Im Frühjahr 2019 kaufte Thor Industries aus den USA die Erwin Hymer Group (promobil berichtete). Im weltgrößten Campingfahrzeug-Konzern kommen unterschiedliche Unternehmenskulturen zueinander.
Im Frühjahr 2019 kaufte Thor Industries aus den USA die Erwin Hymer Group (promobil berichtete). Im weltgrößten Campingfahrzeug-Konzern kommen unterschiedliche Unternehmenskulturen zueinander.
promobil sprach auf dem Caravan Salon Düsseldorf 2019 mit Thor-Boss Bob Martin und EHG-Vorstand Martin Brandt. Wie geht es weiter im Konzern und was erhoffen sich die Amerikaner auf dem europäischen Markt?
Mit welchem Fahrzeug der EHG würden Sie, Bob Martin, gerne durch Europa reisen?Bob Martin: Am liebsten natürlich mit der Studie Vision Venture.
Martin Brandt: Wir haben darüber gesprochen, ob Bob nächstes Jahr mit seiner Familie in einem Fahrzeug der EHG Deutschland bereist. Seine Familie hat eine besondere Beziehung zu Deutschland.
Bob Martin: Meine Vorfahren sind 1860 von Dresden in die USA ausgewandert. Sie stellten dort Musikinstrumente her und zogen schließlich nach Elkhart, Indiana. Dort bin ich geboren und dort ist heute die Zentrale unserer Gruppe.
Wir vermuten, dies ist nicht Ihr erster Caravan Salon, oder?Bob Martin: Nein, es ist der sechste oder siebte. Wir kommen immer wieder herüber, um uns die Fahrzeuge anzusehen und vielleicht die eine oder andere Idee zu finden.
Aktuell läuft der Markt für Reisemobile sehr gut. Wie sind Ihre Erwartungen für die weitere Marktentwicklung?Bob Martin: Man muss ganz klar unterscheiden zwischen Europa und den USA. Der US-Markt ist derzeit ein bisschen down. Die Bestände waren zuletzt hoch, die Verkäufe gering. Der Markt ging im letzten Jahr um ungefähr zehn Prozent zurück. Damit müssen wir umgehen und diesen Rückgang managen, um den Markt wieder zu stabilisieren. Für Europa und Deutschland bin ich sehr optimistisch.
Martin Brandt: Der europäische Markt ist aber uneinheitlich. In Deutschland läuft es sehr gut, und das wird sich fortsetzen. England ist aber ein großes Fragezeichen, obwohl die Händler optimistisch gestimmt sind.
Wie müssen wir uns den US-Markt vorstellen? Verändern sich die Reisemobile und Caravans wie bei uns von Jahr zu Jahr und kommen ständig neue Modelle auf den Markt?Bob Martin: Wenn nicht sogar schneller. Das ist zum einen eine Frage des Marketings, und wir stimulieren so auch die Nachfrage. Andererseits beobachten wir die Bedürfnisse der Kunden, und wenn wir Möglichkeiten sehen, diese besser zu erfüllen, versuchen wir das zu tun, so schnell wir können.
Im vergangenen Jahr ist der Kurs der Aktien von Thor Industries gefallen. Warum?Bob Martin: Aus vielerlei Gründen. Nach zehn Jahren Wachstum sind unsere Einnahmen zurückgegangen, wir haben daraufhin auch unsere Produktion zurückgefahren. Das ist auf lange Sicht das Beste, was man tun kann. Es ist gesund. Als Aktienunternehmen haben wir das gemeldet, woraufhin der Aktienkurs fiel. Es sind viele Faktoren, die den Aktienhandel beeinflussen. Aber wir schauen, was auf lange Sicht das Beste für unser Geschäft ist.
Bob Martin: Nicht völlig. Es gibt ähnliche Anforderungen beim Gewicht in Europa und den USA. Dann schauen Sie sich den Markt der kompakten Campingbusse an. Hier gibt es auch in den USA einen Trend. Und die Produkte sind ähnlich wie in Europa. Das ist eine Möglichkeit, Synergien zu erzeugen. Das große Angebot in Deutschland und Europa ist auch für amerikanische Unternehmen interessant.
Martin Brandt: Wir zeigen auch unsere Caravans der EHG den US-Händlern. Hier haben wir ein großes Angebot, z. B. von Eriba, Bürstner oder Dethleffs. Es gibt in Amerika ein Interesse an europäischem Design. Leichtbau ist ein wichtiger werdendes Thema auch in den USA, wo die heimischen Trailer üblicherweise sehr groß und schwer sind. Ein anderer Punkt sind die Zulieferer, die sind hier und dort dieselben. Truma, Dometic, Thetford zum Beispiel. Und einige amerikanische Unternehmen wie Lippert zum Beispiel wollen in Europa wachsen, kaufen etwa europäische Unternehmen. Das ist ein Punkt, bei dem uns die neue Größe hilft. Die EHG produziert 60.000 Einheiten, Thor 200.000. Und wenn wir gemeinsam mit den Zulieferern sprechen, ist dieses Volumen natürlich von Nutzen.
Bob Martin: Nun, wir sehen uns die deutschen Produktionsstandorte und -prozesse genau an. Isny, Bad Waldsee zum Beispiel. Die Qualität in Deutschland ist definitiv höher als in den USA, und für uns ist natürlich interessant, wie wir die Produktqualität in den USA verbessern können, um Garantieleistungen zu reduzieren und die Kundenzufriedenheit zu steigern. Auf diese Weise lernen wir voneinander.
