Mitten im Leben. Eine wundervolle Frau und zwei tolle Kinder. Ein Haus auf dem Land mit Hund und Pferd. Auto und Motorrad in der Garage, ein Job, der Spaß macht und fordert. So weit alles „normal“. Und bevor die Krise kommt, schieße ich mich bewusst aus der Komfortzone hinaus und gehe für zwei Wochen mit einer kleinen Gruppe von Fotografen ins Hinterland von Vietnam. Eine Teeplantage in Môc Châu 2016: Hier entsteht sie, die Idee von zeitlos Schottland. Hier wird mir klar, was ich brauche: Zeit. Zeit für mich und Zeit für meine Familie. Und Zeit spüre ich am besten, wenn ich sie vergessen kann ...
Sommer 2017: Wir sind in Schottland angekommen. Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Belgien und die Niederlande liegen hinter uns, eine gute Zeit, aber auch strapaziös. Ich bin alleine mit unseren zwei Kindern in unserem alten Wohnmobil – das wir extra für diese Reise kauften – unterwegs. Die Skepsis sämtlicher Bekannten und Freunde war groß, aber mein Dickkopf hat sich durchgesetzt.

Zehn Tage sind wir schon unterwegs, genügend Zeit, um alles zu genießen und nicht nur stur von A nach B zu fahren. Meine Frau holen wir erst am Flughafen in Edinburgh ab, sie reist mit dem Flugzeug aus Wien an. Die Kinder sind irrsinnig aufgeregt und ich bin ebenso nervös. Wie klappt es jetzt zu viert auf so engem Raum? Die ersten beiden Tage sind etwas anstrengend für mich, viele Gewohnheiten muss ich umstellen, viele Abläufe ändern. Das Ego etwas zurücknehmen und Verantwortung abgeben – ich bin nicht mehr alleine dafür zuständig, dass alles passt.
Zwei Tage Edinburgh, einerseits um anzukommen, andererseits um die alltäglichen Routinen des Campinglebens ein wenig zu erlernen. Danach verlassen wir das von Touristenmassen übervölkerte Edinburgh und fahren auf einer schmalen Bundesstraße entlang der Küste hinauf in Richtung Aberdeen. Ich rieche das Meer, die Möwen kreischen, der Wind weht mir ständig eine frische Brise ins Wohnmobil. Schafe stehen auf riesigen Wiesen, so als ob jemand weiße Wattebausche verteilt und liegen gelassen hätte. Der Duft von frisch gemähtem Gras, und überall Gerstenfelder … eine Vorahnung der vielen Whisky-Destillerien, die uns auf dem Weg in den Norden begleiten werden.
Easy Living in Schottland
Wir fahren durch kleine Dörfer und machen in Stonehaven eine Rast. Auf einem Parkplatz kochen wir, während die Kids draußen spielen und herumtoben. Freunde finden ist hier einfach, alle sind interessiert, und wir kommen sehr schnell mit den Menschen ins Gespräch. Man gibt uns Tipps für das Übernachten abseits der Campingplätze: „Kein Problem hier bei uns, verhaltet euch so, wie ihr es zu Hause machen würdet, dann ist alles gut.“ Die Reise geht weiter, bis wir an einem magischen Platz unser erstes Nachtquartier aufschlagen, direkt beim New Slains Castle. Unglaublich diese Ruine.
Am Abend sind nur noch wenige Menschen hier, und so können wir das Ambiente richtig aufsaugen. Geisterstunde, ich gehe schlafen, und etwa vier Stunden später bin ich wieder auf den Beinen – der Sonnenaufgang steht bevor, Fotoapparat und Drohne sind bereit, und ich freue mich auf meine ersten Landschaftsbilder.
Es ist kalt, ein dicker Pulli alleine reicht beinahe nicht aus, und nach zwei Stunden verkrieche ich mich wieder in den Bauch unseres Wohnmobils, rein unter die warme Decke und weiterschlafen bis neun Uhr. Die Sonne steht schon hoch am wolkenlosen, tiefblauen Himmel und hat die Luft erwärmt. Nichts spricht gegen ein herrliches Frühstück im Freien bei perfektem Wetter und vor mystischer Kulisse.

