Warmes Öl tropft unaufhörlich auf meine Stirn, es gleitet sanft an meinem Kopf herab. Zuvor hat mein indischer Ayurveda-Therapeut mit einer stundenlangen Ölmassage meinen Körper völlig entspannt. Ich könnte mich nicht weiter entfernt von meinem Job-Stress fühlen. Aber bis zu diesem Moment war es ein sehr weiter Weg, dabei hätten eigentlich doch nur ein paar Kilometer in den bayerischen Süden gereicht.
Am Morgen in aller Frühe hatte ich zum ersten Mal richtig Yoga gemacht, zugegeben mit dem erwartbaren Ergebnis, das mein Körper nicht so gelenkig war wie gedacht. Binu, der Therapeut im Ayurveda-Zentrum in Bad Füssing, ist ein sehr umsichtiger Lehrer: "Immer langsam, wir haben Glück hier zu sein und wir können uns ja immer verbessern", sagt er in gutem Deutsch mit Schweizer Akzent, denn er hat jahrelang in der Alpenrepublik gearbeitet.
Natürlich leicht gesagt für jemanden der neben seiner langen Yoga-Ausbildung, neben Lehren in verschiedenen Ayurveda-Behandlungsverfahren wie der Panchakarma-Therapie auch mal eben zehn Jahre Kampfsport so perfekt erlernt hat, dass er auch ein Meister in der traditionellen indischen Kampfkunst des Kalaripayattu ist.
"Mach mal Pause", sagen meine Kollegen
Schon am zweiten Tag nach seinen gezielten Yogaübungen sind meine Rückenschmerzen gänzlich weg. Schuld war zu schnelles und schiefes Hochheben des Fahrrads auf den Heckträger kurz vor der Abfahrt.

Stress und Alltagshektik sind in Bad Füssing schnell vergessen.
Binu, der eigentlich Binumon Puhtenpuranyil Mani heißt, kommt wie das gesamte von Ayurvedaway-Team hier aus Südindien. Dort in Kerala liegt der Ursprung dieser ältesten naturheilkundlichen Medizin, die vor 5.000 Jahren schon niedergeschrieben wurde. Darin besteht die Welt aus fünf Elementen: dem Raum, dem Feuer, dem Wasser, der Luft und der Erde.
"Wir alle haben auch die Elemente in unserem Körper, bei der Geburt sind sie verschieden stark ausgeprägt", erklärt der 44-Jährige. Daher sei jeder Mensch eben mit besonderen körperlichen und seelischen Stärken und Schwächen ausgestattet.
Ich war gereizt und hatte Rücken
Rückblick: "Mach mal endlich Pause", hatten meine Kollegen im Büro schon länger gesagt, "Du bist immer so gereizt" hieß es auch schon öfter mal zuhause. Und nach meinem Hörsturz war dann klar: Jetzt muss wirklich was passieren. Meine Hausärztin gab mir den entscheidenden Tipp: "Du musst völlig abschalten und dir was Gutes tun. Probiere mal Ayurveda aus". Aber nicht einfach "so eine x-beliebige Wellness-Massage", mahnte sie noch.
Ziemlich zerknirscht googelte ich also los und fand neben stylischen Bildern von überteuren Luxushotels endlich auch Ayurveda-Kuren mit Ärzten aus Indien. So ging es nach Niederbayern, zumal Bad Füssing auch zahlreiche Campingplätze anbietet.
Campingplatz nahe am Ayurveda-Zentrum

