicht alle zehn Kilometer reißt – Hut ab vor der Stahlrohrrahmen-Bauweise. Die Übersichtlichkeit des 581 ist für einen Integrierten geradezu spektakulär. Leider ist der BS nicht fahrbereit, doch man kann sich das phlegmatische Temperament des 80-PS-Benziners leicht ausmalen.

Die Instrumentierung im Armaturenbrett des Bedford Blitz – der Ducato betritt erst 1982 die Bühne – ist äußerst sparsam. Fahrer und Beifahrer haben zur Linken bzw. Rechten je einen Warmluftausströmer. Eine Belüftung der Windschutzscheibe hielt man offenbar für entbehrlich. Ein planes Brett – für einen Anflug von Gefälligkeit mit etwas gelbbraunem Kunstleder bezogen – verlängert den Instrumententräger zur Bugspitze hin. Die Sitze bieten, was mit dem Wort Restkomfort fair umschrieben ist, aber immerhin schon zwei Armlehnen.
Aber diese Wohnlichkeit! Der Innenraum empfängt Reisende mit dem dunklen Charme der 70er Jahre. Die Möbel schmückt viel echtes, wild gemastertes Walnussfurnier, haben abgerundete Kanten, auf die der historische Prospekt ausdrücklich hinweist. Auffällig ist auch der geradezu verschwenderische Einsatz von Textilien, Vorhängen, Gardinen und Teppichen. Der Raumeindruck ist bis auf die Stehhöhe ehrlich gesagt fantastisch. Dabei wirkt das Ganze sehr aufgeräumt, insbesondere wenn die Küche komplett abgedeckt ist. Von ihrer unfassbaren Gemütlichkeit hat die Rundsitzgruppe im Heck auch nach über 40 Jahren nichts eingebüßt.
Das Bad – ein Traum in 70er-Jahre-Fliesenoptik, aber passabel geräumig und mit ordentlich Stauraum. Die bereits fest eingebaute Banktoilette besitzt einen ebenso neckisch wirkenden wie praktischen Klorollenhalter, in dem das Papier selbst beim Duschen nicht nass wird. Wann hat Thetford den eigentlich aussortiert? Fließend Warmwasser gab’s damals schon, und apropos: Die Duschtasse präsentiert sich gänzlich rissfrei – bemerkenswert.
Hymer B-Klasse 654 (1992)





Wir schlendern mal rüber zum B 654. Die Welt hat sich ein Jahrzehnt später stilistisch ein gutes Stück weitergedreht und lächelt nun freundlich durch die gewölbte Panorama-Frontscheibe im 16:9-Format. Mit dem gerundeten Bug tritt die B-Klasse von 1992 dynamischer und ausgereifter auf. Sie basiert seit 1984 auf dem Fiat Ducato, der mittlerweile die Reisemobilbranche dominiert. 1992 ist es der junge Typ 290.
Rund 270.000 Kilometer hat der B 654 auf dem Tacho, springt nach einem Dreh am Zündschlüssel (links!) aber besser an als mancher Neuwagen. Das Kupplungspedal verlangt nach einem kräftigen Oberschenkel. Erster Gang – der Schalthebel ragt rechts aus der Lenksäule – und los. Zum Mitschwimmen im Stadtverkehr reichen die 95 PS gut aus, tapfer kämpft sich der Wagen die Hänge hoch aus dem Stuttgarter Kessel. Jenseits der 80 km/h geht ihm an Autobahnsteigungen indes zügig die Puste aus. Macht nichts: Tempo 100 reicht völlig, wenn man sich in noch angemessener Lautstärke unterhalten will. Davon abgesehen schnurrt der 2,5-Liter wie eine Nähmaschine – Motoren bauen, das konnten die Italiener schon immer.
In Würde patinierter Hammerschlag ziert den 92er von außen. Glattblech gab’s erst für den facegelifteten Nachfolger. Eine Fahrertür hätte es gegeben, für rund 1.200 Mark extra allerdings. So bleibt als einziger Zustieg in den B 654 die zweigeteilte Stalltür – nicht mehr zeitgemäß, schon klar, aber irgendwie charmant. Die Trittstufe verlangt immer noch Handarbeit, allerdings schließt die Blende elegant mit der Aluschürze ab. Im Sommer 1991 führt Hymer die hochwertige PUAL-Bauweise für Dach und Wände ein; der Boden besteht indes weiter aus Holz.

