Mit dem Wohnmobil die Welt zu bereisen – davon haben wir – wie vermutlich viele andere auch – schon lange geträumt. Einfach alles Notwendige einpacken und losfahren, nicht wissen, wo man in der nächsten Woche sein wird, und ganz nebenbei noch viele fremde Länder entdecken. Das klang schon ziemlich verlockend. Und wie so viele andere haben wir immer auf den richtigen, den wirklich perfekten Zeitpunkt gewartet, um so eine Reise zu starten. Nur um dann irgendwann festzustellen, dass der perfekte Zeitpunkt vermutlich niemals kommen wird – und dass es sich möglicherweise gar nicht lohnt, lange darauf zu warten.
Die Entscheidung zur Auszeit im Wohnmobil
Im Dezember 2018 saßen wir also an einem Sonntagabend mal wieder auf unserer Couch, müde, erschöpft und gefangen in unseren Gedanken über das bald zu Ende gehende Jahr. Die Gespräche kamen wieder auf das Thema Reisen, eine Auszeit nehmen und natürlich all die Gründe, die dagegensprechen. Irgendetwas aber war diesmal anders, und das haben wir beide gespürt. Wir waren es leid, noch länger auf den richtigen Augenblick zu warten und unseren Traum weiter an uns vorbeiziehen zu sehen. Also trafen wir noch am selben Abend eine spontane Entscheidung und beschlossen, unsere Wohnung aufzugeben, die wichtigsten Dinge zu packen und uns zeitnah auf eine einjährige Tour mit dem Wohnmobil durch Europa zu begeben. Von 110 auf 13 Quadratmeter, innerhalb von drei Monaten: Viele haben uns gesagt, sie fänden das mutig. Ausbrechen, den Alltag hinter sich lassen, neu anfangen – das, wovon viele Menschen nur zu träumen wagen. Wir finden: Das sind alles recht große Begriffe mit ziemlich großer Bedeutung.
Auszeit oder Neuanfang?

