Um zwei Uhr morgens legt unsere Fähre in Travemünde ab, 32 Stunden später landen wir in Finnlands Hauptstadt an. Rund fünf Wochen liegen vor uns, in denen wir eine große Runde durchs Land machen wollen: an der Westküste hoch, über den Polarzirkel nach Sápmi (früher Lappland genannt) an den Inarisee, Polarlichter und Indian Summer erleben. Aber heute erst mal Helsinki. Wir finden einen prima Stellplatz direkt am Wasser in der Nähe des Zoos. Mit den Rädern geht es rasch ins Zentrum. Helsinki ist eine quirlige Metropole mit viel Grün, reichlich Wasser, guten Radwegen und zahlreichen Sehenswürdigkeiten wie Dom, Felsenkirche, Stadtbibliothek, Sibelius-Denkmal, Esplanade und der Festungsinsel Suomenlinna.
Finnland wird auch das Land der tausend Seen genannt. Tatsächlich reicht diese Zahl noch lange nicht. Es gibt nämlich 187.888 Seen, wobei alle mitgezählt wurden, die mindestens 500 Quadratmeter groß sind. Auf kleineren Straßen schlängeln wir uns durchs Landesinnere Richtung Nordwesten. Heute steht uns der Sinn nicht nach Meer und Küste, sondern nach Wald und Seen. Davon werden wir zwar noch genug sehen, aber wir wollen unbedingt schon mal eine erste Kostprobe.
Finnland-Basiswissen für Camper
Mit 5,5 Millionen Einwohnern auf einer Fläche fast so groß wie Deutschland gehört Finnland zu den am dünnsten besiedelten Ländern Europas. Der Großteil der Bevölkerung lebt im Süden, den wir jetzt langsam verlassen. Ihre Häuser sind hier aus Holz, zartgelb, hellgrün oder dunkelrot angestrichen, liegen zurückgesetzt von der Straße auf großen Grundstücken. Nach 200 Kilometern erreichen wir den See Pyhäjärvi, 25 Kilometer lang, 8 Kilometer breit und mit einem wunderbaren Plätzchen für uns zum Übernachten. So viel sei jetzt bereits verraten: Wir werden auf der ganzen Reise immer wieder einen See für uns allein haben. Ein Übernachtungsplatz wird schöner sein als der nächste.

Auf dem Weg nach Norden legen wir am See Pyhäjärvi eine Pause ein, 25 Kilometer lang, 8 Kilometer breit und mit einem wunderbaren Übernachtungsplatz.
Wir besuchen das Weltkulturerbe Rauna an der Westküste: Die 600 Holzhäuser sind in überraschend gutem Zustand. Im 17. Jahrhundert verwüsteten zwei verheerende Brände den Ort. Seitdem ist er von Feuersbrünsten verschont geblieben, was für eine Holzhausstadt eine Seltenheit ist. Die gut sanierten Holzhäuser dienen heute als Wohnhäuser, beherbergen Geschäfte, Cafés und Restaurants.
Nun müssen wir uns den profanen Dingen zuwenden: Ver- und Entsorgung. Das ist für Camper, die nicht nur auf Campingplätzen schlafen, stets eine Herausforderung. Bereist man ein Land zum ersten Mal, muss man herausfinden, wie und wo man sein Abwasser loswerden, frisches Trinkwasser tanken und seine Toilette leeren kann. In Finnland gibt es, so haben wir gehört, nicht so viele Möglichkeiten wie in manch anderen Ländern. Seit einiger Zeit sollen aber die ABC-Tankstellen diese Angebote haben. Also nichts wie hin. Vor Ort ist es ein bisschen kompliziert: Man muss sich im Imbiss den Schlüssel besorgen, kostet fünf Euro, dafür erklären die Verkäuferinnen super freundlich, wo wir lang müssen. Im Internet gibt es eine Liste der Tankstellen, die Ver- und Entsorgung anbieten (www.abcasemat.fi/en-GB/asemat).

