Der Seitenwind hat urplötzlich an Stärke gewonnen, ein kräftiger Griff ins Lenkrad, schon ist das Reisemobil sicher wieder auf Kurs. Rund 25 Meter tiefer kräuseln sich die Meereswellen, wir fahren über die 963 Meter lange Fehmarnsund-Brücke.
Wegen ihrer eigenwilligen Optik gerne auch „Kleiderbügel“ genannt, wurde sie nach dreijähriger Bauzeit 1963 eingeweiht und steht bereits zu Lebzeiten unter Denkmalschutz. An Schönwetter-Wochenenden ist die Bogenbrücke stets gut ausgelastet. Am anderen Ende wartet das nach Rügen und Usedom drittgrößte Eiland unserer Republik: die Insel Fehmarn, von ihren Bewohnern oft selbstbewusst als sechster Kontinent bezeichnet – wir wollen sehen, warum.
Auf Fehmarn, etwa 13 mal 16 Kilometer groß und mit knapp 80 Kilometer Küstenlinie gesegnet, ist vieles ganz anders. „Wir fahren dann mal eben nach Europa“, sagen die Insulaner, wenn sie die große Brücke nordwärts Richtung Kiel oder Hamburg überqueren. Bis 1864 unter dänischer Königsherrschaft und mit Selbstverwaltungsrecht ausgestattet, haben „die jahrhundertelange Freiheit und die Abgeschlossenheit der Landschaft bestimmte Eigenschaften der Bevölkerung besonders geprägt“, wie der Inselforscher Peter Wiepert schon vor geraumer Zeit schrieb. Die Fehmaraner gelten als stolz und eigenwillig, haben sich aber in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr dem Tourismus geöffnet – ihre Insel hat Urlaubern schließlich auch jede Menge zu bieten.
Das sonnigste Wetter unseres Landes zum Beispiel – rund 2100 Stunden pro Jahr strahlt die liebe Sonne im Schnitt vom Himmel, das sind etwa 150 Stunden mehr als in München. Dazu regnet es ein Viertel weniger als auf dem nahen Festland, Sturm und Wolken bleiben meist an der Westküste Schleswig-Holsteins hängen.
Wer hätte das gedacht? Ein ideales Wetter also für den Campingurlaub, und dem wird auf Fehmarn auch fleißig Rechnung getragen: Es gibt zahllose gute Stell- und Campingplätze auf der ganzen Insel, und das Straßennetz ist tadellos.
Wenige Kilometer hinter der Brücke ist schon der Hauptort erreicht. In Burg leben gut 6000 der insgesamt rund 13000 Insulaner. Das Reisemobil steht bequem auf dem großen Parkplatz Osterstraße am Markt (auch über Nacht). Man spaziert vergnügt über Kopfsteinpflasterstraßen, durch schmale Gassen, vorbei an liebevoll restaurierten Fachwerkbauten, dem Jugendstil-Rathaus, Heimatmuseum und Nikolaikirche. Sommers sorgt der Durchgangsverkehr hier öfter für Stau, wodurch das Inselstädtchen dem Vernehmen nach fast seinen Titel als Heilbad verloren hätte. Seis drum – mit seinen schönen Shops, Cafés und Restaurants ist Burg mehr als nur einen kurzen Abstecher wert.
Der Ort befindet sich im Inselinneren, sein zugehöriger Hafen liegt zwei Kilometer südlich und heißt Burgstaaken. Hier ist immer was los, schließlich schmückt man sich mit dem Beiwort Erlebnishafen. Von kleinen Kuttern wird frischer Fisch verkauft, der auch in Restaurants und Buden ringsum auf den Tisch kommt. Da locken Shanty-Festivals, Übersee-Museum, Hochsee-Angelfahrten, 40 Meter hohe Kletterrouten im alten Getreidesilo, das U-Boot-Museum, Kinderland, Adventure-Minigolf, die Naturkunde-Ausstellung Planet Erde und das Science Center Experimenta – Programm also für die ganze Familie.
Der schönste Strand der Insel, der besonders feinsandig und nach Süden ausgerichtet ist, liegt unweit von Burgstaaken auf einer vorgelagerten Landzunge und wird Südstrand genannt. Er fällt kinderfreundlich flach ins Meer ab, es gibt reichlich Strandkörbe, einen Yachthafen und, das sei nicht verschwiegen, die größte Bausünde der Insel: drei Hochhäuser eines Ferienzentrums, die durch eine Restaurant- und Ladenpassage verbunden und so hässlich sind, dass sich angeblich selbst der dänische Architekt von seinem Werk aus dem Jahr 1969 distanziert hat. Wohl dem, der nach einem sonnigen Tag am Meer in sein schickes Reisemobil zurückkehren kann.
Und was gibt es sonst noch so auf dem sechsten Kontinent? Mehr als 40 urige Dörfer und Siedlungen, zum Beispiel mit stattlichen Backsteinkirchen und Gutshäusern. Vogelreservate, kleine Häfen. Schroffe Küsten im Osten, Dünen im Norden, riesige Felder im Inneren. Jede Menge Radwege, die meisten topfeben – die höchste Erhebung der Insel misst gerade mal gut 27 Meter. Viel Gelegenheit zum Reiten, Wandern, Windsurfen – trotz der Schönwettergarantie bläst manch steife Brise an Deutschlands Costa del Sol.
Einmal haben die Fehmaraner sogar versucht, die große Welt auf ihre Insel zu holen. Sie wurden jedoch schnöde von Petrus verraten. Das Love & Peace Festival 1970, ein Jahr nach Woodstock, geriet wegen Regen und Sturm zum totalen Desaster. Trotzdem erinnert noch heute ein stolzer Gedenkstein daran, dass Jimi Hendrix hier sein letztes Live-Konzert gab.
Transit-Station:
Als Vogelfluglinie wird die Flugroute riesiger Vogelschwärme bezeichnet, die auf dem Weg von Skandinavien nach Süden regelmäßig über die Insel ziehen und hier auch Kraft für den Weiterflug tanken. Denselben Namen trägt die direkte Verbindung für Autos nach Dänemark – die Europastraße 47 führt von der Brücke quer über Fehmarn bis nach Puttgarden im Norden, von wo aus rund um die Uhr Fährschiffe in 45 Minuten über den Fehmarnbelt fahren.