Die Rhône entlang nach Süden, von Genf nach Lyon und weiter über Orange nach Châteauneuf-du-Pape – dem Licht und der Melancholie des Midi entgegen. Die ersten Lavendelfelder in der Nachmittagssonne, Wiesen mit Mohnblumen gesprenkelt, die Boulespieler auf dem Dorfplatz. Es sind die vertrauten Bilder, die wir so lieben: Madame strebt mit dem Baguette unterm Arm nach Hause, Monsieur le Patron serviert den Wein der Region, Zeit für eine Dégustation unter Platanen, Zeit, auf die Provence anzustoßen.
Endlich sind wir angekommen in diesem Landstrich voller sinnlicher Genüsse, dieser gesegneten Region zwischen Alpen und Mittelmeer, deren Reize und Farben Maler, Dichter und Lebenskünstler angezogen haben. Heute kommen die Touristen auf Spurensuche – nach van Gogh, Cézanne, Chagall, auch nach Peter Mayle, dessen Bücher mindestens so viel Gäste angelockt haben wie die Werke der großen Maler. Sie alle wollen eintauchen in die Lebenskunst und in die Kunst in den Kathedralen und Palästen des Mittelalters, sie alle sehnen sich danach, einmal mehr die einfachen Freuden Südfrankreichs in vollen Zügen zu genießen.
Es sind die intensiven Düfte von Lavendel, Rosmarin und den vielen anderen Kräutern der Provence, die noch lange nach der Ernte die Luft sättigen, die Wanderungen durch Olivenhaine und Steineichenwälder. Es ist die Teilnahme an einem Lebensstil, die eine Reise in die Provence besonders macht: gestern ein Picknick auf einem Felsgipfel der Dentelles de Montmirail in der Vaucluse, heute Mußestunden auf einer Bank an der Rhône mit Blick auf den Papstpalast von Avignon. Die Ehrfurcht vor der steinernen Wucht nimmt ab, hier wie dort, wenn man sie aus der Dis-tanz betrachtet – und dabei den Banon im Kastanienblatt genießt, einen Käse, den schon die Römer liebten. Wir sind am späten Abend in Avignon angekommen. Der Palast war angestrahlt und wirkte dennoch sehr düster, mehr noch als am Tag – eine Trutzburg wie eine Theaterkulisse. Benedikt XII. hat ihn einst für die Ewigkeit erbaut, sein Nachfolger Clemens VI. noch einmal in monströser Selbstüberschätzung doppelt so groß gemacht. Doch schon nach 108 Jahren gaben die Päpste die provenzalische Festung auf. Und bis heute, fast 600 Jahre später, hat Avignon nichts von der Anziehungskraft verloren.
Weiter nach Süden, ein paar Kilometer nur: St.-Rémy, mit einer Altstadt voller Charme und Nostalgie. Van Gogh hat hier in einer Heilanstalt wie besessen gemalt, aber die Stadt besitzt kein einziges Original von ihm. Im Restaurant „Zur Knoblauchzehe“, das natürlich „La Gousse d’Ail“ heißt, lassen wir uns ein Lammgulasch schmecken, nach hiesiger Art mit Kräutern aus der Nachbarschaft gewürzt.
Les Baux, geradewegs nach Süden zu, eine längt verlassene Burg, die einen imposanten Eindruck vergangener Ritterherrlichkeit vermittelt – und an diesem Tag einen Blick bis an die Küste bietet. Und noch ein Höhepunkt, aber ganz anderer Art: Aixen-Provence, für Studenten Frankreichs beliebteste Universitätsstadt, für die meisten Touristen die schönste Stadt der Provence. Was soll man hier zuerst anschauen: Cézannes Atelier, in dem noch immer seine Staffelei und sein Weinglas stehen, die Kathedrale, das wunderschöne Tapisserie-Museum?
Oder lieber zum Auftakt über den Cours Mirabeau bummeln, einen Boulevard, der sich seinen Charme seit über 360 Jahren bewahrt hat? Es ist sonnig und warm, aber nachmittags lässt uns der Mistral, der Wind des Südens, der jede Wolke vom Himmel fegt, zuweilen frösteln. Gute Gelegenheit für Besichtigungen oder für Studien, die sich auch aus dem Café heraus anstellen lassen. Zum Beispiel in Arles: Man setzt sich an der Place du Forum auf einen Milchkaffee an den Rand dieser wunderbaren Stadtbühne und schaut den Menschen aus aller Welt zu.
Nur das legendäre „Nachtcafé“ in van Goghs Gelbem Haus sollte man meiden: Es ist eine Touristenfalle, wie sie überall an solchen Orten aufgestellt sind. Viel zu erzählen gäbe es noch vom Luberon, der sonnenverwöhnten Landschaft im Osten der Provence, oder von der berühmten Camargue, die allen steigenden Touristenzahlen zum Trotz ihren einzigartigen Reiz behalten hat. Was ist mit der Vaucluse, dem Revier für Romantiker? Ach, lassen wir einfach Raum für Träume und Entdeckungen, für Vorfreude und Planung. Die Provence jedenfalls kann zum Sehnsuchtsziel eines ganzen Lebens werden. Mit einer Tour ist das nicht getan.
Lila hat Hochsaison
Es ist die Farbe der Region: das unverwechselbare Lila der Lavendelrabatten, die im Hochsommer weite Teile der Provence prägen. Und es ist der Duft dieses Landes, der sich in unzähligen Produkten findet, die seit Großmutters Zeiten in ganz Europa für Frische und Sauberkeit stehen. Nur der „echte Lavendel“ (Lavandula angustifolia), wie die Botaniker sagen, liefert übrigens die feinen Essenzen, die für Parfüms und Kosmetika gebraucht werden. Dieser einzig wahre Lavendel wächst nur auf drei Prozent der provenzalischen Lavendelfelder. Der Rest ist für Duftbeutel in Souvenirläden, für Wasch- und Putzmittel bestimmt. Schon wieder -eine Illusion geplatzt? Ach was, denn die lila Felder sind – echt oder falsch – einfach wunderschön anzusehen.