Gutes Design ist mehr als nur eine schöne Oberfläche. Es entscheidet darüber, wie wir ein Produkt erleben – wie intuitiv es sich bedienen lässt, wie wohl wir uns damit fühlen, wie sehr es uns entspricht. Auch im Bereich der Freizeitfahrzeuge, wo Funktion, Komfort und Emotion auf engem Raum miteinander verschmelzen müssen, spielt Gestaltung eine zunehmend zentrale Rolle. Dass gutes Design unser Wohlbefinden beeinflusst, ist wissenschaftlich längst belegt. Doch woran erkennt man gutes Design überhaupt? Und wie lässt es sich unter den Beschränkungen durch Normen, Plattformstrategien und Kostenstrukturen überhaupt umsetzen?
Design und Funktion gehen Hand in Hand
Für den Geschäftsführer des Wiesbadener Designbüros Studio Syn, Thomas Klüber-Voss, ist klar: Design hat im Kern wenig mit Mode zu tun. Es geht um die Kontaktfläche, über die der Benutzer mit einem Gegenstand interagiert, um Ergonomie, Bedienbarkeit, Orientierung. "Designer kümmern sich um die Schnittstelle zwischen dem Produkt und dem Menschen", sagt er. "Ein gutes Funktionieren von einem Grundriss oder von Möbeln – das ist nicht Geschmackssache und eigentlich nicht verhandelbar."
Sein Team betreut seit Jahren Projekte für die Erwin Hymer Group – darunter den Hymer Vision Venture sowie den iSmove und den Arto von Niesmann + Bischoff. Gutes Design, so Klüber-Voss, ist im Idealfall messbar, objektiv, nachvollziehbar. Und gleichzeitig – das ist der andere, entscheidende Aspekt – sollte es emotional berühren.
Auch Alexander Christ, Geschäftsführer der Designagentur Digital Design Solutions in Köln, betont diesen emotionalen Zugang. Er sagt, gutes Design sei, wenn man ein Produkt verstehe, ohne dass man es erklärt bekommen müsse. Die Fahrzeuge, an deren Gestaltung Christ beteiligt war – wie der Supersonic von Adria – vermitteln einerseits eine klare Designsprache, aber auch ein Gefühl von Wohnlichkeit.
Kulturelle Unterschiede: Warum Farben polarisieren

Vorlieben im Design sind oftmals kulturell geprägt. So zeigt sich der französische Wohnmobilbauer Challenger sehr bunt in seiner Dekoration.
Dass Vorlieben im Design auch kulturell geprägt sind, zeigen die beiden französischen Marken Challenger und Chausson. Deren Möbelbau ist identisch, Unterschiede im Innenraum zeigen sich aber bei Spiegeln, Dekor und vor allem bei den Farben. Während sich Kunden mit solch kräftigen Farbkontrasten hierzulande eher schwertun und sie gar als Fremdkörper wahrnehmen, sind sie bei französischen Käufern sehr beliebt.

Auch die Marke Chausson aus Frankreich folgt dem Trend. Hierzulande würden sich Kunden mit solch kräftigen Farbkontrasten eher schwertun.
Ein Großteil der Deutschen liebt es reduziert. Er möchte skandinavisches Design – mit Holz und warmen Tönen. Wohntrends, architektonische Entwicklungen, Farben und Haptik spielen eine entscheidende Rolle. Besonders beliebt: Kombinationen aus Eiche und schwarz gepulvertem Metall – edel, robust und zeitlos. Wichtig ist, dass sich Materialien wertig und natürlich anfühlen. "Haptik, Licht, Materialien – wie in der Architektur", sagt Christ. Denn Vertrauen entsteht durch ein kohärentes Zusammenspiel von Oberfläche, Form, Licht und Funktion.
Zielgruppen gezielt ansprechen
Design beeinflusst nicht nur das Erleben – es ist auch Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen. Die Pandemie hat eine neue Zielgruppe in den Caravaning-Markt gespült: jüngere, anspruchsvollere Kunden, oft ohne Vorerfahrung, mit einem Bedürfnis nach Individualität, Nachhaltigkeit und einem gestalterischen Ausdruck, der über klassisches Camping weit hinausgeht.
