Auf solche Urlaubsbilder kann man verzichten: Wie ein gestrandeter Wal liegt das Wohnmobil auf der Autobahn. Unfälle bleiben nicht aus, wenn sich in der Hochsaison Tausende von Wohnmobilurlaubern auf den Weg machen. Diesen Sommer erregte zudem ein Crashtest die Gemüter. Kein Wunder, dass im Forum der promobil-Homepage eine Diskussion aufkam: Wer baut die sichersten Reisemobile? Welcher Aufbau bietet den besten Schutz? Viele Reisemobilfahrer haben sich längst eine Meinung gebildet. Wie sehen die Fakten aus?
Zunächst die Praxis: Unfallforschung und Statistik bieten kaum Verwertbares. Reisemobile tauchen hier fast nicht auf. Im Vergleich zu Pkw-Unfällen ist die Anzahl der im Wohnmobil verletzten oder getöteten Insassen verschwindend gering - Tendenz weiter sinkend.
Andererseits hilft statistische Sicherheit den Betroffenen nichts.
Was lehrt also die Theorie über die Schutzwirkung von Wohnmobilen? Wie sehen die jüngsten Testergebnisse aus? Abermals Fehlanzeige: Es gibt praktisch keine aktuellen Crashversuche von Wohnmobilen. Nur Pkw müssen im Rahmen des europäischen NCAP-Tests eine Reihe von Torturen über sich ergehen lassen. Etwa einen Frontalaufprall mit 64 km/h. Anders bei 3,5-Tonnern. Transporter, wie sie als Basisfahrzeuge für Wohnmobile zum Einsatz kommen, bleiben bei Euro-NCAP außen vor.
Erst als die Unfallzahlen für Kurierfahrzeuge vor einigen Jahren anstiegen, wollte es der ADAC genauer wissen. 2007 donnerte ein Fiat Ducato nach NCAP-Kriterien gegen eine Barierre. Das Ergebnis: Die Belastungen für den Dummy fielen höher aus als bei modernen Pkw, deren Strukturen meist auf die NCAP-Normen ausgelegt sind. Positiv hoben die Tester die Wirkung des Airbags hervor, der die Verletzungsrisiken für den Kopf in Grenzen hält. Viel besser schlug sich die Fiat-Karosserie übrigens, als man in der gleichen Testreihe einen Auffahrunfall mit 60 km/h auf einen Pkw simulierte.
Crashtests von Wohnmobilen laufen mit reduziertem Tempo ab. Schon beim ersten ADAC-Crash 1993 beschränkte man sich auf 32 km/h und eine Barriere in Fahrzeugbreite statt der anspruchsvolleren Teilüberdeckung beim NCAP-Test. Schließlich sind Freizeitfahrzeuge nicht so schnell unterwegs wie Pkw oder Transporter und weniger häufig in Frontalunfälle verwickelt. Inzwischen haben sich diese Vorgaben als Standard für weitere Wohnmobil-Crashversuche etabliert.
Die bisherige Anzahl solcher Tests lässt sich aber nahezu an einer Hand abzählen. Robert Horvath, Entwicklungsleiter bei Knaus, nennt die Gründe: „Hohe Kosten und geringe Stückzahlen sprechen dagegen. Crashtests würden das Preis-Leistungs-Verhältnis von Reisemobilen zuungunsten des Kunden verschlechtern." Hymer ließ zuletzt Integrierte auf Mercedes- und Ford-Basis an die Wand fahren. Der Anlass: Die Fahrgestellhersteller wollten sich vom Zusammenspiel der Gurtstraffer und Airbags überzeugen.
Fiat erteilt die Freigabe für Airbags bei allen Integrierten mit Seriensitzen samt eingebautem Gurt. Nur bei Änderungen an den vorderen Plätzen werden umfangreiche Nachweise durch Schlittenversuche fällig. Dass Chassishersteller hier ein Wort mitreden, hat handfeste Gründe. Auch beim Integrierten entscheidet vor allem die Struktur des Basisfahrzeugs über die Verformung. Thomas Buschle hat bei Hymer die Crashtests begleitet und stellt fest: „Der Fahrzeugaufbau hat beim Frontalaufprall fast keinen Einfluss.“
Und wenn der Unfall ein Umfall ist? Dann zählt die Stabilität der Gesamtkonstruktion. Aus realen Fällen lässt sich ableiten, dass übliche Aufbauten einen Sturz auf die Seite überstehen. Bei Überschlägen kann eine konventionell verschraubte Konstruktion dagegen an ihre Grenzen kommen.
Doch trotz äußerlicher Paralellen ist die Technik nicht in den 90er Jahren stehen geblieben. Frank Lessmann, Technischer Leiter bei Eura Mobil: „Wir beschäftigen uns intensiv mit der Karosserietechnik. Bei unseren Aufbauten sind alle Teile verklebt. Das bringt sehr hohe Steifigkeit und Stabilität." Der Gesetzgeber zwingt nicht zu solchen Maßnahmen. Bei der Zulassung interessiert es im sonst so regelungsfreudigen Europa niemanden, wie stabil ein Wohnmobil gebaut ist.
