Googeln Sie doch mal nach „Wohnmobil kippt um“. Die Suchmaschine findet so einige Zeitungs- und Polizeiberichte, die oft einen ähnlichen Unfallablauf beschreiben. „Der Wohnmobil-Fahrer hatte beim Fahrspurwechsel einen Motorradfahrer übersehen. Um einen Zusammenstoß zu vermeiden, zog er wieder nach links, wobei das Fahrzeug ins Schlingern kam und umkippte.“ In anderen Situationen kracht das Reisemobil gegen den Bordstein oder in eine Leitplanke, wird von einem Lkw herumgewirbelt. Und immer, wenn das Gefährt umfällt, können die Insassen – zum Glück meist nur leicht verletzt – aus dem Wrack klettern. Die Frage steht also im Raum, nicht zuletzt nachdem kürzlich ein brandaktueller Integrierter beim Ausweichtest sich fast auf die Seite gelegt hätte:
Können Wohnmobile umkippen?

Klare Antwort: Kommt ganz darauf an. Es gibt tatsächlich Situationen und Konstellationen, in denen ein Reisemobil kippt. Es geschieht nicht im normalen Fahralltag, nicht beim Bremsen, nicht beim gewöhnlichen Lenken, nicht beim Cruisen auf der Autobahn, nicht bei der alpinen Passfahrt. Niemand muss in einem Reisemobil Angst haben, so viel sei schon jetzt gesagt. Aber: Es passiert unter gewissen Umständen beim plötzlichen Ausweichen, nach einem Unfall, beim seitlichen Wegrutschen, bei hohem Reifenminderdruck, am Bordstein oder an der Böschung. Dann, ja dann kann es tatsächlich passieren.
Im Test haben wir exemplarischvier klassische Reisemobil-Typen ganz bewusst an ihre fahrdynamischen Grenzen gebracht. Alle rollen auf Fiat-Ducato-Basis, um eine gute Vergleichbarkeit zu bekommen. Wir wollten wissen: Was muss geschehen, dass ein so schweres Fahrzeug kippen kann, welche Kräfte wirken da? Welchen Einfluss haben Aufbauart, Radstand, der Überhang hinten? Was bewirken (falsche) Beladung und Reifendruck? Wie wirkt das ESP?
Wohnmobil-Fahrdynamiktest: Die Fakten
Und das waren unsere Kandidaten: ein La Strada Avanti L (Campingbus), ein Eura Terrestra A 570 HS (Alkovenmobil), ein Dethleffs Magic Edition T 2 EB (Teilintegrierter) und ein Knaus Van I 600 MG (Integrierter). Dieses Quartett haben wir nach Messung von tatsächlichem Gesamtgewicht und Einstellung des Reifendrucks durch den promobil-Ausweichparcours gejagt.

Der Testparcours: eine definierte dreiteilige versetzte Pylonengasse, je Sektion 270 cm breit, insgesamt 110 Meter lang. Diese simuliert exakt das, was den in der Regel eher defensiv fahrenden Reisemobilisten von einer Sekunde auf die andere in höchsten Stress und Gefahr bringt: Ein anderer Verkehrsteilnehmer missachtet bei höherem Tempo die Vorfahrt oder schert ohne Vorwarnung in die Fahrspur. Instinktiv wollen wir den Zusammenstoß vermeiden, reißen das Steuer herum.
Die Schwierigkeit: Doch betrachten wir zunächst einmal, welche Kräfte wirken, wenn ein Fahrzeug plötzlich ausweichen muss und schlagartig die geballte Wucht der Fahrphysik über Mensch und Maschine hereinbricht. Wenn wir ausweichen, fahren wir unweigerlich eine Kurve, eine sehr schnelle sogar, Sekundenbruchteile später müssen wir ebenso impulsiv wieder zurücklenken. Dabei wirken enorme Kräfte: Die Fliehkraft zerrt und zieht das Fahrzeug zum Kurvenaußenrand, an den vier Reifen-Kontaktflächen zur Fahrbahn greifen als Gegenspieler in der Summe gleich große Seitenkräfte an – das Auto bleibt in der Spur, alles okay. Möglich macht dies die hohe Reibung zwischen Reifen und der rauen Fahrbahnoberfläche. In diesen vier nur postkartengroßen Flächen verzahnt sich der Reifengummi intensiv mit dem zerklüfteten Makro-Gebirge des Asphalts.
So haben wir getestet:

