Am Ende haben wir ihn sehr gern gehabt – allerdings aus eher einseitiger Sicht. Als ich den Campstar auf dem Parkplatz bei Pössl abgestellte und noch ein letztes Mal auf die Fernbedienung drückte, um ihn abzusperren, war es ein Abschied mit gemischten Gefühlen. Ich erinnere mich noch gut an all die Gespräche mit den Kollegen, die auch viel unterwegs waren mit diesem Auto, mit diesem Camper. Mit Enthusiasmus sind sie gestartet, wurden dann aber von der Diskrepanz zwischen dem tollen Basisfahrzeug und der spürbar eingeschränkten Tauglichkeit als Camper auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.
Fahrwerk und Ausstattung
Zum Unterwegssein ist die V-Klasse eine Wucht. Jeder hat sie gemocht – mit Allrad, starkem Motor und Automatik. Ihr Fahrwerk ist vom Feinsten, und der Komfort in Sachen Geräusche und Federung wird unter allen Basisfahrzeugen für Reisemobile allenfalls von der Konkurrenz aus Hannover erreicht. Der Ausbau dagegen hat nicht nur Freunde gewonnen.

Die Schlafbank bietet keine homogene Liegefläche. Eine Aufla ge ist hier dringend erforderlich.
Die Schlafbank hat verschiedene Kritikpunkte, die Küche ist mit den Wassertanks im Stauschrank unpraktisch, und die Schranktüren sind ungeschickt konzipiert. Diese Elemente sind wenig auf die Anforderungen eines Campingurlaubs ausgelegt. Denjenigen, der den Campstar in Erwartung eines Camping-Stars gekauft hat, dürfte das enttäuschen – erst recht bei dem Preis. Der Testwagen kostet unterm Strich sechsstellig. Klar, dass die Vollausstattung der V-Klasse-Basis den Preis natürlich in die Höhe treibt. Es kommt eben wie immer auf die Erwartung an.
Für den Kollegen Philipp Heise von der Schwesterzeitschrift Caravaning spielt das Basisfahrzeug eine große Rolle. Er verreiste mit Wohnwagen am Haken, für ihn ist die Performance des Mercedes wichtig: "Auf meiner Tour zählen die Reisequalitäten ohnehin mehr als der Wohn- oder Schlafkomfort. Wobei mir Letzterer bei einem Power-Nap auf der umgeklappten Rückbank mehr als dürftig erscheint. Ganz anders ist es um die Zugfahrzeugqualitäten bestellt, denn die Kombination aus kräftigem Dieselmotor, geschmeidig schaltender Neungang-Automatik, Allradantrieb und kurzen Überhängen macht Camillo (so der redaktionsinterne Name des Dauertesters) zu einem grandiosen Zugfahrzeug."

Den Campstar gab es nur bis 2024 auf der V-Klasse – jetzt auf Vito.
Doch mit der Bedienung des Mercedes hat der Vielfahrer gewisse Probleme: "Während der Campstar mit aktiviertem Abstandstempomat bei Caravan-Tempo 100 km/h stoisch Kilometer frisst, mache ich mir Gedanken über die Schrulligkeit der V-Klasse: Mit der eigensinnigen Funktionsaufteilung der Lenkstockhebel werde ich einfach nicht warm. Als Gewohnheitsmensch versuche ich während meiner Tour beispielsweise mehrfach den Scheibenwischer mit dem Automatikwählhebel zu aktivieren. Ähnlich geht es mir mit dem Tempomat-Hebel links unten hinter dem Lenkrad: Mehr als einmal gebe ich meinem Vordermann unfreiwillig die Lichthupe, als ich versuche, den Abstandsregeltempomaten zu aktivieren, und mich dabei im Hebel vergreife." Aber nicht alles bleibt für ihn ungewohnt. "Überzeugt haben mich im Gegenzug das geniale, helle Matrix-LED-Licht, die gut klingende Soundanlage sowie das Konzept der immer sauberen, weil automatisch ausklappenden Rückfahrkamera, die gestochen scharfe Bilder an das hochauflösende Mittendisplay schickt. Auch die Sicht nach hinten durch die separat öffnende Heckscheibe ist bei umgelegter Rückbank genial."
Kritik erntet die Ausstattung: "Eine simple An-/Aus-Klimaanlage ohne Automatikfunktion in einem Basisfahrzeug, das im Falle unseres Testwagens sogar die 100.000 Euro reißt, kann nur ein schlechter Scherz sein. Dass der V-Klasse zudem Spurhalter und Totwinkelwarner fehlen, ist heute ebenso wenig zeitgemäß wie der Infrarotschlüssel, der in fast allen Mercedes-Modellen längst durch Start-Knopf und Keyless-Go ersetzt wurde." Ab 2025 wird die Kritik der Vergangenheit angehören, der neue Vito als Basis des Campstar wird über die vermissten Dinge verfügen.
Familientauglichkeit des Campstars

