Was für eine glanzvolle Stadt! Über blank poliertes Kopfsteinpflaster flaniert der Besucher zwischen liebevoll restaurierten Prachtbauten im Stil von Gotik, Barock und Gründerzeit hindurch. Cafés und Restaurants in den Gassen locken mit verführerischem Duft, die Atmosphäre ist entspannt und gelassen. Weil das rund 56.000 Einwohner große Görlitz im Krieg kaum zerstört wurde, wirkt es mancherorts wie ein riesengroßes Open-Air-Museum, gilt vielen gar als schönste Stadt Deutschlands. Ein Bummel durch das historische Zentrum kommt einer genussvollen Zeitreise gleich.
Die Wunder von Görlitz

Während das Reisemobil etwa auf dem Stellplatz am Rosenhof im südwestlichen Vorort parkt (nur rund 15 Minuten per Straßenbahn in die City), entdecken wir in Ruhe die großen und kleinen Wunder von Görlitz. Das Renaissance-Rathaus am Untermarkt etwa, Fassaden im schönsten Jugendstil, sakrale Stätten wie das Heilige Grab oder die Dreifaltigkeitskirche, mittelalterliche Wehranlagen – mit rund 4.000 Baudenkmälern ist die Altstadt ein historisches Gesamtkunstwerk.
Dazu kommen beachtenswerte Sammlungen und Museen, Theater und Galerien. Eine Sightseeing-Tour führt zu den Drehorten zahlloser großer Filme; nicht umsonst wird die sächsische Stadt auch "Görliwood" genannt.

Ohne Grenzkontrolle über den Fluss
Ihr wichtigstes Highlight aber beginnt unweit vom Dom an der Uferstraße. Hier erstreckt sich die 2004 neu eröffnete Altstadtbrücke über die Lausitzer Neiße, führt von Görlitz in die etwa 30.000 Einwohner große polnische Schwesterstadt Zgorzelec. Seit Polens Beitritt zum Schengenraum 2007 gelangen FußgängerInnen und RadfahrerInnen in der Regel ohne Grenzkontrolle über den Fluss (zur Pandemiezeit gelten bisweilen Ausnahmen), um dem Nachbarland kurz mal einen Besuch abzustatten.
In Zgorzelec kann man preiswert einkaufen. Meist werden Euro statt der Landeswährung Złoty akzeptiert. Oder man verkostet vielleicht in einem der Gasthäuser günstig polnische Spezialitäten. Pierogi mit Speck gibt's dort oder Borschtsch oder den deftigen Schmoreintopf Bigos.
Zwei plus Vier: Aus Eins mach Zwei
Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs waren Görlitz und Zgorzelec eine einzige Gemeinde. 1945 wurden dann alle Neiße-Brücken gesprengt, die Stadtteile am Ostufer abgetrennt und von den alliierten Siegermächten Polen zugesprochen. Seit 1990 ist die Oder-Neiße-Linie durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag als deutsche Ostgrenze endgültig bestätigt.
Umso wichtiger sind Orte wie Görlitz, das heute stolz den Beinamen Europastadt trägt, als Symbol für eine wieder zusammengewachsene Staatengemeinschaft. Dabei helfen neben dem kleinen Grenzverkehr auch Events wie das Altstadtfest Görlitz und Zgorzelecs Jakuby-Feier, die alljährlich am letzten Augustwochenende zeitgleich links und rechts der Neiße begangen werden – hüben wie drüben steigt dann ein buntes Programm mit Musikern, Straßenkünstlern und vielerlei kulinarischen Leckerbissen.
Und Görlitz ist beileibe nicht der einzige grenzübergreifende Ort an den Oder- und Neiße-Ufern. Unsere Tour begann bereits weiter südlich in der 750 Jahre alten Stadt Zittau am Dreiländereck Deutschland-Polen-Tschechien mit ihrem prächtigen historischen Zentrum. Sind der Marktplatz, St. Johannis samt tollem Aussichtsturm und die berühmten Zittauer Fastentücher bewundert, entert man vielleicht die Schmalspurbahn und lässt sich von einer schnaufenden Dampflok ins nahegelegene Zittauer Gebirge befördern – mit seinen markanten Sandsteinfelsen und vielen Aussichtspunkten ist das ein tolles Ausflugsziel.
Naturparadies nördlich von Görlitz
Auf Naturfreunde wartet dann nördlich von Görlitz ein weiteres Highlight. Nur rund zwei Kilometer vom gut ausgestatteten Stellplatz des kleinen Kurorts Bad Muskau entfernt liegt ein Naturparadies voll prachtvoller Bäume, Blumen, Gewässer und Bauten, inklusive eines eindrucksvollen Schlosses.

