Reise-Tipp Tessin
Mediterranes Flair in den Alpen

So italienisch ist die Schweiz sonst nirgendwo: Im Tessin hört man fast schon das Mittelmeer rauschen. Hier weicht etwas von der Strenge der properen Alpenrepublik. Genuss und Lebensfreude gehen eine muntere Verbindung ein mit typisch Schweizer Fleiß, Ordnungsliebe und Gründlichkeit.

Tessin, Ratgeber
Foto: Weidenfeld, Schweiz Tourismus

L'arte di vivere, die Kunst zu leben, sie herrscht unübersehbar in den Tessiner Städtchen. Zum Beispiel in Ascona im Tessin, der „Perle des Lago Maggiore“, mit ihrer malerischen Uferpromenade, an der sich Café an Café reiht. Rund um die Kirche Santi Pietro wartet ein Gewirr von Gässchen mit Boutiquen, Schmuck- und Uhrenläden auf solvente Passanten. Im Hintergrund erhebt sich der Monte Verità, auf dem sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Vorreiter der Lebensreformbewegung ein Stelldichein gaben: Anarchisten, Vegetarier, Pazifisten, Nudisten, Psychoanalytiker, Theosophen, Künstler und Lebenskünstler. Heute sind noch drei Gebäude aus jener Zeit dort zu sehen sowie ein merkwürdig kontrastierender Hotel- und Konferenzbetrieb im Bauhausstil und ein Teehaus mit Europas einzigem Teegarten.

Nur durch den Fluss Maggia ist Locarno von Ascona im Tessin getrennt. Das Zentrum des traditionsreichen Ferienortes bildet die Piazza Grande mit ihren eleganten Häusern. Bunte Marktstände, Cafés, Restaurants und Juwelierläden bestimmen das Bild.

Das Bankenwesen, aber auch eine italienisch anmutende Altstadt, Museen, Kirchen und eine Universität prägen im Tessin die 55.000-Einwohner-Stadt Lugano. Und last, not least: Bellinzona mit ihren drei Weltkulturerbe-Burgen und dem bunten, quirligen Samstagsmarkt, auf dem Tessiner Waren feilgeboten werden. 

Die Seen im Tessin

Am Lago Maggiore liegt ein absoluter Höhepunkt der Schweiz: nämlich ihr tiefster Punkt. Und der liegt im Tessin : Nur 193 Meter über dem Meeresspiegel kräuselt sich die Wasseroberfläche des über 200 Quadratkilometer großen Sees, der zu knapp 20 Prozent zur Schweiz gehört. Langensee heißt der Lago auf Deutsch, und auch sein kleiner Bruder im Tessin, der Luganersee, knapp 50 Quadratkilometer groß, verströmt mediterranes Flair. Beide laden zu Schiffsausflügen ein und zu vielfältigen Wassersportaktivitäten.

Wer sich an den Seen aufhält, profitiert das Tessin von einem milden Klima mit durchschnittlichen Tagestemperaturen von etwa sechs im Januar bis 25 Grad im Juli – in Venedig zum Beispiel wirds nur im Hochsommer wärmer. Recht angenehme Verhältnisse also. Und wenn es doch mal sehr heiß werden sollte, gibt es rundum genügend Berge, auf deren Höhen man sich auch im Tessin erfrischen kann. Die Wassertemperatur des Lago Maggiore liegt von Juni bis August bei etwa 20 Grad – für Schwimmer ideal.

Mondän ist das Tessin vor allem am Lago Maggiore. Es gibt aber auch das ganz andere, das einfache, das arme Tessin. Zumindest gab es das, und in den Gebirgstälern finden sich seine Spuren.

Das Verzasca-Tal im Tessin ist so eines. 25 Kilometer lang schlängelt sich eine teils schmale Straße von der mächtigen Talsperre des Lago di Vovorno, vorbei an der berühmten doppelbogigen Brücke Ponte dei Salti in Lavertezzo, bis hinauf zum Gebirgsdorf Sonogno. Reisemobilisten, die im Tessin eine fahrerische Herausforderung suchen, kommen hier auf ihre Kosten, ebenso zum Beispiel im Val Bavona, wo schon allein der Besuch des urigen Dorfes Foroglio der Mühe wert ist. Ängstliche Fahrer steigen frühzeitig in den Postbus um, mit dem sich die meisten Ziele ebenfalls erreichen lassen. Wer fit ist und Zeit hat, macht sich im Tessin das Verzasca-Tal auf Schusters Rappen zu eigen. Der alte Säumerweg ist zwar lang (25 Kilometer), aber selten richtig steil und lässt sich leicht in Etappen unterteilen. Das Postauto bringt die Wanderer zurück.

Inspirationsquelle für Dichter und Denker

„Das Land ist wunderbar reich und schön, und vom Alpinen bis ganz Südlichen ist alles da“, begeisterte sich Hermann Hesse für seine Wahlheimat Tessin. Hesse, neben Karl May der mit einer Auflage von weltweit über 100 Millionen Büchern meistgelesene Dichter deutscher Zunge, wohnte von 1919 (da war er 42 Jahre alt) bis zu seinem Tod 1962 in Montagnola im Tessin, südwestlich von Lugano. Hier schrieb er Werke wie Siddharta, Der Steppenwolf, Narziss und Goldmund und Das Glasperlenspiel.

In direkter Nachbarschaft zur Casa Camuzzi, in der Hesse bis 1931 in einer Wohnung mit weitem Blick über den Luganer See lebte, findet sich heute das Museum Hermann Hesse. Es zeigt persönliche Gegenstände, Fotos, Bücher und Aquarelle. Daneben gibt es Wechselausstellungen, Vorträge, Konzerte, Filme, Wanderungen und Lesungen. Bei der Anfahrt mit engen Straßen in Montagnola rechnen und Zeit für die schwierige Parkplatzsuche einplanen! Info: www.hessemontagnola.ch

Viele teilten Hesses Begeisterung für das Tessin. Der Schriftsteller Erich Maria Remarque („Im Westen nichts Neues!“) verließ 1932 Deutschland und zog in die Nähe von Ascona. Denker wie Max Horkheimer oder Erich Fromm wählten das Tessin für ihren Lebensabend. Der Historiker und Publizist Golo Mann ließ sich 1961 ein Ferienhaus in Berzona bauen; dort war er Nachbar von Alfred Andersch und Max Frisch. Die Liste berühmter Tessin-Fans ließe sich noch lange fortführen.

Clown Dimitri, den Kenner für den Weltbesten seines Fachs erachten, betreibt in dem Dörfchen Versico ein international renommiertes Kulturzentrum mit Theater, Restaurant, Museum und staatlich anerkannter Hochschule für Bewegungstheater. Ein Glanzlicht, das man trotz der hier ebenfalls engen Straßen und mangelnden Parkplätze nicht verpassen sollte. www.clowndimitri.com , www.teatrodimitri.ch

Kontraste gibt es wahrhaftig im Tessin

Den tiefsten Punkt der Schweiz haben wir bereits kennengelernt. Wähnen wir uns da fast schon am Mittelmeer, so herrscht auf der höchsten Erhebung des Kantons, dem 3402 Meter hohen Rheinwaldhorn, ewiges Eis. 

Es ist ein erhabenes Gefühl, die ausladenden Bergwelten des Tessin zu erkunden und großartige Panoramablicke zu genießen. Zahllose Wanderwege und Mountainbike-Trails sind ausgewiesen. Wers kommod mag, lässt sich von einer der vielen Luft- und Standseilbahnen oder einer Zahnradbahn nach oben hieven, zum Beispiel auf den Monte San Salvatore oder den Monte Generoso.