Der Sand auf Usedom ist weich, fast wie Mehl, und hell. Er ruft: Zieh die Schuhe aus, geh barfuß, grabe deine Füße ein – und geh einfach los. Von Deutschland am Strand entlang nach Polen? Das geht nur hier, auf Usedom.
An der Seebrücke von Heringsdorf sind wir gestartet und wollen rüber nach Swinemünde, der polnischen Stadt auf der anderen Seite. Schön ist das hier, der Ostsee-Wind bläst uns um die Ohren. Das Mobil steht derweil auf dem Stellplatz in Heringsdorf. Bald erreichen wir die Seebrücke in Ahlbeck – ein Stück weiter dreht sich das Riesenrad, das besten Weitblick garantiert. Die Strandkörbe sind das perfekte Tagsüber-Domizil, alle gleich entsprechend Wind und Sonne ausgerichtet. Nebensaison, ein paar Mutige gehen auch schwimmen. Die meisten aber sind zu StrandläuferInnen geworden.
Die Grenze bemerken wir gar nicht, weit hinten, an der Düne, stehen zwei Pfosten in den Farben der Flaggen, aber ansonsten ist die Welt hier offen für unseren kleinen internationalen Spaziergang. Nur die Strandkörbe sind hier blau-weiß und die Cocktails in den Strandbars etwas günstiger. Die Promenade ist herausgeputzt, die Speisenangebote sind zweisprachig. Man kann in Zloty oder in Euro zahlen. Und auch der Rückweg ist später höchst angenehm: Die Bäderbahn fährt regelmäßig und günstig.
Die längste Strandpromenade Europas
Der wunderschöne Strand und die längste Strandpromenade Europas verbinden die drei Kaiserbäder Bansin, Heringsdorf und Ahlbeck mit Swinemünde. Übrigens: Den Beinamen Kaiserbäder erhielten die drei Orte, weil da einst der österreichische Kaiser Franz-Josef I. und der deutsche Kaiser Wilhelm II. ihren Urlaub verbrachten. Im 19. Jahrhundert wurden aus den Fischerdörfern mondäne Seebäder, in denen sich die Schönen und die Reichen trafen. Wer Geld hatte, baute sich damals hier eine Villa als Sommerresidenz – sie sind oft verspielt, tragen Elemente von Klassizismus und Jugendstil in sich. Gebaut wurden sie um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert.

Das ist die eine Seite von Usedom, hier kann es im Hochsommer schon mal trubelig werden. Geht man aber ein bisschen weg von den berühmten Bädern, dann trifft man auf das andere Usedom, das oft ruhig und manchmal noch richtig wild ist.
Radtour von Bansin nach Ückeritz
Der Weg führt durch einen uralten Buchenwald, bergauf und bergab. Waldbaden erledigen wir hier quasi nebenbei, tief atmen muss man ja zwangsläufig beim Bergan-Strampeln. Es sind die Terpene – von den Bäumen ausgeschiedene Stoffe –, die uns guttun, sie stärken unser Immunsystem. Und dann kommt etwas, das es auch nur auf Usedom gibt: der Naturcampingplatz "Am Strand" – er zieht sich über viereinhalb Kilometer lang. Die Ostsee ist einen Katzensprung entfernt, nur mal eben über die Straße und die Düne, schon liegt wieder ein weiter, heller Strand vor uns. Viereinhalb Kilometer – er hört und hört nicht auf, geht aber dann über in eine Ferienhaussiedlung und schließlich in das Städtchen Ückeritz mit Läden, Cafés und Restaurants. Vor den Caravans und Reisemobilen wird gegrillt und gekocht.
Radfahren macht großen Spaß auf Usedom – wir sind jeden Tag unterwegs, mal an der Küste entlang in die Seebäder, die sich aneinanderreihen – Kölpinsee, Trassenheide, Zinnowitz, Karlshagen – und wie sie alle heißen. Überall herrscht unaufgeregte Sommer-Leichtigkeit. In Peenemünde schließlich ist Geschichte zum Greifen nah: An der Pier liegt das russische Museums-U-Boot Juliett U-461. Gegenüber das Historisch-Technische Museum, in dem die Rolle der Peenemünder Versuchsanstalten zwischen 1936 und 45 dargestellt wird.