Das Kvarken-Archipel ähnelt einem Mosaik aus Wasser und Land. Unten: Bei den Laavu genannten Hütten kann man gut übernachten.
Die kleine Inselgruppe namens Kvarken-Archipel sollen wir uns unbedingt anschauen, riet uns gestern ein einheimischer Fischer. Recht hat er. Die Unesco-Welterbestätte ähnelt einem Mosaik aus Wasser und Land. Interessant: Die Erde hebt sich hier nach wie vor jedes Jahr um einen Zentimeter. Die Sonne scheint, die 20 Grad sind uns gerade recht, und wir freuen uns über die gut ausgeschilderte, vier Kilometer lange Rundwanderung, an deren Ende ein 20 Meter hoher Aussichtsturm die Erhebung der vergangenen 2000 Jahre symbolisiert und einen wunderbaren Rundblick bietet.
Der Polarkreis
Jetzt verlassen wir die Ostsee und fahren durchs Landesinnere Richtung Polarkreis nach Rovaniemi. Zu Mittag probieren wir eine finnische Spezialität: Leipäjuusto ("Brotkäse") ist ein Käse, der traditionell aus dem Kolostrum der Kuh hergestellt wird, also der Milch, die sie nach dem Kalben gibt. Er wird gebacken, gegrillt oder flambiert. Die Finnen geben ihn manchmal in eine Tasse und übergießen ihn mit Kaffee. Hauptsächlich wird Leipäjuusto aber mit Molte- oder Preiselbeeren kalt oder gebacken aus dem Ofen gegessen. Wir haben ihn im Supermarkt gekauft und wärmen ihn vorsichtig in der Pfanne auf, lecker.

In Rovaniemi überqueren wir den Polarkreis, der dort zu einem größeren touristischen Anziehungspunkt ausbaut wurde.
Die Hauptstraße haben wir schon lange verlassen, jetzt rollen wir auf kleinen Nebenstraßen nach Norden. Es gibt kaum noch Dörfer, ab und zu lugt ein Mökki, ein Sommerhaus, zwischen Bäumen hervor, manchmal eine namenlose Ansiedlung. Die Autos, die entgegenkommen, kann ich an einer Hand abzählen. Meist folgen wir dem Lauf eines Flusses, ab und an passieren wir einen See. Immer sind Birken, Kiefern und Fichten rechts und links von uns.
Polarkreis, wir kommen! Um kurz vor sechs sind wir da. Natürlich machen wir erst mal ein Fotoshooting. Für viele ein touristisches Highlight ist hier das Weihnachtsmanndorf, in dem Santa Claus täglich große und kleine Kinder empfängt. Nach dem Frühstück entfliehen wir dem Rummel, um zu unserer ersten größeren Wanderung in Sápmi aufzubrechen. Wir fahren in die Arctic Circle Hiking Area und suchen uns einen acht Kilometer langen Rundweg aus. Wie fast überall in Finnland geht es auch hier über Bohlenwege übers Moor und durch den Wald.

Laavus sind Schutzhütten für Wanderer und Ausflügler. Sie haben oft eine Feuerstelle und einen Grill samt fertig gehacktem Holz. Meist gibt es auch eine Trockentoilette.
Typisch für Finnland sind die Laavus, Unterstände, in denen Wanderer verweilen können. Ausgestattet sind sie meist mit einer Feuerstelle, einem Grill, einem Trockenklo und gehacktem Holz, das von der Forstverwaltung zur Verfügung gestellt wird, damit die Leute nicht selbst Bäume fällen. An den Laavus kann man zumindest in der Nachsaison gut im Wohnmobil übernachten. Nach dem Wandern machen wir uns auf die Suche nach einem Laavu für die Nacht. Wir stehen direkt am Fluss, weit und breit kein Mensch, nur Kriebelmücken, diese winzigen Blutsauger – damit es nicht zu paradiesisch wird. Aber wir wehren uns mit einer Mückenspirale und einem kleinen Feuerchen, in das wir Würste halten. Ansonsten sind wir um diese Jahreszeit von Mücken glücklicherweise gar nicht geplagt.
Die Polarlichter
Der zweite gute Grund für eine Herbstreise nach Finnland ist die Ruska. So heißt es, wenn sich das Land im September und Oktober in ein Meer aus gelben, roten und orangen Farben verwandelt. Im Norden beginnend breitet sich die Pracht Richtung Süden aus. Es gibt sogar eigene Apps dafür, mit denen man die Ruska verfolgen kann. Wegen dieses goldenen Herbstes sind wir jetzt hier. Gerade zur richtigen Zeit.