Drinnen ist aus Nussbaum Teak geworden. Die Tonalität ist aber eine ähnliche und wirkt mit dem dunklen Holz eher rustikal aus heutiger Perspektive. Allerdings kommt schon 1992 alternativ eine sehr helle, Time-Line genannte Stilwelt mit silbergrauen Oberflächen, für 3.300 Mark Aufpreis, heute überaus selten, weil damals vielen zu modern. Auf 77.250 Mark summiert sich so ein 654. Der seinerzeit sehr populäre 544 kam 1990 auf 56.950 Mark. Dem Möbelbau attestierte promobil damals gute Verarbeitung und solide Machart, was man auch heute noch nachvollziehen kann.
Der Grundriss, ein B 654 mit damals äußerst stattlichen 6,68 Meter Länge und dem seinerzeit sehr gängigen Längsbett, wirkt selbst ohne integriertes Fahrerhaus überaus weitläufig. Neben der Dinette liegt die ellenlange Küche. Maximal 100 Liter Kühlvolumen mussten reichen, auch Stauraum gibt’s nicht im Übermaß, aber sonst ist bis zum elektrischen Dunstabzug (Serie) alles da. Fürs Heckbad gilt dasselbe: Banktoilette (mit Klorollenversteck), Dusche (wiederum ohne Risse in der Wanne) mit "Telefonbrause", davor ein offener Waschtisch. Das passt.
Die Anzahl der Lampen hat sich seit 1979 fast verdoppelt. Dass es trotzdem nur zehn sind, mag erklären, warum die Bordbatterie lediglich 50 Amperestunden speichert. Boiler (unterm Bett) und Heizung (im Küchenblock) sind noch separat. Die Truma C ist noch nicht erfunden. Statt eines tragbaren Wasserkanisters ist der Tank nun fest eingebaut und fasst bereits 100 Liter.
Aus heutiger Sicht erstaunlich: Sämtliche Betten müssen auf Lattenroste verzichten. Der damalige promobil-Testredakteur bemängelt das Fehlen der Unterfederung jedoch überraschenderweise nicht.
Hymer B-Klasse 504 (2004)





Aufbruch in die Moderne. Zwischen der B-Klasse von 1992 und dem Kandidaten von 2004 liegen anderthalb Generationen. Nicht weniger, aber auch nicht mehr, was erstaunlich ist, denn der B 504 tritt gefühlt doch mehr als eine Dekade moderner auf. 1997 eingeführt, ist es das B-Klasse-Gesicht mit der längsten Halbwertszeit. Es löst die 1994 zusammen mit dem neuen Ducato 230 eingeführte Modellreihe nach nur drei Jahren Bauzeit ab. Diese viel kantigere B-Klasse wird zwar nach 1997 als B-Classic noch einige Jahre weitergeführt, doch eine wegweisende technische Neuerung läuft ihr schließlich den Rang ab.
Mit der Modellpflege 2000 bekommt die B-Klasse erstmals einen Doppelboden, der die Technik frostsicherer, das Mobil wintertauglicher macht und zudem im Untergeschoss ein Durchladefach schafft. Hymer setzt den PUAL-Aufbau mit den gerundeten Kanten dazu auf einen Alko-Tiefrahmen, implantiert zudem als einer der ersten Hersteller die neue Heizungs- und Boiler-Kombi von Truma.

Die für Integrierte typische Armaturenbrettverlängerung ist ansehnlich gestaltet, Front- und Seitenscheiben lassen sich nun mittels Faltjalousien verdunkeln und nicht mehr per Vorhang. Das Facelift 2003 kennzeichnen graue Seitenwände und ein neuer Möbelbau, dessen gewölbte Klappen nun statt Echtholzrahmen großflächige Kunststoffgriffe zur Schau stellen. Deutlich heller war das Birnbaum-Dekor schon 1997 geworden.
Drunter steckt seit 2002 ein Ducato 244, zu sehen am etwas verspielten Cockpit und zu hören – wenn auch gut gedämmt – am kultivierteren Common-Rail-Turbodiesel. Der tritt in der damals stärksten Version mit 128 PS noch immer passabel kräftig an. So motorisiert kostet ein B 544m im Modelljahr 2002 rund 53.000 Euro.
Die Grundrissfülle der Zeit ist enorm. Zeitweise werden bis zu 13 unterschiedliche Aufteilungen gehandelt. Der B 504 ist mit seinem heute ungewöhnlichen Einzelbett quer im Heck mit nicht mal sechs Meter Länge der kürzeste, die Konstellation im Wohnraum wirkt dadurch sehr konzentriert, doch die Sitzgruppe mit der L-Bank in den sehr bunten Toulouse-Polstern hat eine gewisse Großzügigkeit bewahrt. Praktisches Detail ist die Zentralverriegelung der Küchenschubladen. Phänomenal ist die riesige Dachhaube im Bad, die immens viel Tageslicht einlässt. Der Stauraum ist ausreichend, die Garage groß. Über den Innenraum verteilen sich auffallend viele Garderobenhaken.
Hymer B Modern Comfort 680 (2018)