Nach so viel bedrückender Vergangenheit freuen wir uns über die frechen Sprüche an der schwimmenden Hafenbar "Zum dünnen Hering" neben dem riesigen Reisemobilstellplatz auf der Halbinsel: "Wer nackt badet, braucht keine Bikinifigur!", steht da. Zum Glück, denn hier gibt’s das selbsternannte beste Fischbrötchen Usedoms – mit Matjes oder Bismarck.
Ostseeküstenradweg
Und dann gibt es Orte, da ist die Insel ganz ruhig und wirklich idyllisch. Zum Beispiel hier, am Ostseeküstenradweg, er führt direkt am Dünencamp Karlshagen vorbei, dann durch einen hohen, lichten Kiefernwald. Der Waldboden ist vollständig mit dickem, weichem Moos bedeckt. Heute biegen wir in Zinnowitz ab auf die Halbinsel Gnitz, in Richtung Lütow ans Achterwasser. "Achter" kommt aus dem Niederdeutschen und bedeutet so viel wie "hinteres" Wasser, das Meer also auf der Rückseite der Insel Usedom. Das Achterwasser ist viel sanfter und ruhiger als die Ostsee, die mancherorts ganz nah ist. Wir radeln auf Sträßchen durch winzige Dörfer und landen schließlich in Krummin, einem idyllischen Naturhafen.
Unterwegs kommen wir am "Gnitzer Seelchen" vorbei. Ein liebevoll eingerichtetes Café, draußen im urigen, wuchernden Garten sitzen die Gäste gemütlich unter Sonnenschirmen oder Bäumen bei Kaffee und Kuchen. Aber nirgendwo kann man das Achterwasser charmanter erkunden als an Bord der "Weissen Düne". Der wunderschöne Zweimaster, der schon mehr als 100 Jahre durch die Welt schippert, fährt den Sommer über auf große Tour durchs Achterwasser. Das historische Segelschiff ist 45 Meter lang, 6,60 Meter breit mit einem Tiefgang von nur 1,60 Metern. Es weht ein leichter Wind, das Schiff gleitet ruhig durchs Wasser. Es ist ein Traum. "Mein absoluter Lieblingsfleck ist Neppermin", sagt Kapitänin Jane Bothe. "Das ist eine ganz wunderschöne, naturbelassene Bucht am südlichen Zipfel des Achterwassers. Die hab ich für mich erobert", meint sie.
Dort kann man also die ganze Saison über nach Jane Bothe und ihrer "Weissen Düne" Ausschau halten: Von April bis Oktober startet das Schiff mehrmals pro Woche von Neppermin, aber auch von Wolgast und Karlshagen aus zu Fahrten durchs Achterwasser. Wieder so etwas, das man nur auf Usedom erleben kann.
Einmal um die Ostsee

Würde man den gesamten Radweg abfahren, wäre man monatelang unterwegs. Der Ostseeküsten-Radweg – auch EuroVelo 10 – führt durch neun Länder, einmal rund um die Ostsee. Wer kürzer treten möchte, kann in Deutschland bleiben und dort immerhin auch mehr als 1110 Kilometer zurücklegen. Lang wird einem die Fahrt zum Glück nicht vorkommen – dank weniger Höhenmeter, abwechslungsreicher Landschaften und spannender Zwischenstopps. So könnte man entspannt in 15 Tages-Etappen von Harrislee bei Flensburg nach Ahlbeck auf Usedom radeln – immer dem blauen Logo nach. Ein stabiles Tourenrad oder ein E-Bike ist dabei Gold wert – denn an der Küste kann’s manchmal auch stürmisch werden.
Ob es an der letzten Etappe liegt oder am Zauber Usedoms – spätestens bei der Überquerung der Peenebrücke Wolgast steigt die Euphorie. Die weiten Strände und die Villen im Stile der Bäderarchitektur und beeindruckende Seebrücken bilden den krönenden Abschluss der Tour.
Kulikarik-Tipp: Wie wär’s mit einer Soljanka?
Säuerlich-scharf muss sie sein und von innen wärmen.