In Sápmi, im Norden Finnlands, tanzen farbige Schleier über den Sternenhimmel, die faszinierenden Polarlichter.
Inari ist das Herz Sápmis. Die Rolle der samischen Kultur ist hier groß: 30 Prozent der Einwohner sind Samen, die als einziges indigenes Volk in der EU gelten. Hier ist der Sitz des finnischen Sametings, der parlamentarischen Vertretung der Samen, es gibt eine samische Kirche und das Samenmuseum. An Bord eines Katamarans schippern wir am Nachmittag zwei Stunden über den Inarisee mit seinen 3.000 Inseln und Inselchen. Und stellen fest: An Bord unseres Busses fühlen wir uns wesentlich wohler als auf einem schaukelnden Boot.
Nachts gegen eins flüstert Achim mir zu: "Eva, komm! Es gibt Lichter!" Im Nu bin ich draußen. Leichte graue Schleier tanzen am sternklaren Himmel. Mehr ist mit bloßem Auge nicht zu entdecken. Achim stellt seine Kamera aufs Stativ und auf den Fotos ist es schon farbiger. Eine Nacht später abermals ein Weckruf: "Komm, es gibt was zu sehen!" Und ja, diesmal sehe ich auch mit bloßem Auge Farbe am Himmel, wo türkisfarbene Wolkenbänder wabern. Ich halte die Luft an und staune. Immer wieder ändern die Polarlichter ihre Form, mal sehen sie aus wie ein Trichter, mal wie Tanzbänder, die durch die Luft gleiten. Über all dem Millionen von Sternen.
Herrliche Natur
Wir wenden den Bus nach Süden. Im Urho Kekkonen Nationalpark wollen wir eine kleine Runde drehen, sechs Kilometer auf dem Kuukkeli-Trail. Ein hübsches Wort auf Finnisch für jenen Vogel, der auf Deutsch Unglückshäher heißt. Unser Reiseführer hat den guten Tipp, dass es hier etwa in der Mitte der Wanderung eine Hütte samt Feuerstelle gibt, und empfiehlt, Würstchen zum Grillen in den Rucksack zu packen. Wird gemacht.

Auf den finnischen Straßen kann man entspannt weite Strecken zurücklegen. Mit Elch-Begegnungen darf man rechnen.
Neugierig nähern wir uns eine Stunde später der Hütte. Ob schon jemand drin ist? Ob Feuerholz da ist? Alles bestens. Ein kleines Feuer ist schnell entzündet, die Würstchen liegen bald auf dem Rost. Später gesellt sich noch ein junges finnisches Paar zu uns, das übers Wochenende hoch nach Sápmi gefahren ist. Das Feuer tut gut, weil wir mittlerweile doch ziemlich nass sind. Als wir am Bus ankommen, machen wir die Heizung an, hängen alles zum Trocknen auf und kochen uns einen heißen Kaffee.
Am Nachmittag queren wir den Polarkreis und verlassen damit nach neun Tagen Sápmi. Wir rollen auf der Via Karelia gen Süden, weitere spannende finnische Regionen liegen vor uns, und für morgen ist wieder Sonne angesagt. Die Via Karelia ist eine touristische Route im Osten Finnlands, tausend Kilometer lang, von Sápmi bis hinunter zum finnischen Meerbusen.

