Frühlingsstimmung auf Usedom, der Übergang zum prallen Sommer ist fließend, manchmal nur eine Frage von wenigen Tagen. Noch aber flanieren die meisten Urlauber auf Promenaden und Seebrücken, „sammeln“ prominente Namen auf den Erinnerungstafeln vor den renovierten Villen aus der Kaiserzeit, fotografieren die Details der Bäder-Architektur: Giebel, Säulen, Türmchen und Ornamente. Es ist die Zeit der Aktiven, der Zünftigen, die sich nur zu gern von einer frischen Brise durchpusten lassen. Windkosmetik heißt das im Wellness-Jargon der Kurverwaltung. Noch ist hier nicht alles überlaufen – eine hervorragende Gelegenheit für eine Tour mit dem Wohnmobil in diese Region.
An den breiten Sandstränden werden sich schon bald viele Urlauber vergnügen, in den Strandkörben erholen, die Picknickkörbe für einen Ausflug ins überraschend vielseitige Hinterland packen. Mit über 1900 Sonnenstunden im Jahr hält Deutschlands zweitgrößte Insel den Rekord in diesem Land. Sie hat eine ungewöhnliche Form, wirkt auf der Karte wie ein zerrissener Lappen, stößt an vielen Stellen fast unmittelbar ans Festland – und hat doch alle Eigenarten einer Insel mit vielen Gesichtern bewahrt.
Kaiserbäder und Fischerdörfer – das ist Usedom
Sie haben den Ruhm der Insel im fernen Nordosten des Landes begründet, die Kaiserbäder Bansin, Heringsdorf und Ahlbeck. Zu einer Zeit als Urlaub und Ferien noch nichts lange nichts Selbstverständliches waren. Man reiste um die vorvorige Jahrhundertwende in die Sommerfrische ans Meer, baute sich neben die Fischerkaten protzige Villen und prunkvolle Häuser, die den Lebensstil vor allem der neureichen Berliner jener Zeit an die Ostsee verpflanzten. „Sehen und gesehen werden“ hieß seinerzeit das Motto, und 1897 stöhnte der Kritikerpapst Alfred Kerr, dass man auf der Ahlbecker Promenade genau jene Typen treffe, vor denen man in Berlin geflohen sei. Neben den Bankiers wie Bleichröder und Oppenheim, Unternehmern wie Schering und Stobwasser siedelten sich auch Künstler an: Bildhauer, Maler, Galeristen, Dichter. Wer es sich leisten konnte, erwarb dort ein Haus und bewirtete honorige Gäste.
Nach Nazizeit, Zweitem Weltkrieg und 40 Jahren DDR, in denen viele Adels-Paläste zu Gewerkschaftsheimen umgebaut oder dem Verfall überlassen wurden, lässt sich wieder viel vom Glanz der frühen Jahre erahnen. Die Seebrücke von Bansin, die hölzerne Konzertmuschel davor und die historische Uhr – alles wie früher. Auch in Ahlbeck, dem wohl populärsten Kaiserbad, ist die historische Brücke mit dem Seepavillon längst wieder zum gesellschaftlichen Mittelpunkt geworden. Und die Kurverwaltungen knüpfen mit originellen Events an die Belle Époque an, laden zu hochkarätigen Musikfestivals und auf eine Schlemmermeile, die sich am Strand durch alle Nobelbäder zieht.
Aber die drei berühmten Bäder sind ja nur ein Teil von Usedom, der bekannteste, aber zugleich der kleinste. Nicht wenige Stammgäste fühlen sich in den kleineren Küstenorten, den sogenannten Bernsteinbädern, besonders wohl: Dort, wo sich die Insel zwischen Achterwasser und Ostsee einschnürt wie eine Frau, die besonders schlank wirken will, bieten Zempin, das charmante Fischerdorf Koserow, Kölpinsee/Loddin mit seinem Küstenradweg und das waldreiche Seebad Ückeritz Romantik und Reize, wie sie Familien, Individualisten und Urlauber auf Wohnmobil-Tour so besonders lieben.
Noch verträumter und noch naturbelassener ist das Land hinter dem Strand, rund ums Achterwasser, eine seenartige Ausbuchtung des Flüsschens Peene: die Mellenthiner Heide, der Lieper Winkel, die stille Region um den Usedomer See, der Haubenhörn, ein Gewässer nördlich von Liepe. Abenteurer werden die Halbinsel Wolgaster Ort zwischen Trassenheide und Krummin oder die Halbinsel Gnitz zwischen Achterwasser und Krumminer Wiek entdecken wollen.
Auf den Spuren der Vergangenheit Usedoms
Auch jenseits der Sonneninsel, in den beiden Städtchen, die sich Tore zu Usedom nennen, sind überraschende Begegnungen möglich: In Anklam, dessen Altstadt im Zweiten Weltkrieg fast völlig zerstört wurde, mag man sich auf die Spuren des Flugpioniers Otto von Lilienthal begeben. Er wurde hier, am Peeneufer, im Mai 1848 geboren. Das nördliche Tor, über zwei Brücken mit Usedom verbunden, ist Wolgast. Wer einmal durch dieses freundlich-gemütliche Städtchen bummelt oder das Heimatmuseum besucht, wird sicherlich etwas vom vergangenen Ruhm der alten Kaufmanns- und Seefahrerstadt spüren.
Und wenn das Vergnügen dann grenzenlos sein soll, lässt man das Wohnmobil für einen Tag stehen und setzt sich in Ahlbeck in einen modernen Triebwagen der Bäderbahn. Wie zu Kaisers Zeiten rauscht sie wieder bis ins heute polnische Swinemünde, das geografisch zur Insel Usedom gehört. Dort hat einmal das Bäderleben angefangen, damals, als noch niemand von Wellness oder Windkosmetik gesprochen hatte. Heute ist Swinemünde eine lebhafte Stadt – ein Besuch ist das i-Tüpfelchen eines gelungenen Usedom-Urlaubs.
Besonders reizvoll: das Wasserschloss Mellenthin
In reizvoller Lage lockt dieses gut 430 Jahre alte Wasserschloss mit allerlei Reizen. Es ist ein geschichtsträchtiger Herrensitz, an dem sich die Historie der Insel festmachen lässt. Die Anlage umfasst ein Hotel und nebenan einen Gutshof, der jedes Jahr aufs Neue auch einem Storchenpaar als Unterkunft dient. Mellenthin ist ein Ort, in dem die Kirche im Dorf geblieben ist – rustikal und von alten Sagen und Legenden umwoben. Zum Erlebniszentrum gehören ferner eine hauseigene Brauerei und eine Gastronomie, deren Ambiente zum Angebot passt: In Gewölben und mit entsprechend gekleideter Bedienung werden hier zum Beispiel „Räubermolle“ (Spareribs mit Ofenkartoffeln), ein mittelalterliches Ritterbüfett oder ein zünftiger Piratenabend geboten – lohnenswert. www.wasserschloss-mellenthin.de
Traditionell gut: die Restaurants der Kaiserbäder
In den noblen Restaurants der Kaiserbäder darf feine Küche erwartet werden. Mindestens genauso beliebt sind aber die vielen Traditionslokale, die pommersche Hausmannskost auftischen. Gute Qualität und viel auf dem Teller, das war schon immer das Motto in dieser einst agrarisch geprägten Region („Beter de Buk platzt, as dat wat öwrig blivt ...“). Natürlich steht Fisch aus der Ostsee überall auf der Karte. Unbedingt probieren: die Ahlbecker Fischsuppe mit Stücken vom Dorschfilet.