Schlanke Abmessungen führen nicht zwangsläufig zu einem handlichen Fahrgefühl. Nur mit einem guten Überblick kann man entspannt und souverän unterwegs sein. Wie steht es mit der Übersichtlichkeit?
Schlanke Abmessungen führen nicht zwangsläufig zu einem handlichen Fahrgefühl. Nur mit einem guten Überblick kann man entspannt und souverän unterwegs sein. Wie steht es mit der Übersichtlichkeit?
"Was machen Sie denn da?" Die Frage ist den Polizisten förmlich ins Gesicht geschrieben, als sie das gepflasterte Testgelände betreten, auf dem sich zwei promobil-Redakteure gerade in der Abenddämmerung mit seltsamen Gerätschaften an einem Wohnmobil zu schaffen machen. „Wir vermessen die Übersichtlichkeit von Integrierten mit Hilfe eines Laserstrahls“, so die wahrheitsgemäße Antwort.
Die fragenden Gesichter verwandeln sich allerdings erst nach weiteren Erläuterungen in zufriedene, ordnungsliebende Mienen. Etwa nach dem Hinweis, dass die Übersichtlichkeit für die Verkehrssicherheit ein ganz entscheidender Faktor ist. Und dass es bei diesem Thema gerade bei sogenannten integrierten Wohnmobilen - also denen mit vom Hersteller selbst konstruiertem Fahrerhaus - nicht immer zum Besten bestellt ist.
promobil testet deshalb immer wieder eine Auswahl namhafter Integrierter mit einem über Jahre speziell entwickelten Lasermessverfahren (siehe Video), das alle Aspekte berücksichtigt, die bei der Übersichtlichkeit eine wesentliche Rolle spielen.
Die Grundlage aller vergleichenden Messungen ist die reproduzierbare Positionierung des Messlasers in Augenhöhe des Fahrers. Das gelingt mittels einer 75-Kilo-Norm-Messpuppe, die auf dem Fahrersitz platziert wird und mit deren Hilfe alle Sitzeinstellungen - Höhe, Lehnenneigung und Abstand zur Pedalerie - einheitlich vorgenommen werden.
Anschließend werden die Hauptspiegel so justiert, dass die Seitenwand inklusive der oberen hinteren Aufbauecke gerade noch im Spiegel erkennbar ist. Die Weitwinkelspiegel - so weit vorhanden - werden, wenn möglich in gleicher Weise eingestellt.
Dann kann der Präzisionslaser durch die Scheiben und auch via Spiegel nach draußen geschossen werden. Sein roter Lichtpunkt findet sich - am leichtesten bei Dunkelheit - irgendwo auf der umliegenden Fläche wieder. Auf diese Weise können die Ränder der einzelnen Sichtfelder präzise abgesteckt werden. Um die ermittelten Sichtbereiche anschließend in eine aussagekräftige Grafik zu bringen, vermessen die Tester die Felder. Ein überdimensionales Koordinatenkreuz aus rechtwinklig gespannten roten Schnüren bildet die Basis. Mit Hilfe eines Laser-Ultraschall-Entfernungsmessers lässt sich dann jeder abgesteckte Punkt der Sichtfelder mit seinem Abstand zur X- und Y-Achse vermessen und schließlich in die Grafik übertragen.
Ergänzt wird diese sehr zeitaufwendige Prozedur durch eine praxisnahe Ermittlung der Scheibenwischerfelder. Denn was nützt die größte Frontscheibe, wenn sie bei Starkregen oder gar Schneefall nur zu einem kleinen Teil freigewischt wird? Dafür wird die Frontscheibe mit einem Testschaum abgedeckt und anschließend die Scheibenwischer betätigt. Das Foto zeigt deutlich den gereinigten Bereich im Verhältnis zur gesamten Frontscheibe.
Die Ergebnisse: Die Gestaltung des Fahrzeugbugs hat direkte Auswirkungen auf die Sichtverhältnisse des Fahrers. Bürstner und Carthago setzen die Frontscheibe relativ tief an und verbinden deren Unterkante mit dem Armaturenbrett durch eine schräg abfallende Verlängerung. Das sorgt für gute Nahsicht vor den Fahrzeugbug, was etwa beim Einparken hilfreich ist.
Hymer geht den entgegengesetzten Weg, zieht die Armaturenbrettverlängerung nahezu waagerecht nach vorn, um die Zugänglichkeit des Motors zu verbessern - aber zu Lasten der Nahsicht. Eher knapp ist hier auch der Blickwinkel nach oben, was beim Warten vor einer Ampel zu gymnastischen Übungen zwingt. Das gilt noch mehr für den Carthago, wo das Frontscheibenrollo die Sicht noch einen Tick früher blockiert als die Scheibenoberkante. Den in der Summe größten vertikalen Sichtwinkel bietet der Knaus mit seiner hohen, relativ steil stehenden Windschutzscheibe.
Gute Rundumsicht hängt von vielen Faktoren ab. Natürlich zunächst von der Großzügigkeit der Verglasung des Fahrerhauses. Aber auch von Details. Breite, relativ flach verlaufende A-Säulen wie im Carthago können den Blick nach schräg vorn etwa an einer Kreuzung oder in eine Kurve behindern, vor allem wenn auch noch große Außenspiegel vor relativ kleinen Dreiecksfenstern hängen. Beim Bürstner klappt dies, bei identischer Spiegelfläche, wegen des breiteren Fensters besser.
Stehende Spiegel wie im Hymer und Dethleffs haben den Vorteil, dass man im wichtigen Bereich im Umkreis von rund zehn Metern, etwa bei einer Kreuzungssituation, über den Spiegel hinwegschauen kann. Hängende Spiegel bieten dagegen meist mehr Übersicht, wie die Bürstner- und Carthago-Exemplare vorbildlich zeigen. Bis auf die etwas unpräzise elektrische Spiegelverstellung sind sie perfekt. Dass auch stehende Spiegel guten Überblick bieten können, zeigt das Hymer-Exemplar. Was dagegen Spiegel ohne oder mit mangelhaftem Weitwinkelteil für Sicherheitsrisiken bergen, zeigen die Übersichtlichkeitsdiagramme von Dethleffs und Knaus unumwunden.
Hier lassen sich ganze Lkw in den Totwinkelbereichen verstecken. Die Polizisten zeigen sich angesichts solcher Ergebnisse sehr beeindruckt: „So intensive Tests hätten aber nicht nur Reisemobile nötig!“
Mess-Ergebnisse und ein Fazit der einzelnen Wohnmobilen finden Sie auf der nächsten Seite.