Urlaub in Frankreich am Atlantik, zu dritt, mit Kind. Die Anfahrt war stets ein Vergnügen, das Handling beim Camping eine Aufgabe.
Einen ganz anderen Fokus hatte unser Kollege Tobias Münchinger, der mit seiner Frau und den beiden Kindern eine 3.500 Kilometer lange Spanientour absolviert hat. Wie familientauglich ist der Campstar? Vom Fahren schwärmen er und seine Frau – so wie alle. Doch dann erzählt er vom ersten Stopp nach 1.200 Kilometer Anfahrt nach Spanien: "Um die Schlafstätten zu präparieren und das Abendessen vorzubereiten, musste zunächst die Outdoorküche ausgeschwenkt und so gut wie alle Gepäckstücke ausgeladen werden – der Übersicht wegen. Immerhin war besonders die obere Bettstatt durch die recht unkomplizierte Handhabe des Aufstelldachs schnell vorbereitet, witterungsunempfindliche Gepäckstücke ließen wir über Nacht, mit einer Picknickdecke darüber, einfach draußen."
Der Mechanismus des Aufstelldachs hat sich im Testverlauf übrigens mehrfach verzogen und musste immer wieder nachjustiert werden. Zudem stellte sich heraus, dass nicht alle Nieten gesetzt waren.
Zum Stauraumproblem der Familie Münchinger: Außer dem Schrank hinten fehlt es dem Campstar einfach an Stauraum. Unter der Sitzbank sind die Fußteile fürs Bett und im Küchenschrank die Wasserkanister untergebracht – zwei wesentliche Orte, wo andere Camper Stauraum bieten. Eine ziemliche Fehlkonstruktion ist der Schrank hinten. Die Türen sind mittig angeschlagen. Man kommt einfach nicht vernünftig dran, und sie lassen sich nur öffnen, wenn kein Gepäck im Weg steht: Für eine Familie mit zwei Kindern heißt das ständig umräumen. Kritik erntet auch die Schlafbank. Um aus der Rückbank ein Bett zu bauen, müssen die Fußteile umständliche angesteckt werden, und das Ergebnis ist nicht besonders bequem. Ohne zusätzlichen Topper ist hier nur im Notfall an Schlaf zu denken.
Strauraum des Campers

Problemfeld: zu wenig Stauraum. Wenn man so lädt wie hier, lässt sich der Schrank links nicht öffnen und das Bett unten nicht bauen.
promobil-Grafikerin Alisa Mücke beschreibt eine weitere Episode mit der herausnehmbaren Bank. Sie will mit ihrem Mann in den Mountainbike-Park und braucht Stauraum für das Equipment. Ihr Tagebucheintrag vom Donnerstag, 13. Juni 2024, lautet folgendermaßen: "Ich verliere fast die Nerven und bekomme die Aguti-Sitzbank nicht ausgebaut. Sie hakt teils komplett, lässt sich nur schwer verschieben. Da es sogar Foreneinträge zu dem Thema gibt, hier eine kurze Anleitung: Die Schlafbank wird auf den Schienen verschoben, bis man die kleinen weißen Pfeil-Markierungen erreicht hat. Je nach Licht sind diese kaum sichtbar.
Zum Verschieben nur den großen Hebel verwenden, diesen hochziehen. Ist die Bank in Position, entriegelt man die kleinen Sicherungsbolzen links und rechts, muss diese oben halten und kann jetzt die Bank mit einem kräftigen Ruck Richtung Heck aus ihrer Verankerung lösen. Jetzt kann die Sitzbank nach oben herausgehoben werden. Es braucht ein bisschen Übung und beim Tragen definitiv eine kräftige Person, die mit anfasst. Jetzt hat man reichlich Platz."