Für uns aber war es etwas anderes. Eigentlich waren wir gar nicht heiß auf einen Neuanfang. Es gab auch keinen richtigen Grund, um aus unserem bisherigen Leben auszubrechen. Wir hatten in Hamburg-Altona eine sehr schöne Wohnung und unsere liebsten Menschen weitestgehend um uns. Die beiden Kinder waren bestens betreut und fühlten sich in ihrer gewohnten Umgebung sehr wohl. Wir arbeiteten beide sehr gerne in unseren Jobs, Arne als Berater in einer E-Commerce-Agentur und Tina freiberuflich als virtuelle Assistentin, nachdem sie lange Zeit festangestellt gewesen war. Wir hatten es wirklich gut, die Kosten mitten in der Stadt waren allerdings auch entsprechend hoch. Neben der Arbeit genossen wir unser harmonisches Familienleben. Freie Zeiten nutzten wir wann immer möglich, um gemeinsam viel zu unternehmen.
Wir mochten also unseren Alltag in Hamburg, waren aber auch immer mittendrin und stets hochkonzentriert – da blieb wenig Zeit, um zu träumen, Ideen zu spinnen, Pläne zu schmieden. Wenig Zeit, um große Entscheidungen zu fällen: Wie wollen wir eigentlich langfristig leben? Und wo? Was ist uns dabei wichtig und was ist wichtig für unsere Kinder? Wie können wir unsere Arbeit am besten mit dem Familienalltag vereinbaren, ohne das Gefühl zu haben, auf einer der beiden Seiten zu viel zurückstecken zu müssen? Für all diese wichtigen Fragen hätten wir uns gerne mehr Zeit genommen. Aber die war nicht da. Immer häufiger kamen die Themen mal auf, eher so zwischendurch. Dann haben wir angefangen, in eine Richtung zu denken, zu planen und vielleicht sogar auch schon zu rechnen. Aber nicht bis zum Ende. Der Alltag, die Arbeit, die Veranstaltungen rund um die Kinder, unser soziales Umfeld, all das haben wir gut strukturiert und viele Probleme gemeistert, aber alles andere blieb erst einmal auf der Strecke.
Zum ersten Mal so richtig ins Wanken kam das Konstrukt nach einem Schicksalsschlag in der Familie. Arnes Papa war gestorben. Das wirbelte um uns herum alles durcheinander. Es brachte uns dazu, Dinge plötzlich anders zu sehen und zu hinterfragen. Vor allem aber brachte es uns oftmals an unsere Grenzen und zeigte uns, wie wahnsinnig kostbar Zeit ist.
Wann ist der richtige Zeitpunkt?
Bis dahin hatten wir uns jederzeit in der Lage gesehen, Entscheidungen zu treffen, die gut für uns waren. Machte uns eine Situation unzufrieden, hatten wir versucht, sie zu ändern. Das war plötzlich anders. Unser Urvertrauen war geschwächt, wir waren verunsichert und müde, kopfmäßig unheimlich angespannt. Die Leichtigkeit war verschwunden, und wir hatten das Gefühl, irgendwie festzustecken.
Vielleicht waren wir also in erster Linie gar nicht mutig, sondern hauptsächlich erschöpft. Vielleicht auch ein kleines bisschen trotzig. Am besten wäre es gewesen, kurz die Pausetaste zu drücken. Doch das ging leider nicht. Einfach abhauen war auch keine Alternative. Vielleicht eine Kombination, von beidem ein bisschen? Dann kam die Idee von der Reise wieder auf. Wir haben einen großen Camper vor der Tür stehen. Mit dem sind wir oft rausgefahren und waren immer traurig, wenn wir unsere Sachen wieder aus dem Wohnmobil räumen mussten, weil unsere kleine Auszeit schon wieder vorbei war. Viele unserer LeserInnen spielen mit dem Gedanken eine Auszeit im Wohnmobil zu nehmen. Hier finden Sie unsere Meinungsseite zum Thema auf Dauer im Reisemobil unterwegs.
Die Kinder waren noch nicht in der Schule, und beruflich passte es gerade so medium gut. Aber seien wir mal ehrlich, so richtig passen würde es ja nie. Also einfach machen? Nicht, um wegzulaufen, sondern um Kraft zu tanken. Um Abstand zu gewinnen, den Blickwinkel zu verändern. Ein bisschen Freiheit zum Nachdenken. Den Alltag für eine bestimmte Zeit zurücklassen. Raum und Zeit schaffen, um herauszufinden, was wir eigentlich wollen und was für uns im Leben wirklich wichtig ist.

Mit unserer Idee, ein Jahr lang mit einem Camper durch die Welt zu fahren, kamen aber natürlich auch einige Zweifel. Wollen wir das wirklich? Schaffen wir das finanziell? Wie finden die Kinder das Ganze? Und was kommt danach? Wir beide fingen an, darüber nachzudenken, erst mal jeder für sich. Zunächst sprachen wir auch gar nicht weiter darüber, ließen stattdessen die Idee in unseren Köpfen reifen. Dann sind wir das Ganze völlig pragmatisch angegangen und haben uns die Frage gestellt, was dagegenspricht. Es gab schon ein paar Sachen, ganz klar, aber nichts, was man mit einem "Aber" nicht hätte widerlegen können. Es hat sich einfach richtig angefühlt – so, als wäre es die logische Konsequenz aus allem.
Wohnmobil-Updates für die Auszeit

Es war kurz vor Weihnachten, und der Plan, Anfang April loszufahren, stand. Es musste also alles ziemlich schnell gehen. Zwischen den Jahren beantragte Arne Elternzeit bei seinem Arbeitgeber. Gleichzeitig entschieden wir uns dafür, unsere Wohnung aufzugeben, und kündigten bei der Hausverwaltung. Uns blieben noch drei Monate für Vorbereitungen. Arne machte neben der Arbeit den Camper startklar für die große Reise.
Er brachte Sonnenkollektoren auf dem Dach des Wohnmobils an, verbaute einen WLAN-Router im Innenraum und ließ sich verschiedene Sachen einfallen, damit wir den Stauraum möglichst effizient nutzen können. Tina kümmerte sich derweil um alles, was mit der Wohnungsauflösung zusammenhing, und begann schrittweise zu packen. Gemeinsam dachten wir über die Reiseroute nach.
Routenplanung für ein Jahr unterwegs
Wir hätten uns vorab sicherlich mehr Zeit nehmen können, um die Route zu planen. Das haben wir jedoch ganz bewusst nicht getan. Zu sagen, dass es im Vorwege überhaupt keine Routenplanung gab, ist aber auch Quatsch. Natürlich haben wir uns Gedanken gemacht und hatten einen groben Plan im Kopf, wo uns unser Weg hinführen soll. Als absehbar war, dass unser Plan, im April loszufahren, aufgehen würde, haben wir uns überlegt, welche Länder und Regionen zu welcher Zeit als Reiseziele geeignet sein könnten. Dabei haben wir über Punkte wie Wetter und Temperatur, Hauptreise- und Ferienzeiten sowie das Preisniveau in den jeweiligen Ländern nachgedacht.

