Camping-Weltreise in der Mercedes G-Klasse
Er musste ihr versprechen, weiter zu reisen

26 Jahre lang haben Gunther und Christine Holtorf in einem Auto die Welt bereist. Auf 899.000 Kilometern brachte sie ihr Mercedes G durch 215 Länder und zum Teil zu sehr exotischen Zielen.

Bei 500 000 Kilometern lassen die Holtorfs die Korken knallen
Foto: Ulrich Dolde, Gunther Holtorf

Es muss Liebe gewesen sein, die Gunther und Christine Holtorf um die Welt getrieben hat: zueinander, zum Reisen, zu ihrem Auto, zum Planeten Erde, seinen Ländern, Kulturen und vor allem zu den Menschen, denen sie begegneten. Nichts anderes kann ein Paar dazu bewegen, ein halbes Leben lang 215 Länder auf 899.000 Kilometern im Auto zu bereisen. Nicht in einem Luxusliner oder in einem hochgerüsteten Expeditionsmobil, sondern in einem schlichten, komfortlosen Mercedes G. 

Doch die reinen Fakten sagen nur wenig über die Hingabe, mit der Gunther Holtorf am Lagerfeuer von seinen Reisen erzählt. Begonnen hat die unglaubliche Geschichte 1988. Holtorf, Anfang 50, hat gerade eine erfolgreiche Karriere als Airline-Manager hinter sich gebracht. Auf unzähligen Flügen rund um den Globus muss wohl irgendwann der Wunsch entstanden sein, sich das Ganze noch mal aus der Nähe anzuschauen. So kauft er sich für 50.000 Mark einen Mercedes 300 GD Vorführwagen und rüstet den 88-PS-Boliden mit Holzplatte, Matratzen und einem Gaskocher zu einem rudimentären, allerdings immerhin allradgetriebenen Reisemobil aus. Otto heißt das Gefährt und Plüschtier Garfield reist als Maskottchen immer hinter der Windschutzscheibe mit. 

26 JAHRE LANG haben Gunther und Christine Holtorf die Welt bereist.
Ulrich Dolde, Gunther Holtorf
Gemeinsam brachen sie sämtliche Rekorde: Die Weltenbummler Gunther und Christine Holtorf

Nach der ersten Reise durch Kenia springt Holtorfs Frau ab. Nicht nur von der Reise, sondern ganz und gar. Frisch geschieden inseriert der Globetrotter in der Zeitung: "Willst du um die Welt reisen? Suche unkomplizierte, sportliche Begleitung, bereit, eine Abenteuertour durch Afrika und Südamerika zu unternehmen." Auf die Anzeige meldet sich Christine, seine spätere Frau.

Zu zweit beginnt die Reise, alleine endet sie

Zwei Jahre Afrika sollten es werden – ursprünglich –, danach noch Südamerika. Doch erst 2014 hat Gunther Holtorf die Reise beendet – allein. Seine Frau Christine erkrankt 2010 an Krebs und stirbt auf einem Heimaturlaub. Noch auf dem Sterbebett muss Holtorf ihr versprechen, die Reise allein fortzusetzen. 

21 Jahre lang bereisen die beiden gemeinsam die Welt und brechen dabei, eher zufällig, alle Rekorde; halten sogar Einzug ins Guinness-Buch. Sie umrunden Afrika dreimal, fahren rund 250.000 Kilometer abseits asphaltierter Straßen, verschiffen Otto 41 Mal und bewältigen über 400 Grenzübertritte außerhalb Europas.

Einmalige Camping-Touren um die Welt: Nordkorea und Kuba

Gunther Holtorf sprüht geradezu vor Enthusiasmus, als er aus den insgesamt 26 Jahren seinen Touren erzählt. "Als erstes ausländisches Fahrzeug überhaupt erhielt unseres eine Einreisegenehmigung für Nordkorea. Wir waren extrem gespannt auf die Reisebegleiter, die uns Kim Jong-il zur Seite stellte. Die gesamte Reise war bis ins letzte Detail durchchoreografiert", schildert Holtorf, "selbst die Pinkelpausen waren vorgegeben und jeder Kontrollposten im Land war über unsere Reiseroute und die Durchfahrtzeit informiert."