Martin Brandt: Wir können bei den Entwicklungsprozessen von unseren amerikanischen Kollegen lernen. Der Way to Market von der Produktidee bis zur Markteinführung ist in den USA viel schneller. Wir brauchen hier zwei Jahre, sie brauchen sechs Monate.
Bob Martin: Sicher. Aber wenn wir uns in beiden Punkten einander nähern, ist das ein Gewinn für beide. Der Markt, die Nachfrage verändert sich sehr schnell. Es ist ein Vorteil, schnell Kundenwünsche befriedigen zu können. In diesem Punkt sind wir in Amerika besser. Und es macht auch Spaß, den europäischen Kollegen zu zeigen, wie schnell wir sein können. Natürlich müssen wir da einen Kompromiss finden. Da bin ich der Erste, der das zugibt.
Gibt es Produkte der EHG, die zukünftig in die USA importiert werden sollen oder können?Martin Brandt: Wir würden Produkte nicht importieren, sondern in den USA bauen. Wenn wir sehen, ein Produkt würde für die USA passen, stellen wir Pläne, Materiallisten und so weiter den Kollegen zur Verfügung, und die würden vor Ort produzieren.
Bob Martin: An die etwas anderen Anforderungen der amerikanischen Kunden, was Wassertankgrößen oder Zubehör wie Generatoren angeht, können wir die Produkte mit kleinem Aufwand anpassen. Campervans sind zwar in den Staaten noch nicht so beliebt wie hier, aber ich denke, dieser Trend wird kommen, auch wegen der demografischen Entwicklung. Auch den Eriba Touring könnten wir uns in den USA vorstellen. Caravans machen 80 Prozent des amerikanischen Marktes aus, deshalb suchen wir beim Touring, der optisch ja dem Airstream ähnlich ist, ganz konkret nach einem Partner. Doch grundsätzlich könnten viele europäische Reisemobile in den USA funktionieren.
Kommen umgekehrt auch amerikanische Fahrzeuge für den deutschen Markt in Frage?Martin Brandt: Das ist schwierig. Die Fahrzeuge sind viel schwerer und größer als unsere. Aber da ist noch nichts entschieden. Natürlich würde ich gerne Airstream in Deutschland verkaufen. Airstream ist ein Ikone wie Hymer. Und ein leichterer Airstream, der etwas besser nach Deutschland passt, wäre eine reizvolle Option.
Gibt es nicht sogar ein Airstream-Modell namens Autobahn?Bob Martin: Wir hatten tatsächlich vor zwei Jahren ein Modell dieses Namens, aber mehr als mobiles Büro. Aber es gibt ja von Airstream auch Reisemobile, und eine Kombination von Airstream und Mercedes wäre toll, weil beide Marken gut zusammenpassen.
Werden Entscheidungen nun in den USA getroffen, oder agieren die Marken komplett unabhängig?Bob Martin: Die Strategie legen wir gemeinsam fest. Prinzipiell hat aber jedes Unternehmen beziehungsweise jede Marke ihre eigene Strategie. Wir setzen uns zusammen und sprechen darüber, legen gemeinsame Ziele fest. Das ist die Art und Weise, wie unsere Unternehmen zusammenarbeiten.
Martin Brandt: Sehen Sie Thor mehr als eine Art Finanzholding. Wir haben in der gesamten Gruppe 25.000 Mitarbeiter. In der Zentrale in Elkhart arbeiten nur 65 Menschen. Dort sitzt niemand, der sich mit Produktion und Entwicklung beschäftigt. Seit der Übernahme hat sich an meiner Arbeit nichts verändert. Ich habe vorher mit der Familie Hymer zusammengearbeitet, jetzt mit Bob. Heute werden die Entscheidungen schneller getroffen, das ist kein Nachteil.
Sind Sie offen für weitere Übernahmen oder ist die Erweiterung der Thor-Gruppe jetzt abgeschlossen?Bob Martin: Durch die Übernahme der EHG haben wir Verbindlichkeiten, die erst mal beglichen werden müssen. Wir arbeiten nur für strategische Übernahmen mit Fremdkapital. Nach dem Kauf von Jayco haben wir die Summen sehr schnell zurückgezahlt; die Banken mögen uns. Es geht aber nicht unbedingt darum, weltweit zu wachsen, es ist auch eine Frage der Gelegenheit. Viele Unternehmer haben keinen Nachfolger und bevorzugen es, an einen strategischen Partner aus der Branche zu verkaufen. Wir bevorzugen bei einer Übernahme größere Unternehmen gegenüber kleineren.
Welche Rolle spielt die Familie Hymer noch im Unternehmen? Eine aktive oder die eines jeden anderen Shareholders?Bob Martin: Nun, natürlich sind sie wichtige Anteilseigner an Thor und haben eine wichtige Stimme. Wir haben große Achtung vor dem Lebenswerk Erwin Hymers und wir tun unser Bestes, es zu bewahren. Wenn wir Unternehmen kaufen, hängen wir keine Thor-Schilder auf. Die Markennamen bleiben weiterhin bestehen. Wir wollen mit unseren Firmen und Marken wachsen. Das hat der Familie Hymer gefallen. Ich denke auch, dass Carolin und Christian weiterhin eine Rolle in unserem internationalen Unternehmen spielen werden.
Martin Brandt: Der gesamte Verkaufsprozess hat sich über ein Jahr hingezogen. Für die Familie Hymer war das eine sehr emotionale Angelegenheit, die natürlich auch zu familieninternen Diskussionen geführt hat. Darum ist Gerda Hymer auch nicht unserer Einladung auf den Caravan Salon gefolgt. Es geht ihr noch zu nah.