Wenn man im April aus dem Norden Deutschlands losfährt, dann sind Länder wie England oder die Niederlande wegen der Jahreszeit und der zu erwartenden Temperaturen eher schwierig. Für uns war also relativ schnell klar, dass wir so zügig wie möglich Richtung Süden ins Warme wollten. So legten wir uns auf die Reiseregion Südwesteuropa fest. Eigentlich wollten wir gar nicht so schnell unterwegs sein, aber um ein Stück in den Süden zu kommen, war es notwendig, erst mal ordentlich Kilometer zu machen.
Der Abschied von unserem alten Leben fiel uns nicht wirklich schwer – zu groß waren die Aufregung und die Vorfreude auf alles, was uns erwartet. Für die Kinder war das alles weniger greifbar, und wir versuchten ihnen zu erklären, dass es vollkommen in Ordnung ist, auch mal traurig zu sein. Manchmal muss man eben etwas Schönes zurücklassen, um im Leben für viele neue Dinge Platz zu schaffen. Diese Erfahrung sollten wir in den folgenden zwölf Monaten noch des Öfteren machen.
Rückblick nach einem Jahr im Wohnmobil

Die Entscheidung, diese Reise zu machen, haben wir niemals bereut. Wir haben sechs Länder bereist, sind fast 28.000 Kilometer gefahren und haben an 124 verschiedenen Orten übernachtet. Wir hatten unglaublich tolle Tage und auch ein paar anstrengende. Wir haben gespürt, wie es sich anfühlt, wirklich mal Zeit zu haben. Auch hat sich unser Familienleben dadurch verändert: Wir sind noch enger zusammengewachsen, als es ohnehin schon der Fall war. Wir haben uns verändert, jeder für sich, aber vor allem auch wir zwei als Paar und wir alle als Familie.
Und wir sind uns mittlerweile sicher, dass es irgendetwas dazwischen geben muss: zwischen der völligen Freiheit, wenn man in der Weltgeschichte unterwegs ist, und dem schleppenden Alltag zu Hause, in dem man nicht merkt, wie schnell die Zeit vergeht. Wir haben gesehen, wie viel weniger wir brauchen, wie schön es sich anfühlt, nicht so viel zu besitzen und sich von äußerem Druck freimachen zu können. Wir haben das erreicht, was wir uns vorgenommen hatten: herauszufinden, was uns wichtig ist und wie wir gerne leben möchten.
Noch mehr Geschichten über Aussteiger im Wohnmobil haben wir hier für Sie gesammelt.
Fazit
Machen ist wie Wollen, nur krasser. Das hat Tina irgendwo mal gelesen. Stimmt irgendwie, dachte sie, und fotografierte den Spruch. Seitdem trägt sie ihn auf ihrem Handy mit sich herum. Letztlich ist es ja genau das: nicht einfach bloß träumen, sondern machen. Das klingt immer so leicht, aber in Wirklichkeit gibt es immer viele Fragen, Zweifel, Ängste. Aber wenn man es dann einfach mal macht, wenn man loslegt, die Dinge angeht und die Zweifel aus dem Weg räumt, dann merkt man auf einmal, dass es funktionieren kann.
So war es zumindest bei uns. Aus einem Traum wurde eine Idee, aus der Idee ein Plan und aus dem Plan Realität. Den Weg dorthin muss jeder für sich finden. Und wenn man ihn gefunden hat, muss man sich noch trauen, ihn zu gehen. Also hat das Ganze am Ende doch ein wenig mit Mut zu tun.