Otto auf dem Dach der Welt, im Basislager des Mount Everest.
Ulrich Dolde, Gunther Holtorf
Weltrekordauto vor Weltrekordberg: Otto auf dem Dach der Welt, im Basislager des Mount Everest.

Er berichtet von Kuba, wo Otto ebenfalls als erstes ausländisches Fahrzeug nach der Revolution auf Tour ging. "Raúl Castro hat die Papiere persönlich unterzeichnet." Auf die Einreiseerlaubnis nach Japan, auf die Philippinen und nach Myanmar warten die Holtorfs jeweils über sechs Jahre.

Kein Weg zu weit: Mount Everest, China, Amazonas oder Syrien

Otto stand auf 5.200 Meter Höhe im Basecamp des Mount Everest und kämpfte sich durch den tiefsten Schlamm im Amazonas-Dschungel. Sie fuhren von Wladiwostok an der Pazifikküste durch ganz Russland, bestaunten die über 2000 Jahre alten Reisterrassen auf der philippinischen Hauptinsel Luzon oder die Ruinen im syrischen Palmyra. Mit Sohn Martin tourte Gunther Holtorf drei Monate lang über 30.000 Kilometer durch China.

180 Ölwechsel lässt der Weltenbummler Otto in 26 Jahren angedeihen. Derlei Servicearbeiten gehen ihm wie geschmiert von der Hand. Auf die Frage, wie sie es so lange auf so engem Raum ohne jeglichen Komfort aushalten konnten, antwortet er: "Das ist alles eine Frage des Timings, zur rechten Zeit am richtigen Ort zu sein. Wenn das Wetter es zuließ, haben wir im Freien übernachtet und gekocht: fürstliche Menüs übrigens", die eine Zutat besonders schmackhaft macht: "die absolute Freiheit. Keinerlei Verpflichtungen!" 

Wieso ausgerechnet mit der Mercedes G-Klasse auf Weltreise?

Warum er sich nicht für ein größeres, komfortableres Fahrzeug entschieden habe? "Kleine Kinder machen kleine Sorgen, große Kinder große. Die Technik des Mercedes G ist überschaubar und daher weltweit gut zu reparieren. Außerdem wären die 41 Verschiffungen mit einem größeren Mobil kaum zu finanzieren gewesen."

Der einzige Unfall der Reise passierte auf Madagaskar.
Ulrich Dolde, Gunther Holtorf
Der einzige Unfall der Reise passierte auf Madagaskar.

Auf die Frage, was das Wichtigste bei einer solchen Reise sei, meint Holtorf trocken: "Du musst losfahren." Und nach der wohl wesentlichsten Eigenschaft gefragt, die man beim Unterwegssein benötigt, erwidert er: "Geduld! Wenn du mehr Geduld und Zeit hast als ein afrikanischer Zöllner, dann hast du gewonnen." Und dann ergänzt er noch: "Und ein Fahrzeug, das so zuverlässig ist wie unser Otto. Der hat die 899.000 Kilometer ohne größere Probleme und vor allem mit dem ersten Motor bewältigt." Er schnurrt immer noch, als wären es gerade erst 89.000. 

Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – darf Otto seinen Lebensabend nach 28 Jahren im Mercedes-Museum in Stuttgart verbringen. Klar, dass einem Abenteurer wie Holtorf das zu langweilig wäre. Er hat sich gerade zwei alte G-Modelle gekauft, um daraus einen neuen Otto zu bauen. Denn den nächsten Winter wird der Fernweh-Geplagte "ganz sicher nicht im kalten Deutschland verbringen, sondern mit Otto 2 in Südamerika", erzählt er schelmisch grinsend. 

Die Reise geht weiter...

Ja, wenn die Liebe zum Reisen groß genug ist, dann können auch 79 Lenze jemanden wie Gunther Holtorf nicht daran hindern, wieder auf große Tour zu gehen. Und das Glück scheint ihm hold zu sein, denn er hat eine neue Lebensgefährtin gefunden, die bereit ist, in sein Lebensgefährt Otto 2 mit einzusteigen. Wir wünschen den beiden eine gute und lange Reise und würden uns gerne ein Beispiel an ihnen nehmen.

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Promobil 10 / 2023

Erscheinungsdatum 13.09.2023

172 Seiten