Wir genießen diesen Vormittag, bevor wir die Fahrt fortsetzen. Das Ziel: die Orkney Inseln. Die Orkneys sind eine Reise wert, wir fühlen uns auf Anhieb wohl. Ein Besuch der Highland Park Distillery sowie der von Scapa ist unbedingt zu empfehlen, letztere vorzuziehen. Sehr klein, sehr sympathisch, kaum Besucher, umso mehr Zeit für Fragen. Und der Whisky: unfassbar gut. Hier erschließt sich mir und meiner Frau, warum man den Whisky in Schottland früher das „Wasser des Lebens“ nannte: gehaltvoll und nicht zu stark, bekömmlich und harmonisch. Wir kaufen einige Flaschen und kosten nochmal auf unserem Übernachtungsplatz am Meer. Der Tipp kam übrigens von einem Parkplatzwächter. Alleine hätten wir die Straße zu den Dünen nie gefunden. Hier sitzen wir also auf einer Picknickdecke am Strand, das Wohnmobil nur wenige Meter hinter uns.
Die Kids tollen umher, laufen den Wellen davon, sammeln Muscheln. Robben schwimmen unweit vom Ufer, tauchen auf und wieder ab. Wir wissen nicht, wer hier wen beobachtet, sind fasziniert und glücklich. Die Sonne versinkt am Himmel und ein Feuerwerk an Farben entsteht, bevor alles purpurfarben, tiefblau und langsam schwarz wird. In der Hand ein Glas Whisky, und es ist klar: Das ist Schottland. Es kann gar nicht anders sein. Der Geschmack auf der Zunge, gemischt mit dem Geruch des Meeres, all das wird zu einem Ganzen. Wir vergessen zum ersten Mal den Alltag, leben hinein in den Tag, der immer wieder Neues bringt. Niemals langweilig, wir sind Reisende. Nichts drängt uns vorwärts.
Die schönsten Inseln Schottlands
Nach vier Tagen starten wir wieder, fahren auf die Äußeren Hebriden. Lewis and Harris, herrlich. Noch weniger Menschen, noch mehr Landschaft. Das Meer, Sandstrände, Kühe und Schafe. All das nochmals intensiver als auf Orkney. Und doch haben wir das Gefühl, dass noch etwas wartet, fahren auch hier nach vier Tagen ab. Die Insel Uist ist das nächste Ziel, und zwar der nördliche Teil. Alles, was bisher magisch und faszinierend für uns war, groß und unbekannt, wird nun ein wenig in den Hintergrund gerückt und klein.

Uist, immer und immer wieder. Jetzt, wenn ich diese Zeilen tippe, spüre ich es noch. Uist ist unglaublich. Eine Insel wie eine schottische Wiese – viele Schafe und Kühe, manchmal geordnet, manchmal chaotisch durcheinander. Es sind die vielen großen und die unzähligen kleinen Seen, die das satte Grün aufbrechen, die Ordnung neu definieren. Und dazwischen immer wieder das Meer, das sich seinen Weg tief hinein in das Land sucht. Von oben sieht es aus, als ob jemand Wasserfarben wild durchgemischt und einen Topf mit blauer Farbe versehentlich ausgeschüttet hätte. Die Straßen sind klein und eng, hauptsächlich Single track roads mit Ausweichbuchten. Mehr als Tempo 50 ist nicht drin, aber auch nicht nötig. Wir schaukeln uns gemütlich durch die Gegend und können den Blick nicht abwenden. Natur pur, beinahe mehr, als wir verkraften können.
Hier bleiben wir, schlagen unser Lager auf, finden einen ganz ausgezeichneten Campingplatz. Mehr als sechs Wohnmobile können hier nicht stehen, es gibt ein paar Zeltplätze und ein Gemeinschaftshaus mit Küche – hier trifft man sich automatisch, wechselt ein paar Worte oder sitzt zusammen für ein paar Stunden.

Zwei Tage sind schnell vergangen, wir haben noch nicht genug und verlängern, und so werden es sieben Nächte, die wir auf Uist verbringen. Und wir bereuen keine Sekunde. Sandstrände nur für uns, wenn nicht gerade ein kleines Flugzeug landet und sich der Pilot direkt am Strand sein Tischchen aufstellt und einen Kaffee trinkt, bevor er eine Stunde später wieder startet. Fischerboote, die bei Sonnenaufgang hinausfahren auf das Meer und am späten Nachmittag zurückkehren, mit vollem Fang. Menschen, die freundlich winken, wenn sie dich öfter als zwei Mal sehen, was hier nicht schwer ist. Eine deutsche Buchbinderin, die sich vor 14 Jahren ebenso in diese Insel verliebt hat und geblieben ist. Hummertaucher, die vollkommen euphorisch sind, weil ich mit der Drohne über das Meer fliege und ihnen von oben einen kleinen Einblick auf ihre Insel erlaube. Gespräche mit Fremden, die mehr sind als nur ein Smalltalk, wo man sich abschließend umarmt und E-Mail-Adressen austauscht, um in Kontakt zu bleiben.
Ein kleines Stück von Heimat, das wir hier gefunden haben, und ein großes Stück Wehmut, als wir wieder fahren müssen. Die Tage sind gezählt, Abschiedsstimmung stellt sich ein. In unserem Wohnmobil wird etwas weniger gelacht und auch weniger gestritten, unseren Kindern fällt es ebenso schwer, von der Insel Uist und dem Meer Abschied zu nehmen.

Die Fahrt von Oban nach Edinburgh ist angenehm, kaum Verkehr, und selbst das Wetter hat sich unserer Gemütslage angepasst – es regnet gemütlich vor sich hin, die Sonne versteckt sich hinter dicken Wolken. Eine letzte Nacht in Edinburgh, bevor es für meine Frau und die Kinder mit dem Flugzeug zurück nach Österreich geht; mir bleiben noch ein paar Tage, bevor auch ich die Rückreise mit der Fähre antrete. Zeitlos Schottland – eine Idee aus Vietnam wurde hier Wirklichkeit. Den Alltag konnten wir für einige Wochen in eine Kiste packen, in den Tag hineinleben und die Zeit vergessen. Die Erinnerung an Uist und diesen unfassbaren Sommer – diese ganze fantastische Reise – bleibt.
Weitere Bilder von Schottland sind auf dem Blog zu finden: www.nouse4photography.at