Links-rechts-links. Der sogenannte ISO-Wedeltest nach ISO/TR 3888 simuliert ein Ausweichmanöver auf der Autobahn mit anschließendem Zurücklenken auf die rechte Fahrspur. Dieser Test erlaubt über die reine Geschwindigkeit hinaus auch eine subjektive Beurteilung des Testwagens in Bezug auf Lenkung und Eigenlenkverhalten (Unteroder Übersteuern). Begonnen haben wir mit 70 km/h Einfahrtgeschwindigkeit und das Tempo in 5-km/h-Steps gesteigert.
Warum ein Test auf trockenem Asphalt?
Das funktioniert speziell auf trockenem Asphalt so gut, dass das Fahrzeug dem Lenkbefehl des Fahrers normalerweise immer folgt – normalerweise. Denn wenn dem System zu viel abverlangt wird, geht es in die Knie: Die Haftung nimmt ab einem Höchstwert schnell wieder ab, das Fahrzeug kommt ins Rutschen, Lenk- und Bremsbefehle werden nicht mehr wie gewohnt oder gar nicht umgesetzt – Unfall-, ja Kollisionsgefahr droht. Doch ABS und ESP sind ja an Bord und in vielen Fällen gehen solche Eskapaden eher glimpflich aus. Sie erkennen Unter- oder Übersteuern und führen das Auto durch radselektive Bremseingriffe wieder in die Spur. Das funktioniert auch bei unseren Fahrdynamiktests bei allen Kandidaten – Glück gehabt, durchatmen – bis zu einer gewissen Grenze.

Denn trotz moderner Regelsysteme sind Reisemobile beim hochdynamischen Prozess des schnellen Ausweichens prinzipbedingt benachteiligt. Sie haben das Manko eines – im Vergleich zum Pkw – sehr hohen Schwerpunkts und einer in Relation zur Fahrzeughöhe eher schmalen Spurweite. Das krasse Gegenteil ist ein Formel-1-Renner: Dessen Schwerpunkt liegt sogar noch unter der Drehachse der Räder: Ohne eine Kippkante wie etwa ein festes Hindernis könnte ein solcher Rennbolide im Fahrbetrieb niemals umkippen.
Welche Sicherheitsrisiken birgt ein Wohnmobil?
Doch wir Reisemobilisten verfolgen ganz andere Ziele als ein Vettel oder Hamilton; wir wollen sicher und mit komplettem Urlaubsgepäck am Ziel ankommen. Unsere Reisegefährte bauen aus Platz- und Stauraumgründen deshalb recht hoch, teilweise über drei Meter. Wir thronen während der Fahrt über dem Geschehen, herrlich.
Doch wir zahlen einen Preis: Hubbetten, Alkoven, volle Hängeschränke – sie alle heben den Schwerpunkt an. Und je höher der liegt, desto größer wird der Hebelarm, mit dem die Fliehkraft in der Kurve an diesem Schwerpunkt zieht. Das entstehende Moment wird groß, sehr groß. Geht es nun zu flott in die Kurve, wankt das Fahrzeug zwangsläufig, es legt sich stark zur Seite. Der Schwerpunkt wandert über die Seitenwand nach außen. Das ist der kritische Moment, wenn Physiker von einem „instabilen Zustand“ sprechen. Nun genügt bereits eine kleine weitere Störung, und das Ganze kippt um. Das passiert etwa, wenn der Fahrer den Kurvenradius noch weiter verkleinert. Oder wenn in diesem fatalen Moment die Ladung zu wandern beginnt, zur Außenseite rutscht, anschlägt und dem Ganzen einen zusätzlichen Impuls gibt.
Kräfte im Gleichgewicht

Die Haftung macht’s: Dass wir mit unserem Reisemobil nicht gleich in der nächsten Kurve von der Straße fliegen, verdanken wir der Haftreibung zwischen Reifen und Straße. Diese Reibungskraft, die wiederum von der senkrecht nach unten zur Fahrbahn wirkenden Gewichtskraft und vom Reibbeiwert abhängt, hält innerhalb physikalischer Grenzen der horizontal wirkenden Fliehkraft die Waage. Alle Kräfte greifen dabei gedacht im Fahrzeug-Schwerpunkt an. Liegt dieser nun besonders hoch, wandert er beim sich aus der Kurve neigenden Fahrzeug deutlich nach außen und kann ein Kippen begünstigen. Einzige Abhilfe: beherztes Zurücklenken. Geschwindigkeit reduzieren!
Welche Wohnmobile geraten beim Test ins Schwanken?
Genau dieses „Worst-Case-Szenario“ hat unser bewusst ungünstig beladener Test-Alkoven erlitten. Zusatzgewichte in der Schlafnase und im Heck, mit 2 mal 150 kg nicht einmal übertrieben viel, sollten lose verstautes Reisegepäck simulieren. Folge: Im Ausweich-Parcours hob das Mobil im Grenzbereich bei knapp 90 km/h beide kurvenäußere Räder. Das sieht dramatisch aus – und ist es auch, wenn der Fahrer nicht durch sofortiges Zurücklenken pariert. Klare Erkenntnis: Ungünstig beladen kann ein Reisemobil bei einem zu engen Kurvenradius definitiv umfallen. Das sichere Fixieren des Gepäcks mit Spanngurten und Antirutschmatten ist daher ein aktiver Beitrag zu mehr Fahrsicherheit.