Die Neuzeit bricht an. Die Modellvielfalt ist auch eine Antwort auf die immer größer werdende Konkurrenz. Ebenso das Entwicklungstempo. 2006 steht wieder eine neue Generation am Start. Schon 2010 folgt erneut eine komplette Überarbeitung. Allmählich sickert der Mercedes Sprinter als Ducato-Alternative ins Programm ein. 2018 steht mit der B-Klasse Modern Comfort wieder ein integrierter Hymer auf einem Mercedes-Fahrgestell.
Druck auf den Startknopf, Stutzen. Man muss schon zweimal hinhören, so leise ist der Motor und abgesehen davon hervorragend gedämmt. Neben der spielerisch leichten Lenkung assistiert der Sprinter mit allerhand Fahr- und digitalen Bedienhilfen. Ohne dieselben beträgt der Grundpreis mit 150 PS inzwischen 127.000 Euro. Bis 170 PS sind möglich, gepaart mit der Neun-Gang-Automatik ein äußerst schätzenswerter Antrieb. Der Vorderradantrieb ermöglicht den Einsatz des SLC-Chassis, das Platz bietet für besonders große Wassertanks und viel zusätzlichen Stauraum.

Trotz seiner stattlichen Länge von 7,39 Meter wirkt der 680, der größte von fünf verbliebenen Grundrissen, im direkten Vergleich mit den Vorgängern etwas zugebaut. Seine Modernität zeigt sich hier auch in dem Effizienzgedanken, jeden Quadratzentimeter mit Funktion auszufüllen. So tischt etwa die Küche außer dem großen 142-Liter-Kühlschrank alles auf, was man unterwegs zu schätzen weiß. Besonders bequem ist die Nutzung des Bads gedacht. Waschraum und Duschen stehen separat einander gegenüber. Freilich verbraucht die Anordnung viel Platz und so entsteht hier – im Durchgang zu den inzwischen zum Standard gewordenen, weil sehr leicht zugänglichen Einzelbetten – die größte Engstelle in dem ohnehin nicht sonderlich breiten Laufweg.
Das Wohnraum- und Möbeldesign ist viel moderner, heller und cleaner, nicht mehr so holzig. Die Polster tragen neutrales Grau. Das macht sie aus heutiger Perspektive gefälliger, täuscht aber nicht darüber hinweg, dass das längste Mobil in diesem Vergleich die beengteste Sitzgruppe hat.
Doch was für eine Beleuchtungsvielfalt! Hell, hübsch, funktional und dimmbar stimmungsvoll. Elektronik und Digitalisierung haben Bedienung und Wohnraum erobert. Willkommen im Jetzt.
Spannende Geschichte? Hier finden Sie noch mehr über die Historie der Hymer B-Klasse und die Entwickungsgeschichte der Marke Hymer.
Fazit
Das Design ausgereifter, die Technik versierter, die Betten bequemer, die Kühlschränke größer, die Funktionen umfangreicher, die Bedienung digitaler, die Motoren kräftiger, die Basisfahrzeuge sicherer. Garagen für Fahrräder und vieles mehr. Es sind eine ganze Menge Aspekte, in denen sich der Fortschritt im Wohnmobilbau definiert. Doch es ist keineswegs so, dass die Mobile von damals nicht ihre Vorzüge hätten – auch gegenüber aktuellen. Ein Gefühl für Raum, Möbel konnten sie seinerzeit schon bauen. Und Wohnbereiche mit Bewegungsfreiheit – das hatten sie damals besser drauf.
Dankeschön: Für die großartige Unterstützung bei dieser Geschichte danken wir dem Erwin Hymer Museum Bad Waldsee, das uns den frühen 581 BS zur Verfügung stellte. Vielen Dank auch an Bruno Hilbig für den B 654, Thomas Schwarzwälder für den B 504 und Hymer für den B-MC 680.