Richtig gut ist der Zeltbalg mit vielfachen Möglichkeiten, ihn zu öffnen. Mit und ohne Moskitonetze.
Geschlafen wird dann natürlich oben. Über den Komfort im Aufstelldach scheiden sich die Geister. MOTORRAD-Tester Karsten Schwers und sein Sohn waren ebenfalls ohne Bank unterwegs, beide fanden es okay. Alisa hat es so gelöst: "Doch da war noch was! Die unbequeme Matratze im Aufstelldach, die ich nach der letzten Tour so bemängelt hatte. Also haben wir uns eine Klappmatratze mitgenommen und diese oben ins Bett gelegt." So war die Nacht vor der Therme Erding sehr in Ordnung. "Für spontane Kurztrips ist der Pössl einfach klasse." Diese Aussage trifft den Nagel auf den Kopf. Selten hat ein Camper in der Redaktion so polarisiert. Trotz seiner Einschränkungen beim Campen war er praktisch die ganze Zeit auf Achse – knapp 52.000 Kilometer in einem Jahr: Geschäftsreisen, Familienurlaube oder um am verlängerten Wochenende mal schnell nach Südfrankreich zu brettern.
Darum geht es bei diesem Fahrzeug: Fahren, reisen und weiterfahren. Derzeit gibt es bei Pössl den Campstar Plus Drive auf Mercedes Vito ab 65.999 Euro und auch noch auf Basis der 2024er V-Klasse, aber mit der Original-Mercedes-Schlafbank, die was kann. Auf der liegt man komfortabel, und sie hat zwei Schubladen. Ab 2025 wird es den Campstar ausschließlich auf dem neu aufgehübschten Vito geben.
Pössl Campstar

Die Innenansicht des Pössl Campstar.
- Preis: ab 76.999 Euro (2023), auf Vito (2024) ab 65.999 Euro
- Basis: Mercedes V-Klasse 300 d, Allradantrieb, 176 kW/239 PS (Option)
- Gesamtgewicht: 3.100 kg
- Länge/Breite/Höhe: 5,14/1,93/1,99 m
- Empfohlene Personenzahl: 2–4
- Baureihe: Es gibt bei der Pössl-Vanline auf Citroën Spacetourer den Campster und den Vanster sowie auf Mercedes Vito den Vanstar und Campstar.
Erfahrungen unserer Kollegen
Alisa Mücke
"Für meinen Mann und mich war der Campstar ein geniales Fluchtfahrzeug für den Wochentrip in den Bikepark. Auch wenn man sich mit manchem arrangieren musste – wir vermissen ihn. So komfortabel mit dem ganzen Equipment samt Bett unterwegs zu sein war stets eine gute Erfahrung."
Timo Großhans
"Ich liebe Van-Camping und weiß daher, wie wichtig Stauraum und durchdachte Detaillösungen sind. Pössl hat sich beim Campstar stark auf das Thema Schwenkküche konzentriert und wichtige Details wie eine gute Schlafbank oder Stauraum außer Acht gelassen. Die Bank lässt sich immerhin lässig in eine Loungestellung bringen."
Tobias Münchinger
"Küche raus, Küche rein – mit etwas Fingerspitzengefühl und einer guten Rückenmuskulatur gar kein Problem. Die Oberflächenabdeckung von Kochplatten und Spülbecken will übrigens vorsichtig behandelt sein, sie ist kratzempfindlich."
Vor- und Nachteile
Gute Geräuschdämmung
Allradantrieb, starker Motor und hervorragendes Automatikgetriebe
Vordersitze lassen sichrelativ leicht drehen
Kaum Knarzen aus demMöbelbau
Ausschwenkbare Küche dank zweiter Schiebetür
Praktischer Zugang über separat zu öffnendes Heckfenster
Schöne Ambientebeleuchtung im Dach, viele verschiedene Beleuchtungsmöglichkeiten
Keine feste Verdunkelungsmöglichkeit
Cleaner Look, aber umständliche Nachrüstung von Verdunkelungsmatten
Schlafkomfort oben zwiespältig. Matratze ist vielen zu dünn, liegt allerdings auf Tellerfedern
Kein Fach für ein kleines Klo
Wenige Steckdosen und USB-Ports
Liegefläche der Schlafbank unkomfortabel
Störende Sitzkonturen machen Topper erforderlich
Bordentertainment (Radio/Multimedia) hängt an der Starterbatterie, die ist damit schnell mal entladen.