Camping Holmernhof in Bad Füssing hat sich auf Kurgäste eingestellt.
Schon auf der Anfahrt hinter München über die nach Osten führende A 94 Richtung Passau ist alles ganz entspannt: kaum Verkehr im Gegensatz zur Alpenroute Richtung Süden, diesmal keine lauten Kinder hinter mir, nur meine Musik (die aber schon eher laut). Nur im Rücken schmerzt es auf der rechten Seite sehr. Kaum angekommen auf dem Premium-Campingplatz Holmernhof an den Feldern mit seinem urigen Biergarten "Seinerzeit", geht es aber auch schon in drei Rad-Minuten durch das verkehrsberuhigte Kurviertel zum Hotel "Aqua Blue", in dem das Ayurveda-Zentrum zu finden ist.
Beim ersten Gespräch, mit dem ebenfalls aus Kerala kommenden Arzt Sajan Kumur Somarajan, dauert es wohl keine zehn Minuten bis er mich nach langem Pulsfühlen, durchdringendem Blick und gezielten Fragen völlig "enttarnt" hat: Magen-Darm-Beschwerden (richtig), Unruhe und Kopfschmerzen (richtig) und "oft Probleme mit dem Rücken" (auch richtig). Ich bin völlig überrascht, wie schnell er das so treffend erkennen kann.
Somarajan doziert seit 15 Jahren in Deutschland und erklärt mir die ayurvedischen Typologie mit den drei sogenannten "Doshas", die bei mir nicht im Gleichklang stehen. Diese Energieprinzipien steuern Körper und Geist. Geraten sie aus dem Gleichgewicht, birgt das mögliches Fehlerpotential und verursacht Beschwerden. Es geht dem Auyrveda-Arzt also nicht nur um die Symptome (Magen, Rücken, Stress), sondern vielmehr um die Behandlung der Ursachen von Krankheiten.
Genuss und Sport
Das leckere Essen am Abend ist dann ein weiterer Beweis, dass man hier in der Tat in Indien ist: Authentische Gerichte mit viel Ingwer, Kokos und verschiedenen Gemüsesorten sorgen dafür, dass ich mich gesünder und vor allem mit leichter verdaulichen Speisen ernähre. Viel Kräutertee hilft, meinen Körper ins Gleichgewicht zu bekommen, denn nur ein wirklich guter Stoffwechsel kann meiner Verdauung helfen. Zugegeben, ich träume von einem Genuss-Espresso danach, aber auch das ist ein guter Fortschritt zu meinem heftigen Kaffeekonsum der letzten Zeit.
Binu kann nicht nur hervorragend Yoga erklären und uns frühmorgens in kleiner Gruppe kräftig ins Schwitzen bekommen, sondern treffend erläutern, warum auch unser Körper mal "einen Service" braucht. "Du bringst sicherlich das Wohnmobil in die Werkstatt zum Meister, wenn es ein Problem gibt. Und für eine Inspektion gibt es feste Termine, dann hält der Motor länger. Was macht ihr mit eurem Körper, bekommt er auch Service?". Gute Frage…
Auch wenn ich mir nur drei Tage Ayurveda zum Kennenlernen gönne und mich schon danach viel ruhiger und erst recht viel fitter fühle: Man muss es in den Alltag bekommen. Morgens gezielte Yoga-Übungen gehören mittlerweisle zu meinem festen Tagesablauf. Auch die Ernährungsempfehlungen des Ayurveda-Arztes machen Sinn: Viel mehr Getreide muss auf meinen Essensplan. Rotes Fleisch, Cola, aber auch Nüsse fliegen dagegen künftig ganz raus.
Rund um Bad Füssing gibt es viel zu sehen

Mit dem Fahrrad kommt man in 15 Minuten ins Naturreservat Unterer Inn.
Die ganze Zeit im sehr ruhigen Kurort zu bleiben und dort das Durchschnittsalter ein wenig zu senken, wäre wirklich ein großer Fehler, denn die gesamte Region an der deutsch-österreichischen Grenze mit dem Naturreservat Unterer Inn birgt so viele Möglichkeiten, dass man unbedingt auf das Rad muss. Keine 15 Minuten und man ist durch die Felder an den Inn geradelt, der gleichzeitig die Landesgrenze markiert. Dort geht es oben auf dem Damm mit schönen Ausblicken immer am breiten Strom entlang oder unterhalb in die "bayerische Camargue", wie die weitläufigen Inn-Auen auch genannt werden.
Zu Bad Füssing gehören kleine Dörfer mit ihren lauschigen Biergärten wie in Egglfing oder der alte Dorfplatz von Safferstetten mit dem Bauernmarkt und der Fischbraterei (immer dienstags). Ein Besuch dort lohnt sich genauso wie der im historischen Aigen mit dem verträumten Café am alten Kuhstall beim Bio-Bäcker Fischer – und natürlich ein Abstecher zur stattlichen Wallfahrtskirche St. Leonhard, zu der die Gläubigen schon seit dem 11. Jahrhundert pilgern.

Im Außenbereich der Europa Therme sind unterschiedliche Becken und ein Strömungskanal.
Man kann aber auch gut die Familie hierhin mitnehmen: Das Freibad von Bad Füssing mit seinen Riesenrutschen liegt gegenüber dem Campingplatz Holmernhof, in der großen Europa-Therme hat es am späteren Nachmittag kaum mehr Kurgäste und ganz viel Platz in den acht Becken und dem Strömungskanal (und abends über 1.000 Quadratmeter Saunalandschaft). In der näheren Umgebung gibt es den Tierpark in Irgenöd mit seiner bunten Vogelwelt, den süßen Erdmännchen und neugierigen Lamas, sowie den weitläufigen Wildpark in Ortenburg, und sogar einen Bären-Gnadenhof bei Irching. Dann könnte zumindest immer ein Elternteil zum Entspannen in das Ayurveda-Zentrum.
Auf der Rückfahrt genieße ich absolute Stille im Camper und beschließe, mit mehr Zeit für längere Radtouren wiederzukommen. Denn ab sofort wird mein Körper öfter mal zum "Service" gebracht.