Und auch durch die richtige Lastverteilung lässt sich der fahrdynamische Extremfall vermeiden. Kaum hatten wir dem Alkoven das hochgelagerte Extra-Gewicht abgenommen, verhielt er sich ähnlich wie seine drei Mitstreiter: gutmütig und beherrschbar über die Räder wegschmierend. Alle vier Mobile zeigten gar ein ähnliches Verhalten: Einfahrt in die erste der drei Gassen, dann Einlenken in die zweite Gasse (entspricht dem eigentlichen Ausweichen vor einem Hindernis), Ausfahrt und Hinüberlenken in Gasse Nummer drei.
Letzterer ist der kritischste Moment, weil das Fahrzeug durch den doppelten Lenkimpuls „eingeschwungen“ wird. Doch nichts Dramatisches passiert: Die Kandidaten lenken willig ein, schieben erst leicht über die Vorderräder, in Gasse drei drückt das Fahrzeugheck etwas nach außen, je länger der Überhang, desto stärker. Maßvolles Gegenlenken auf den letzten Metern durch den Fahrer. Klar, dass mit zunehmendem Tempo irgendwann die Pylonen durch die Luft wirbeln. Die Grenzgeschwindigkeit, ab der dieses „Kurvenversagen“ dauerhaft erfolgt, haben wir notiert.
Was macht das ESP?
Das bei allen vieren an Bord befindliche ESP greift – bemerkbar unterschiedlich abgestimmt, aber – rechtzeitig, nie überregelnd oder zu früh, bremst den Wagen ein und hält alle Testteilnehmer wie erwartet auf Kurs. Nie wirklich kritisch. Entwarnung also: Der Fiat Ducato als Basis ist eine gutmütige, fahrdynamisch weit entwickelte Plattform.
Doch gleich folgt eine Einschränkung: ESP ist immer nur so gut wie die Basis, mit der es arbeiten kann. Rollt das Reisemobil etwa mit zu geringem Reifendruck, kann die Anti-Schleuder-Hilfe ESP ihr Potenzial nicht voll ausspielen.
Die richtige Lastverteilung entscheidet

Kennen Sie das auch? Vor Ihnen fährt ein Reisemobil mit bedenklicher Schieflage, vollgepackt bis unters Dach, schließlich ruft Italien mit drei Wochen Familienurlaub! Doch ungünstig verteilte Ladung treibt den Schwerpunkt nach oben, verschlechtert die Fahreigenschaften bis hin zur Kipptendenz. promobil rät: Schwere Dinge (Flüssigkeiten, Zelte, Gestänge, Geschirr, Kanister etc.) grundsätzlich ganz nach unten, gleichmäßig verteilt rechts und links und nahe zu den Achsen. In die Hängeschränke nach oben bitte ausschließlich Leichtes wie Bettwäsche, Kissen, Decken usw. Ganz wichtig auch: richtige Ladungssicherung. Denn gegen seitliches Verrutschen in der Heckgarage nicht gesicherte Ladung (etwa durch Zurrgurte und geschicktes MiteinanderVerkeilen) prallt gegen die Seitenwand, kann dem Heck den entscheidenden Impuls zum Ausbrechen geben!
Fazit
Die Physik lässt sich nicht austricksen, sie ist so verlässlich wie gnadenlos. Exemplarisch haben wir das mit dem Teilintegrierten überprüft: Mit 3,5 statt korrekter 5,0 bar Reifendruck sinkt nicht nur die erreichbare Grenzgeschwindigkeit in der Ausweichgasse. Auch lässt die Lenkpräzision merklich nach, drückt das Heck noch stärker nach außen trotz ESP. Unser dringender Rat ist nicht neu, aber dennoch enorm wichtig: regelmäßige Reifendruckkontrolle. Das spart nicht nur Sprit (durch den geringeren Rollwiderstand), sondern dient aktiv der Fahrsicherheit. Somit das Wichtigste noch einmal in Kurzform: auf richtige Ladungsverteilung und -sicherung achten, korrekten Reifenfülldruck einstellen, vorausschauend fahren. So bleiben Sie sicher auf allen vieren.