Der Reisemobiltourismus boomt, das sieht man nicht zuletzt an den steigenden Zulassungszahlen, die der Caravaning Industrie Verband Deutschland (CIVD) monatlich veröffentlicht. Innerhalb der letzten zehn Jahre stiegen die Neuzulassungen von 21.235 jährlich auf 28.348 Reisemobile, ein Plus von rund 33 Prozent. Obwohl auch immer wieder ältere Fahrzeuge abgemeldet werden oder ins Ausland abwandern, wächst auch der Bestand, und zwar im selben Zeitraum um rund 24 Prozent.
Zum Stichtag 1. Januar 2016 waren laut Kraftfahrt Bundesamt (KBA) 417 297 Reisemobile in Deutschland zugelassen. Die tatsächliche Zahl liegt laut Schätzungen des CIVD aber noch deutlich höher, nämlich bei 460.000 Fahrzeugen. Die Differenz erklärt sich damit, dass beim geschätzten Bestand auch kompakte Campingbusse mit Pkw-Zulassung wie VW California und Co. eingerechnet werden.

Immer mehr Wohnmobile auf der Straße und den Stellplätzen
Als logische Konsequenz der steigenden Bestände sind immer mehr Reisemobile auf den Stellplätzen unterwegs. Es verwundert daher auch nicht, dass bei einer Umfrage auf promobil.de die überwältigende Mehrheit der Teilnehmer der Aussage zustimmt, die Stellplätze seien in letzter Zeit deutlich voller als früher.
Diesen zugegebenermaßen subjektiven Eindruck untermauert Roman Bauer vom Stellplatznetzwerk „Mein Platz“ mit harten Zahlen. Um rund 30 Prozent ist die Auslastung der Mein-Platz-Plätze in der letzten Saison gestiegen. Auch Jürgen Dieckert vom Stellplatzverbund „Top Platz“ bestätigt diesen Trend: „Trotz der verregneten Monate Mai und Juni war dieses Jahr aufs Ganze gesehen ein Erfolg.“ Die Auslastung der Top-Plätze bewertet er mit gut bis sehr gut.
Des einen Freud ist des anderen Leid
So schön volle Stellplätze für die Betreiber auch sein mögen – für die Reisemobilisten wird es immer schwieriger, noch ein freies Plätzchen zu ergattern. Vor allem in der Hochsaison ist es in touristisch beliebten Regionen wie der Nord- oder Ostsee brechend voll. Hier bekommt man an einem Freitagnachmittag meist schon keinen freien Platz mehr. Die Idee des spontanen und unabhängigen Reisens wird so ad absurdum geführt.
Die Lösung des Problems liegt auf der Hand: Es müssen mehr Stellplätze gebaut oder ausgewiesen werden. Dabei kommt es jedoch auf Augenmaß an, blinder Aktionismus schadet nur. Davon kann der Stellplatz-Planer Thomas Schröder ein Lied singen. „Oft melden sich Kommunen oder private Interessenten bei mir, die wissen wollen, wie man einen Stellplatz denn nun baut. Da geht es nur um das ,Wie‘, das ,Ob‘ spielt gar keine Rolle. Dabei ist der Standort ein entscheidender Erfolgsfaktor.“
Vor allem in den Großstädten wird es eng
Das sieht auch Jürgen Dieckert so. Er macht vor allem in Großstädten einen erhöhten Bedarf an neuen Stellplätzen aus, da die oft überlastet wären: „Das tut weder dem Platz noch dem Besucher gut.“ Doch obwohl in Städten der Bedarf groß ist, gibt es auch Beispiele von erfolgreichen Stellplätzen, die wegen widriger Umstände schließen müssen.
Dieses Schicksal ereilt zum Beispiel den Freiburger Stellplatz am Eschholzpark. Er muss in den kommenden Jahren weichen, weil die Stadt den Platz für dringend notwendigen Wohnungsbau benötigt. Der Grundsatzbeschluss für ein Neubaugebiet an dieser Stelle ist in den zuständigen Gremien des Gemeinderats bereits gefallen, einen Bebauungsplan gibt es allerdings noch nicht. Einen alternativen Standort für den Stellplatz hat die Stadt Freiburg zwar angeboten, aber der stößt beim Betreiber auf wenig Gegenliebe, da er in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem autobahnähnlichen Kleeblatt liegt, das zwei der am stärksten befahrenen vierspurigen Straßen der Stadt verbindet.