Leipäjuusto, der typisch finnische Käse, kann gebacken, gegrillt oder flambiert werden.
Das erste Mal auf dieser Reise steuern wir einenCampingplatz an. Wir müssen waschen, und in den zuletzt besuchten Orten gab es keine Waschsalons. Der Campingplatz bei Kuhmo, unweit der Stromschnellen, soll eine Waschmaschine haben. Hat er, undruckzuck ist unsere Wäsche drin. Dann bleibt uns Zeit zum Nichtstun, die Route zu planen und auf den See zu gucken. In einem kleinen Häuschen am See ist abends Damensauna angesagt. Ich bin dabei. Im Badeanzug, wie es sich hier gehört.Wir sind zu zweit, meine Saunapartnerin sorgt für reichlich Aufguss, und zum Abkühlen geht’s in den See. Wie herrlich ist das denn.
Über den Hiidenportti-Nationalpark mit seinen jahrhundertealten Kiefern und guten Wanderwegen fahren wir weiter nach Koli und erklimmen den gleichnamigen Hügel, 357 Meter hoch, mit einem traumhaften Ausblick. Die vielen Inselchen im See und das tiefe Blau des Wassers sind nicht nur tausendfach fotografiert worden (im Sommer treten sich hier die Touristen auf die Füße), auch viele finnische Maler haben dieses ikonische Motiv auf ihren Leinwänden verewigt.
Ich glaube, hier in Finnland sind wir schon mehr Piste gefahren als in Marokko und Namibia zusammen. Allerdings sind die Naturstraßen hier meist in sehr gutem Zustand, und wir rollen fröhlich gen Süden, als ich aus dem Augenwinkel eine Schar Singschwäne im Feld rechts entdecke. Der Singschwan ist Finnlands Nationalvogel, und wir freuen uns, diese Tiere mit den Ferngläsern beobachten zu können.
Ab in die Stadt!
Olavinlinna ist eine Burg in der Stadt Savonlinna. Sie gilt als die am besten erhaltene Mittelalterburg in Nordeuropa. Auch hier sind wir, gemeinsam mit einem jungen Mann aus Japan, allein. Die Saison ist sehr kurz, maximal drei Sommermonate. Jedes Jahr im Juli finden hier Opern-Festspiele statt. Wir schlendern ein wenig durch die alten Mauern, schauen aufs Wasser, von dem die Burg umgeben ist, und trotz Wind klappt es mit einem Drohnenfoto.

Die Burg Olavinlinna steht in Savonlinna inmitten der Saimaa-Seenplatte im Südosten. Auf eine Felseninsel gebaut, wird sie durch See und Fluss vom Festland getrennt.
Die Südküste ist bald erreicht, und in Helsinki schließt sich der Kreis. Westlich der Hauptstadt finden wir einen guten Grund mehr, bald wieder nach Finnland zu kommen: den Roadtrip über die Schärenringstraße, auch bekannt als Archipelago Trail. Das sind 250 Kilometer, acht Fähren und fünf große Inseln, auf denen sich die faszinierende Schärenwelt mit ihren zahlreichen Inseln, Brücken und kleinen Fähren erkunden lässt.
Mit mehr als 50.000 verstreuten Inseln ist diese Region der größte Archipel der Welt. Vollständig befahrbar ist dieser Trail aber nur von Mitte Mai bis Anfang September. Da sind wir einen Monat zu spät. Immerhin können wir ein Teilstück fahren, von Kaarina, dem letzten kleinen Küstenort vor den Schäreninseln, bis nach Korpo, auf vielen Brücken, immer kleiner werdenden Straßen und drei Fähren. Die gelben Fähren sind kostenfrei und gehören quasi als schwimmende Brücken zum Straßensystem. Die Fähren, die wir benutzen, um über die Åland-Inseln nach Stockholm und nach Hause zu kommen, muss man allerdings bezahlen.