Slawen brachten den osteuropäischen Eintopf im 10. Jahrhundert mit auf die Insel und er blieb, bis heute. Die Soljanka ist ein bodenständiges Essen. Traditionell mit Wurst, Fleisch, Fisch oder Pilzen zubereitet, wurde das, was gerade im Kühlschrank war, mit in den Topf geworfen – unter anderem auch Gewürzgurken. Trotz aller Einfachheit sollte die Zubereitung nicht unterschätzt werden. Die flüssigen und festen Bestandteile der Suppe werden getrennt zubereitet, erst kurz vor dem Servieren werden sie gemeinsam erwärmt – und wehe dem, der statt Gurkenlake Essig verwendet.
Peenemünde: Voller Geschichte

Die Versuchsanstalt Peenemünde war von 1936 bis 45 das größte militärische Forschungszentrum Europas, bis zu 15.000 Menschen arbeiteten hier an Waffensystemen, auch Zwangsarbeiter aus einem KZ. Das Historisch-Technische Museum arbeitet die Geschichte der Entstehung und Nutzung dieser Waffen auf. Von hier aus startet ein Rundweg – eine Zeitreise – zu 23 historisch interessanten Stationen. Folgende App hilft: "Peenemünde Denkmal-Landschaft". Das Gelände ist aber auch Kulturstätte geworden. In der Turbinenhalle des Kraftwerks etwa finden Konzerte im Rahmen des Usedomer Musikfestivals statt.
Die schönsten Orte auf Usedom
Breite Prachtpromenaden, Jugendstilvillen, alte Hotels im wilhelminischen Stil und lange Seebrücken: Eine Tour durch Usedoms Seebäder ist wie ein Spaziergang durch Deutschlands elegante Vergangenheit.
Swinemünde Die vom Fluss Swine zweigeteilte Hafenstadt gehört zu den beliebtesten Orten an der polnischen Ostsee. Gründe dafür könnten die 12 Kilometer lange Strandpromenade, das historische Stadtzentrum und das große Kurviertel sein. Besonderes Highlight: die "Stawa Młyny”, eine Windmühle, die auf einem Wellenbrecher mitten im Meer steht.

Ahlbeck Villen im Stil der Bäderarchitektur und reetgedeckte Fischerkaten; Ahlbeck ist ein elegantes Ostseeheilbad mit einem Hauch Seefahrer-Nostalgie. Beim Besuch der Konzertmuschel, einer kleinen Open-Air-Bühne, oder beim Speisen im Restaurantpavillon auf Deutschlands ältester Seebrücke fühlt man sich in die Kaiserzeit zurückversetzt.
Heringsdorf Ausgedehnte Parkanlagen und prächtige Jugendstilvillen: Willkommen im elegantesten und ältesten Seebad Usedoms. Einige Villen sind heute Pensionen, die Villa Irmgard ist ein Heimatmuseum. Eine Besonderheit des Heilbades ist die Seebrücke. Sie ist die längste Deutschlands, mit Restaurant, Museum und Geschäften.
Karlshagen Hier weht sogar im Hafen die Blaue Flagge, und das, obwohl er einer der größten der Insel ist. 117 Schiffe können im Yachthafen des Seebades anlegen, trotzdem zählt die ehemalige Fischerkolonie zu den ruhigeren Urlaubsorten der Insel. Was ihn ideal für Familien macht? Der breite Sandstrand, der hunderte Meter flach ins Meer führt.
Peenemünde Seit 30 Jahren liegt Juliett im Peenemünder Hafen. Ihr voller Name ist Juliett U-461, sie gehörte der Baltischen Rotbannerflotte und ist heute ein Museum. Der kleine Ort Peenemünde wurde bereits 1282 urkundlich erwähnt und blickt auf eine lange und bewegte Geschichte zurück.
Wolgast Nur zwei (Auto-)Brücken verbinden Usedom mit dem Festland, eine davon ist in Wolgast. Ein Zwischenstopp in der ehemaligen Herzogstadt lohnt sich. Von der Residenz auf der Schlossinsel ist leider nichts mehr übrig, dafür zeugen stattliche Bürgerhäuser und z. B. die beeindruckende Kirche St. Petri von der damaligen Bedeutung der Stadt.