Also haben die Hersteller eigene Methoden entwickelt. Frank Lessmann: „Wir machen zwar keine Crashtests, aber Bauteilversuche mit GfK, um das Splitterverhalten zu prüfen. Bei kleinen Stößen gibt das GfK nach, große Stöße gehen auf die Metallstruktur des Chassis, da lösen die Airbags analog zum Originalfahrerhaus aus. Auch dort gibt es ja eine Kunststoff-Stoßstange.“
Hymer hat ebenfalls auf einen Crashtest der aktuellen Integrierten verzichtet, profitiert aber von früheren Testerfahrungen. Thomas Buschle: „Weil die Grundkonstruktion vergleichbar geblieben ist, gab es dafür keinen Anlass." Aufgrund der damaligen Testergebnisse wurde die Technik stets weiterentwickelt: „Wir haben schon nach den ersten Versuchen auf eine Sperrholzplatte zwischen Armaturenbrett und Scheibe verzichtet. Außerdem wird die Frontscheibe der B-Klasse seit Modelljahr 2007 fest verklebt." Die Struktur von Aufbau und Frontpartie ist aber nur eine Seite der Medaille.
Crashtests zeigten auch, dass Verletzungsrisiken aus dem Wohnraum drohen. Gelockerte Möbelteile und Gepäck können zu Geschossen werden. Die Konstrukteure haben die Lektionen aus früheren Versuchen offenbar gelernt. Robert Horvath: „Wenn wir zum Beispiel eine eingebaute Kaffeemaschine anbieten, dann ist das ein aufwendiger Prozess bis wir sicher sind, dass bei einem Unfall keine Gegenstände umherfliegen können. Das ist das A und O." Frank Lessmann betont die Partnerschaft mit TÜV-Sicherheitsexperten bei allen wichtigen Neuentwicklungen. Thomas Buschle setzt auf eine Kombination aus Erfahrung und eigenen Prüfungen: „Wir testen die Stabilität der Einbauten auf der Rüttelstrecke. Schränke, die in Fahrtrichtung öffnen, müssen eine Beschleunigungskraft von 20 g aushalten." Um einen verbindlichen Standard handelt es sich dabei allerdings nicht. Sonst würde man auf dem breit gefächerten Markt wohl kaum Grundrisse entdecken, bei denen die Tür eines quer zur Fahrtrichtung eingebauten Kühlschranks nur von kleinen Kunststoff-Verschlüssen gehalten wird.
Klare gesetzliche Vorgaben betreffen vor allem die Passagierplätze im Wohnraum. Wenn ein Hersteller Dreipunktgurte einsetzt, muss das Gestell - der sogenannte Gurtbock - für eine Zulassung umfangreiche Zugversuche überstehen. Geprüft wird nach strengen Vorgaben für die europäische Fahrzeugklasse M1, also analog zu Pkw-Kriterien. Kurios: Die längst als untauglich entlarvten Beckengurte wären ebenfalls zulässig. Auch darüber hinaus bewies der Gesetzgeber wenig Konsequenz. Robert Horvath: „Für die Zugversuche ist das Sitzgestell relevant. Dieses prüfen wir nach der Richtlinie 76/115/EWG. Wie sich der gesamte Sitz verhält, wird nicht geprüft.“
Was die Rutschfestigkeit von Sitzflächen betrifft, bleibt die Regelung so schwammig wie manches Polsterteil. Abermals ist der Hersteller gefragt. Horvath: „Es ist uns ein wichtiges Anliegen, dass die Polster fest an ihrem Platz haften bleiben. Mit Einzelsitzen im Wohnraum sind wir einen Schritt weiter. Im Moment gibt es diese Sitze aber nur für Kastenwagen. Wir werden beobachten, wie die Kunden reagieren.“
Die Befestigung von Möbeln und Wassertank wird im Rahmen der Typgenehmigung nicht näher geprüft. Zum Insassenschutz müssen an den Möbelkanten lediglich bestimmte Radien eingehalten werden. In der Theorie. Von Zulassungsfachleuten hört man hinter vorgehaltener Hand, dass selbst bei den Mindestanforderungen nicht überall mit gleichem Maß gemessen wird. Wer zeitgemäße Sicherheitsausstattung erwartet, darf sich ebenso wenig nur auf Gesetze verlassen. Lediglich das ABS ist seit 2001 für Wohnmobile über 3,5 Tonnen Pflicht. Der Fahrer-Airbag hat sich zwar durchgesetzt, doch ausgerechnet bei teuren Integrierten bleibt er Option oder ist gar nicht lieferbar.
Für den Beifahrer-Airbag müssen Käufer fast aller Reisemobile extra zahlen. Ebenso für ESP - obwohl die EU den Schleuderschutz für so wichtig hält, dass man ihn für neu entwickelte Pkw zwingend vorschreibt. Chassishersteller bauen das ESP auch in Transporter serienmäßig ein - nur eben nicht in Reisemobilfahrgestelle. Immerhin stehen die technischen Vorzeichen zur Verbreitung günstig: Abgesehen von den Dreiachsern gibt es ab sofort auch die meisten Alko-Chassis mit ESP. Der Käufer muss es nur ordern.
Ohnehin trägt jeder Reisemobilfahrer einen Teil der Verantwortung für die Unfallstatistik selbst. In Polizeiberichten tauchen immer wieder Überladung und geplatzte Reifen als Ursache auf - eigentlich leicht vermeidbare Risiken.