Der weit gereiste Autor und Architekt Hermann Fürst von Pückler-Muskau (1785–1871) schuf hier an den Ufern der Neiße einst einen der schönsten Landschaftsgärten Europas. Rund ein Drittel des 830 Hektar großen Fürst-Pückler-Parks liegt auf deutschem, der Rest auf polnischem Boden, mehrere Brücken führen über den Grenzfluss – von der Unesco wurde die Anlage 2004 flugs zur staatenübergreifenden Welterbestätte erklärt.
Und weiter geht die Tour stromabwärts in Richtung Norden. Vorbei an Brandenburgs 16.000-Einwohner-Doppelstadt Guben, deren etwa gleich großer polnischer Schwesterort Gubin am östlichen Neiße-Ufer samt seinem historischen Zentrum und grünen Stadtoasen schnell über zwei Brücken erreicht ist. Kurz vor Eisenhüttenstadt, mit einer Mischung aus viel historischer Bausubstanz und Industriekultur Deutschlands größtes zusammenhängendes Flächendenkmal, mündet die Neiße in die rund 900 Kilometer lange Oder.
Auf den Spuren von Heinrich von Kleist
Am westlichen Ufer der Oder liegt wenig später eins der reizvollsten Reiseziele Brandenburgs, die 57.000 Einwohner große Stadt Frankfurt (Oder) mit ihrem kunterbunten Brunnenplatz und dem markanten Oderturm, gerne auch "Kleiststadt" genannt.

Man ist stolz auf diesen Beinamen und bemüht, Heinrich von Kleist (1777–1811) als berühmtestem Sohn der Stadt alle Ehre zu machen. Unweit vom Reisemobil-Stellplatz Marina Winterhafen beginnt ein Rundgang auf den Spuren des großen Dichters. Fünf der neun Stationen liegen in der Frankfurter Innenstadt, darunter das tolle Kleist-Museum, der Kleist-Park und die Konzerthalle Carl Philipp Emanuel Bach.
Später geht es via Stadtbrücke über den Grenzfluss in die polnische Nachbargemeinde Słubice (16.600 Einwohner), wo unter anderem eine Statue des Käthchens von Heilbronn an Kleists berühmtes Bühnenwerk erinnert. Die 20 Kilometer lange Kleist-Route wurde übrigens gemeinsam von Bürgern der beiden Schwesterstädte Frankfurt und Słubice entwickelt, unter dem Motto "Podwójnie piekne. Doppelt schön".
Immer Richtung Küste
Uns zieht es weiter in Richtung Ostseeküste. Doch was gäbe es nördlich von Frankfurt nicht noch alles zu entdecken! Stettin zum Beispiel steht für eine weitere Tour ganz oben auf unserer Wunschliste. Durch das Stettiner Haff fließt die Oder um die Insel Usedom herum und mündet schließlich ins Meer.
Usedom ist in einen großen deutschen Bereich samt den prachtvollen Kaiserbädern Bansin, Heringsdorf und Ahlbeck sowie einen kleinen polnischen Teil mit der quirligen, 42.000 Einwohner zählenden Stadt Swinemünde geteilt. Das alles wird durch eine grenzübergreifende Promenade verbunden, die zwölf Kilometer weit (Europarekord!) am blitzsauberen Strand entlangführt.

Prächtige Zuckerbäckerbauten und Seebrücken auf der einen, Swinemündes Kurpark, Basar und Polenmarkt auf der anderen Seite, an Attraktionen herrscht kein Mangel. Und auch auf Usedom funktioniert der kleine Grenzverkehr in der Regel problemlos, egal ob man die Grenze zu Fuß, mit dem Rad, im Reisemobil, per Linienbus, Schiff oder Bäderbahn passiert – ganz im Sinne eines geeinten Europa.