Doch viele sind auch wieder abgesprungen. Alexander Christ erklärt das so: "Viele sind wieder ausgestiegen, weil sie mit der Qualität der Fahrzeuge nicht zufrieden waren." Wen man halten will, muss man überzeugen – nicht nur technisch, sondern vor allem auch gestalterisch.
Das gelingt in erster Linie durch eine präzise Zielgruppenansprache. Demografische Merkmale allein reichen nicht mehr aus. "Sie müssen fragen, wie lebt der Kunde, was isst er, wie wohnt er", so Christ. Wer seine Kunden verstehen will, braucht heute mehr als Bauchgefühl. Viele Hersteller nutzen deshalb Tools wie die lizenzpflichtigen "Limbic Maps" oder die "Sinus-Milieus", die Verhaltensmuster, Werte und Stilvorlieben von Menschen analysieren.
Design macht den Unterschied
Für Marken wie Carado und Sunlight – zwei Schwestermarken der Erwin Hymer Group mit technisch nahezu identischer Plattform – ist die Differenzierung vor allem gestalterisch zu leisten. Carados Produktmanager, Rainer Wingart, erklärt: "Carado ist eher der Traditionalist. Sunlight hingegen ist gemacht für die Abenteurer, für die Sportlichen." Daraus folgt etwa: dunkleres Holz und ruhige Töne bei Carado, helles Holz und Kontraste bei Sunlight. "Wir achten darauf, welche Zielgruppe wir haben, und versuchen dabei, die Kunden zu verstehen und herauszufinden, wie die sich kleiden oder welche Farben sie bevorzugen."
Auch Marina Wolf, Designerin und Produktmanagerin bei LMC, arbeitet eng an den Bedürfnissen ihrer Zielgruppe. Sie ist nicht nur für Stoffe, Dekore und Oberflächen zuständig, sondern begleitet den gesamten Designprozess – von der Idee bis zur Umsetzung. "Hier muss es rund werden, hier können wir etwas abschrägen", berichtet sie über ihren gestalterischen Einfluss, etwa beim Edero-Wohnwagen. Dabei geht es ihr nicht um Effekthascherei, sondern um Atmosphäre und Stimmigkeit. Besonders wichtig ist für sie das Ton-in-Ton-Design: "Wir haben jetzt zum Beispiel hier Steinoptik mit drin – in Arbeitsplatte und Boden." Solche Kombinationen wirken ruhig, harmonisch und hochwertig.
Runde Formen und Licht schaffen Wohnlichkeit
Ein Trend, den Wolf besonders hervorhebt, sind organische Formen und sanfte Rundungen. Rundbogenelemente und geschwungene Küchenlösungen verleihen den Fahrzeugen einen wohnlicheren, weniger technischen Charakter. Früher dominierte rustikales Holzdekor – heute setzen sich Unidekore, klare Flächen und moderne Farben durch. Für Wolf ist klar: "Das passt zum cleanen, zeitlosen Wohnstil vieler Kunden – auch im Ü50-Segment."
Ein Gestaltungsmittel mit wachsender Bedeutung ist das Licht. Swen Dluzak, Geschäftsführer von Rocket Camper, sieht in der Lichtgestaltung einen Schlüssel zur emotionalen Wirkung eines Raums. "Licht schafft im besten Fall räumliche Tiefe", sagt er. Es geht längst nicht mehr nur um Funktion – Herdplatte beleuchten, Leselicht einschalten –, sondern um eine inszenierte Raumwirkung. Auch Marina Wolf arbeitet mit mehreren Lichtebenen: Oberlicht über den Hängeschränken, indirektes Licht darunter, Bodenbeleuchtung – warmweiß, nicht kaltweiß. Letzteres schreckt eher ab, während warmes Licht Geborgenheit schafft.
