Es gibt wohl keine Reisemobilmarke, die auf so eine lange Geschichte blicken kann. Den Grundstein für die Karriere in der Freizeitbranche legte Westfalia freilich erst vor 68 Jahren. Mit der legendären Camping-Box funktionierte der Hersteller 1951 den VW T1 erstmals zum Urlaubsmobil um. Camping erlebte einen ersten Boom, und das Unternehmen aus dem westfälischen Rheda-Wiedenbrück stellte die Weichen für die weitere Entwicklung. Heute ist Westfalia einer der renommiertesten Blechbüchsen-Ausbauer, wie man die Hersteller von Campingbussen gelegentlich liebevoll nennt.

Die Vorliebe für Metall einerseits und Mobilität andererseits reicht indes bis zu den Anfängen zurück. 1844 gründet Johann Bernhard Knöbel das Unternehmen als Schmiede. Man beschlägt Pferde, baut aber auch Pferdewagen. Kutschen kommen hinzu. Dinge auf Rädern hinterherzuziehen bleibt Thema. 1927 entwickelt Franz Knöbel den ersten Pkw-Anhänger, 1932 erfindet er die Kugelkopf-Kupplung. Die beiden Bereiche werden 1999 in eigene Gesellschaften überführt.
Export nach Übersee
Die Camping-Box bleibt ständig optimiert bis 1958 im Programm. Parallel entstehen weitere Wohneinrichtungen auf VW-Basis. Helle Möbeloberflächen statt Holzdekor, die noch heute charakteristisch für Westfalia sind, tauchen erstmals 1962 auf, das klassentypische Aufstelldach findet Ende der 60er Jahre auf den VW Bulli, der mittlerweile T2 heißt. Viele Camper verkauft der Hersteller in die USA, wo der Name Westfalia noch immer einen guten Klang hat, obwohl die Marke dort schon lange nicht mehr präsent ist. Im Jahr treten bis zu 20.000 Exemplare die Reise über den Atlantik an. Die T2-Ausbauten der 70er Jahre heißen Helsinki, Berlin, Paris oder Offenbach.
Die wahren Helden dieser Ära gehen Mitte des Jahrzehnts auf Entdeckungstour. 1977 werden der James Cook auf dem kantigen Mercedes T1 und der Sven Hedin auf dem noch kantigeren VW LT vorgestellt. Beide mit Hochdach, Stehhöhe, vier Schlafplätzen und – welch Luxus – einem Bad. Beide entwickeln sich zu Bestsellern.
Rückschläge und Neuanfänge

Allerdings holt der neu entwickelte Joker auf dem ab 1979 gebauten VW T3 nach seiner Vorstellung rasch auf. 1988 wird daraus der VW California. Bis 2003, mit dem Wechsel zum T5, bleiben Westfalia und VW eng miteinander verbunden. Parallel tritt 1986 der Ford Nugget erstmals auf den Plan, mit Heckküche ein Gegenentwurf zum California-Grundriss. Er entsteht als Auftragsfertigung für die Ford-Werke Köln. Ein weiterer Automobilhersteller wird für Westfalia immer wichtiger. Daimler-Chrysler wird Mehrheitseigner, Anfang 2001, nach Querelen mit den übrigen Eigentümern und der Belegschaft schließlich sogar alleiniger Inhaber. Die Stuttgarter lassen bei Westfalia unter anderem den Marco Polo fertigen. Für eine längerfristige Präsenz des 2006 aktualisierten James Cook in den USA fehlt dem Weltkonzern allerdings der lange Atem. VW zieht sich zurück, ein herber Verlust für Westfalia.
Trotz neuer Modelle auf Opel Vivaro und Fiat Scudo gerät Westfalia in Schieflage. Daimler verkauft an einen glücklos agierenden Investor. Nach der Branchenkrise geht die Firma 2009 in die Insolvenz. Ende 2010 übernimmt die französische Rapido-Gruppe und bringt den Laden mit neuer Führung wieder auf Kurs. Es folgt der erfolgreiche Relaunch von Marco Polo und Nugget. Neue marktgängige Camper wie der Amundsen auf Fiat Ducato bringen Aufträge. 2017 eröffnet Westfalia in Gotha einen zweiten Produktionsstandort für die Eigenprodukte. Heute fertigt die Marke rund 8000 Campingbusse im Jahr.
Nachgefragt
... bei Pierre Rousseau, Inhaber der Rapido-Gruppe, der seit 2010 auch Westfalia angehört.

Was waren seinerzeit die Gründe für den Kauf von Westfalia?
Westfalia war aus mehreren Gründen interessant. Die Marke ist weltbekannt und hat ein einzigartiges Erbe. Für viele steht sie für Lifestyle und die Gemeinschaft mit anderen leidenschaftlichen Eignern. Wir bekamen so außerdem einen Fuß auf den deutschen Markt, zumal im wachsenden Campingbus-Segment. Zudem hat Westfalia auch über Europa hinaus großes Potenzial.
Welche Ziele hatten Sie mit der Marke?
Westfalia war beim Kauf in schlechter Verfassung. Wir mussten vieles neu organisieren und Geld investieren. Glücklicherweise konnten wir Mike Reuer als CEO gewinnen, unter dessen Führung neue Eigenprodukte wie Amundsen und Columbus entwickelt wurden – neben den wichtigen Auftragsfertigungen für Mercedes, Ford und Nissan. Heute fertigt Westfalia an drei Standorten – zwei in Deutschland und einer in Frankreich bei Fleurette –, hat sein Portefolio deutlich erweitert und an die Bedürfnisse der Kunden angepasst. In Rheda-Wiedenbrück entstehen dieses Jahr rund 7000 OEM-Fahrzeuge, in Gotha 500 markeneigene Campingbusse und in der neuen Fabrik in Frankreich rund 700 VW- und Mercedes-Ausbauten mit Aufstelldach.
Wie soll es in Zukunft weitergehen?
Wir wollen mit der Marke Westfalia und ihren Produkten weiter expandieren. Wir möchten innovativ unsere Campingbusse weiter verbessern und die Zufriedenheit der Kunden erhöhen. Darüber hinaus möchten wir das Produktionsvolumen erhöhen, die Fabrik in Gotha voranbringen und den Vertrieb überarbeiten und ausbauen.
Wie steht es mit dem Markteintritt von Westfalia in den USA?
Wir haben in diesem Jahr Roadtrek in Kanada gekauft, ein Unternehmen, das seit 40 Jahren auf ausgebaute Kastenwagen spezialisiert ist. Unsere erste Priorität ist es, Roadtrek wieder auf das Level zu bringen, auf dem die Marke früher war. Durch diesen Prozess lernen wir gerade viel über die neue Unternehmenskultur und den Markt, und so werden wir mit der Zeit den besten Weg und den besten Zeitpunkt finden, um Westfalia nach fast 30 Jahren Abstinenz wieder auf den nordamerikanischen Markt zu bringen.