Auch der stark frequentierte Reisemobilhafen Überlingen mit seinen 30 Plätzen steht auf der Kippe; er soll einem Supermarkt weichen und eventuell verlegt werden. Von Schwierigkeiten berichtet auch Birgit Siebert, Betreiberin des Restaurants „Finsinger Alm“ im bayerischen Finsing. Ihr kleiner Stellplatz für drei Reisemobile war dem Landratsamt ein Dorn im Auge, sodass es ihn kurzerhand unter Strafandrohung schließen ließ.
Dass die Städte und Kommunen den Stellplatzbetreibern aber auch wohlgesonnen sein können, zeigt das Beispiel von Michael Moll, der im Sommer 2016 seinen Stellplatz im nordrhein-westfälischen Nordkirchen eröffnet hat. Von Anfang an wurde er von der Stadt unterstützt, die im neuen Stellplatz das Potenzial für die heimische Wirtschaft und den Tourismus erkannt hat.
Reisemobiltourismus: Beliebte neue Einnahmequelle für Gemeinden
Immer mehr Kommunen und Regionen entdecken den Reisemobiltourismus für sich, aktuell werden beispielsweise in der Region Coburg-Rennsteig, im Sauerland und rund um Stuttgart Stellplätze angelegt. Solche Projekte werden in Zukunft für Entlastung auf den Plätzen sorgen. Der Stellplatzplaner Thomas Schröder bestätigt diesen Trend: „Die Anfragen nach Stellplätzen stiegen im letzten Jahr um 40 bis 50 Prozent.“
Private Unternehmer und öffentliche Hand investieren also in Stellplätze. Doch wie sieht es bei den Reisemobilherstellern aus, die ja auch ein Interesse daran haben sollten, dass ihre Kunden eine gute In-frastruktur vorfinden? Darauf hat Hans-Jürgen Hess vom Verband der Wohnmobil-Stellplätze eine eindeutige Antwort: „Die Hersteller tun nicht genug. Die Stellplatz-Branche wünscht sich mehr Unterstützung in Form von Patenschaften oder Sponsorings.“
Eine Vorreiterrolle nimmthier Phoenix ein; der Hersteller inizierte Anfang der 2000er-Jahre den Phoenix-Reisemobilhafen Bad Windsheim.Phoenix-Inhaberin Barbara Schell wollte mit dieser Aktion auch für andere Hersteller ein Zeichen setzen – Nachahmung erwünscht. Dabei geht es nicht so sehr um Stellplätze neben dem Werk, die oft Kunden vorbehalten sind, sondern um Stellplätze an touristisch interessanten Zielen, von denen jeder Reisemobilist profitiert.
Wie können erfolgreich neue Stellplätze entstehen?
Wichtig für die Entstehung neuer Stellplätze ist auch eine gezielte Aufklärung der Gemeinden, um Vorurteile abzubauen und den wirtschaftlichen Nutzen für die heimischen Betriebe zu unterstreichen. Der Deutsche Tourismusverband hat das erkannt und gibt daher die „Planungshilfe für Wohnmobilstellplätze in Deutschland“ heraus. Auch promobil engagiert sich immer wieder in diversen Projekten zur Entwicklung der Stellplatzlandschaft: So unterstützte die Redaktion beispielsweise den Stellplatz-Gipfel auf der CMT 2016, berät die Tourismusregion Heilbronner Land und stieß den Stellplatzplaner-Wettbewerb an, bei dem im Murr-Bottwartal neue Stellplätze entstehen sollen. Hier haben die Bemühungen bereits Früchte getragen: Im kommenden Jahr werden hier 16 neue Stellplätze mit Platz für insgesamt 75 Reisemobile eröffnet.
Hierzulande ist man in der komfortablen Situation, dass ganze Regionen Stellplätze eröffnen. Im europäischen Ausland ist das eher selten, trotzdem gibt es ein paar Regionen, die etwas für die Gäste mit Reisemobilen tun. So hat etwa in Griechenland die Region Epirus in Zusammenarbeit mit einem deutschen Beratungsbüro 34 Stellplätze ausgearbeitet und eröffnet. Die Plätze wurden alle in Zusammenarbeit mit der örtlichen Verwaltung erstellt, sodass sie wohl nicht in Bälde wieder von der Bildfläche verschwinden werden. In Dänemark mausert sich indes die Insel Rømø zu einem Hotspot in Sachen Reisemobil-Stellplätze, und auch in den Niederlanden, genauer in der Provinz Zeeland, gibt es neue Stellplätze. Eine andere Entwicklung kann man in Frankreich beobachten. Hier gab es lange Jahre eine Vielzahl kostenloser Stellplätze, die nun kostenpflichtig und mit einem Kreditkarten-Kassenautomaten ausgestattet werden.