Zusätzlich werden gezielte Akzente gesetzt, etwa mit LED-Stripes an der Sitzgruppe oder Spots über den Betten. Ein wohnlicher Raum entsteht nicht durch Einzelmaßnahmen, sondern durch die bewusste Gesamtkomposition.
Herausforderungen: Normen, Technik, Serienproduktion
Doch so kreativ der Designprozess auch ist – er steht nie losgelöst vom technischen, gesetzlichen und wirtschaftlichen Rahmen. Möbel müssen stabil und sicher sein, Fluchtwege breit genug, Heizungen und Radkästen umbaut werden. "Frei gestalten können wir eigentlich nie", sagt Klüber-Voss. "Manche Vorgaben lassen sich nicht umgehen."
Ein weiterer Faktor ist die Wirtschaftlichkeit. Große Hersteller arbeiten mit Plattformstrategien, die Synergien schaffen, aber auch beschränken. Änderungen bei Lichtfarbe, Schrankgriffen oder Steckdosendesign müssen markenübergreifend abgestimmt werden. Gleichteile reduzieren die Gestaltungsmöglichkeiten, sorgen aber für stabile Produktionsprozesse. Rainer Wingart beschreibt das nüchtern: "Viele gleiche Teile erhöhen die Qualität und Effizienz." Das gilt für Dekore, Stoffe, Möbel ebenso wie für Technikkomponenten. Designänderungen müssen in bestehende Prozesse und Lagerlogistik passen – sonst scheitert gute Gestaltung an der Realität.
Auch die Bevorratung von Materialien spielt eine Rolle. Wer einen neuen Stoff ins Portfolio aufnehmen will, muss nicht nur entscheiden, ob er gefällt – sondern auch, ob er zu den übrigen Materialien passt, zuverlässig verfügbar ist und gelagert sowie in Prozesse integriert werden kann.
Modularität & Individualisierung als neue Standards
Trotzdem gelingt es Gestalterinnen wie Marina Wolf, sich mit ihren Ideen immer wieder durchzusetzen. Ihre Maxime: Einheitlichkeit vermeiden, wo es geht – Individualität ermöglichen, wo es möglich ist.
Dazu gehört auch ein wachsendes Interesse an modularen Konzepten. Möbel, die sich verändern, entnehmen, ergänzen lassen. Filzkisten auf Haken, Küchen, die sich ausziehen oder einklappen lassen, Trennwände, die verschwinden. "Also dieses Modulare, dieses Additive – das kann man schon als Trend oder Zeitgeist klassifizieren", sagt Thomas Klüber-Voss. Dahinter steckt nicht nur ein ästhetischer Anspruch, sondern der Wunsch nach Gestaltungsspielraum im Inneren. Individualisierung wird wichtiger – auch in Serie.
Identisches Layout – unterschiedliche Ausstattung
Rocket camper zeigt, dass zwei Modelle das gleiche Grundlayout haben können, sich aber durch Materialwahl, Ausführung, Preis und Zielsetzung deutlich unterscheiden können. Der Rocket One ist hochwertig ausgestattet, zum Beispiel mit Echtholzfurnier und Antifingerprint-Oberflächen.

Der Rocket One verfügt über das gleiche Grundlayout wie der Rocket Base.
Der Rocket Base wurde als kostengünstigere Alternative entwickelt: mit reduzierter Serienausstattung, robusterem Aufbau und leichterer Bauweise durch ein Alu-Rahmensystem. Auch Funktionsintegration und modulare Lösungen wie Schlafsitze sorgen für geringere Produktionskosten.

Der Rocket Base spricht aufgrund seiner kostengünstigeren Ausstattung eine andere Zielgruppe an.
Spannend ist dabei der Einfluss der Vanlife-Szene. Selbstausbauer, Instagramer, digitale Nomaden – sie setzen Trends, an denen sich auch Serienhersteller orientieren. "Die haben eine ganz eigene Ästhetik gefunden", sagt Klüber-Voss. "Die Bretter an der Decke, das Obst im Körbchen, das irgendwo hängt – was es da alles gibt." Großserien können das nur teilweise adaptieren. Marina Wolf besucht gezielt Caravaning-Messen mit Selbstausbauer-Arealen, um sich inspirieren zu lassen. "Unsere Branche ist designtechnisch oft ein bisschen hinterher – das versuche ich zu umgehen", sagt sie.
Dialog statt Bauchgefühl
Auch Swen Dluzak von Rocket Camper profitiert vom direkten Draht zu seiner Zielgruppe. Er und sein Team entwickeln Kastenwagen in engem Austausch mit den Nutzern. Feedback fließt direkt in die Gestaltung ein. "Design fängt damit an, dass Menschen ein Problem oder ein Bedürfnis haben. Und dann überlegt man: Wie kann ich das am besten befriedigen?" Anders als große Hersteller können kleinere Anbieter schneller und flexibler reagieren, Ideen ausprobieren, Anpassungen direkt umsetzen. Dluzak sagt: "Du hörst, was den Kunden wichtig ist, was sie nicht verstehen – und kannst direkt reagieren."
Design, das funktioniert, lebt vom Dialog. Mit der Zielgruppe, mit dem Produkt, mit der Branche. Inspiration kommt dabei aus vielen Richtungen: Möbelmessen, Designzeitschriften, Wohnmagazine – oder ganz einfach: aus der Beobachtung des Alltags. Denn gutes Design beginnt dort, wo die Fragen entstehen – und endet bestenfalls in einer Antwort, die so gut passt, dass sie kaum auffällt.
Marktanalysetool Limbic Map
Die Limbic Map und die Limbic Types sind neuropsychologische Instrumente zur Zielgruppenanalyse. Sie basieren auf emotionalen Motivstrukturen und unterteilen die Bevölkerung in sieben Haupttypen (Traditionalisten, Hedonisten, Offene, Performer, Harmoniser, Abenteurer und Disziplinierte) mit unterschiedlichen Werten, Bedürfnissen und Verhaltensmustern.
Grundlage dieser Einteilung sind umfangreiche Markt-Media-Daten, die Lebensstile, Konsumpräferenzen und Mediennutzung erfassen. Diese Tools haben sich auch in der Reisemobilbranche etabliert, um Produkte gezielter auf Zielgruppen abzustimmen. Sie liefern Hinweise darauf, welche Materialien, Farbkonzepte, Formen oder Funktionen bestimmte Kundensegmente bevorzugen. Dadurch können Innen- und Außengestaltung, Ausstattung und Kommunikationsstrategie differenzierter entwickelt werden.

Die Limbic Map und die Limbic Types sind neuropsychologische Instrumente zur Zielgruppenanalyse.
Im Designprozess ermöglichen die Limbic-Tools eine datenbasierte Auseinandersetzung mit psychologischen Bedürfnissen. Die Gestaltung eines Reisemobils wird so nicht nur funktional und technisch, sondern auch emotional optimiert. Besonders bei der Differenzierung von Modellen mit ähnlicher technischer Basis helfen diese Instrumente, spezifische Nutzergruppen anzusprechen und Produkte entsprechend ihrer Wertewelt zu gestalten. Die Limbic-Tools tragen dazu bei, Designentscheidungen fundierter zu treffen und die emotionale Relevanz von Produkten zu erhöhen.
Marktanalysetool Sinus-Milieus
Die Sinus-Milieus sind ein sozialwissenschaftliches Modell des gleichnamigen Heidelberger Instituts zur Zielgruppenanalyse. Es segmentiert die Bevölkerung anhand von Lebensauffassungen, Werten und sozialer Lage in Gruppen mit ähnlichen Alltagsorientierungen.
Das Modell dient dazu, Zielgruppen besser zu verstehen und Marketingmaßnahmen, Produkte und Kommunikation passgenau auszurichten. Es wird in Marktforschung, Medien, Politik und Unternehmenspraxis vielfältig eingesetzt.

Die Sinus-Milieus sind ein sozialwissenschaftliches Modell des gleichnamigen Heidelberger Instituts zur Zielgruppenanalyse.