Stimmen aus der Branche:
Hans-Jürgen Hess, Verband der Stellplatzbetreiber:
„Analog zu den steigenden Zulassungen steigen auch die Besucherzahlen auf den Stellplätzen. Dazu kommt, dass der Inlandtourismus aufgrund der unsicheren Lage im Ausland noch zugelegt hat. Auch die Campingplätze werden immer voller.“
Roman Bauer, Stellplatznetzwerk „Mein Platz“:
„Es geht nicht nur darum, immer neue Plätze zu eröffnen. Man muss auch die vorhandenen Stellplätze vergrößern und die Infrastruktur ausbauen, so wie es auf den Plätzen in Wiesbaden, Bad Salzungen und Berlin-Mitte geplant ist.“
Barbara Schell, Inhaberin Phoenix Reisemobile:
„Man kann nicht nur munter gute Wohnmobile bauen und auf den Weg bringen, sondern sollte auch Sorge tragen, dass Wohnmobilisten Stellplätze finden, bei denen sie gerne gesehen sind.“
Nachgefragt bei Dr. Holger Siebert, Vorstandsmitglied des Herstellerverbands CIVD.
Was tut der CIVD für den Ausbau der Stellplatz-Landschaft?Die Interessen von Reisemobilisten und Caravanern sind auch die Interessen des CIVD. Den Trend zum Stellplatz als Ergänzung zum klassischen Campingplatz hat der Verband früh erkannt und gefördert. Tatsächlich ist der CIVD seit Ende der 1980er Jahre aktiver Unterstützer des Stellplatz-Ansatzes und hat durch kooperative Aufklärungsarbeit dazu beigetragen, dass sich Städte und Kommunen den mobilen Gästen öffnen, ohne um ihre Gäste aus der Hotellerie zu bangen. Für Platzbetreiber wurde unter Federführung des Deutschen Tourismusverband eine Planungshilfe zur Errichtung von Reisemobil-Stellplätzen erstellt.
Caravaning steht für flexibles, eigenbestimmtes Reisen und trifft damit den Nerv der Zeit. Und Stellplätze bieten die Möglichkeit, besonders flexibel, individuell und auch spontan zu verreisen und dabei besonders nah dran am Geschehen zu sein, weil sie oft in unmittelbarer Nähe zu Innenstädten, Sehenswürdigkeiten und Freizeitaktivitäten liegen. Winzer, Landwirte, Freizeitparks, Restaurants und zahlreiche andere Organisationen haben längst die Reisemobilisten für sich entdeckt. Ich persönlich finde alle gut – und die Winzer am besten.
Immer mehr Campingplätze bauen ihr Übernachtungsangebot für Reisemobilisten vor der Schranke aus. Die Vielfalt des Angebots ermöglicht also volle Gestaltungsfreiheit für den individuellen Reisemobilurlaub. Somit sind Stellplätze eine sinnvolle Ergänzung zu Campingplätzen, steigern die Attraktivität des mobilen Reisens zusätzlich und sind daher am Ende des Tages auch sehr relevant für die Verkäufe von Reisemobilen.
Kommentar von Anne Mandel (Autorin):
Der Boom des Reisemobiltourismus hat nicht nur Schokoladenseiten. Überfüllte Stellplätze schmälern nicht nur das Vergnügen am Hobby, sondern sind auch eine vertane Chance. Schließlich gibt es noch genügend weiße Flecken auf der Stellplatzkarte, die man sinnvoll füllen könnte. Es ist schön, dass immer mehr Kommunen und private Betreiber in Stellplätze investieren. Doch hier sind auch die Hersteller gefragt, die ja von einer üppigen Stellplatz-Landschaft ebenfalls profitieren. Es wäre wünschenswert, dass mehr Unternehmen dem Beispiel von Phoenix folgen und sich stärker für attraktive Stellplätze engagieren und sie finanziell unterstützen.