Mit Crashtest zum Durchbruch: Niesmann und Bischoff stellt den ersten Luxus-Liner mit Airbags für Fahrer und Beifahrer vor. Der Wohnmobilhersteller verwendet das originale Iveco-Armaturenbrett.
Mit Crashtest zum Durchbruch: Niesmann und Bischoff stellt den ersten Luxus-Liner mit Airbags für Fahrer und Beifahrer vor. Der Wohnmobilhersteller verwendet das originale Iveco-Armaturenbrett.
„Bislang sind Airbags in Wohnmobilen gesetzlich nicht verpflichtend. Mit deren Integration im Flair setzen wir im Wettbewerb daher ganz neue Maßstäbe, und das ohne Aufpreis,“ sagt Hubert Brandl, Geschäftsführer der Niesmann+Bischoff GmbH im Vorfeld der CMT 2018. Zwei Jahre lang hat der Hersteller an einem Sicherheitspaket mit Airbags, ESP, Gurtstraffern und erhöhtem Fußtraumschutz gearbeitet. Auf der Messe in Stuttgart werden die Liner mit der neuen Sicherheitstechnologie präsentiert. promobil war live dabei, als die Airbags im Crashtest ausprobiert wurden.
Mit einem infernalischen Knall kracht der schwere Liner mit voller Wucht gegen 120 Tonnen Beton. Der Schlag klingt überraschend dumpf, nichts klirrt wie im Kino, und das Einzige, was hier explodiert, sind die Zündladungen der beiden Airbags im Cockpit des Liners. Im Bruchteil einer Sekunde füllen sich die Säcke mit Luft, um genau im richtigen Augenblick ein maximales Polster aufgebaut zu haben. Ein Wimpernschlag, und alles ist vorbei. Mission erfüllt. Klappe. Kompliment an die Technik.
Schon das Video erzeugt einen gewissen Grusel. Mit den Dummys möchte man definitiv nicht tauschen. Nicht mal mit rettenden Luftbeuteln an Bord. Die Belastungen bei einem solchen Unfall sind exorbitant. In der Spitze ermitteln die Sensoren Beschleunigungskräfte von 30 g. Zum Vergleich: Ein Formel-1-Fahrer muss in extremen Fahrsituationen bis zu 5 g aushalten. Durch die schlagartige Verzögerung werden Fahrer und Beifahrer bei dem Frontalcrash mit dem 30-Fachen ihres Körpergewichts nach vorne geschleudert.
Um diese brutale Gewalt irgendwie abzufangen und vor allem den unkontrollierbaren Kontakt mit fester Masse zu verhindern, erfanden amerikanische Ingenieure vor mehr als 40 Jahren den Airbag. Bis in den Flair von Niesmann + Bischoff war es ein langer Weg. Allein drei Luxusmobile musste der Hersteller aus Polch dafür an die Wand fahren, erzählen Entwicklungschef Martin Schönhorst und Projektleiter Andreas Weiber, bis man sicher sein konnte, dass die Rettungstechnik so funktioniert, wie sie soll. Rund eine Million hat die gesamte Entwicklung gekostet.
Verwunderlich war es ja schon, dass man bei Preisen von über 150.000 Euro bisher auf Airbags in Luxus-Linern verzichten musste. Die Konstruktionen der Fahrerhäuser von Linern haben es bisher technisch unmöglich gemacht, die Airbags aus den LKW-Chassis zu übernehmen. Niesmann + Bischoff präsentiert im neuen Flair (Modell 2018) Airbags für Fahrer und Beifahrer. Damit ist der Flair der erste Liner mit Airbags und bietet somit mehr Sicherheit im Straßenverkehr.
Airbags in einen Liner wie den Flair von Niesmann + Bischoff zu integrieren, erfordert einen enormen Testaufwand. Typischerweise ist in dieser Mobilklasse das Fahrerhaus samt Boden angehoben, was natürlich einen deutlichen Eingriff in die ursprüngliche Cockpit-Geometrie und Ergonomie darstellt.
Weil Crashtests für Reisemobile – im Gegensatz zu Pkw – nicht vorgeschrieben und daher auch nicht genormt sind, hat Niesmann + Bischoff zusammen mit Iveco und weiteren Zulieferern lange an einem passenden Prüfverfahren getüftelt. Etliche Computerberechnungen gehen den praktischen Tests voraus. Simulationen zeigen, dass das gesamte Chassis bei einem Aufprall um 40 Zentimeter gestaucht wird. Wie verformt sich dabei der Rahmen? Wohin bewegen sich Motor und Getriebe? Wie hält man den Überlebensraum im Cockpit frei?
Gerade bei Linern ist die Sache nicht so einfach. Dass hier der gesamte Fahrerhausboden samt Sitzen und Instrumententräger angehoben und nach vorn versetzt wird, ist ein markanter Eingriff in die Geometrie; auch die der passiven Sicherheitssysteme. Und diese Tatsache verlangt nach einer besonders umfangreichen konstruktiven Lösung.
In insgesamt drei Crashtests musste der Hersteller gemeinsam mit Iveco und anderen Partnerunternehmen ermitteln, ob die nachgerüsteten passiven Sicherheitssysteme – Airbags für Fahrer- und Beifahrer sowie Gurtstraffer – Insassen so effektiv vor Verletzungen schützen, wie sie es im Original-Cockpit des Iveco Daily tun. Das Video zeigt den Aufprall des Liners auf eine stehende Stahlbetonbarriere mit 120 Tonnen Gewicht. Die Dummys landen beim Crash exakt in der vorgesehenen Trefferfläche der aufgeblasenen Luftkissen.
Damit Lenkrad und Sitze bei einem Crash weitgehend in ihrer ursprünglichen Position bleiben, wurde das gesamte Podest, das das Fahrerhaus trägt, samt Bodenplatte und Sitzkonsolen neu entwickelt und in mehreren Zugversuchen getestet. Neu konstruiert wurde auch die Schottwand zum Motorraum, die eine wichtige Rolle als Knautschzone spielt und später das Original-Iveco-Cockpit mit den Airbags trägt.
Doch nicht in jeder Situation sollen die Rettungskissen tatsächlich auslösen. Zur Abstimmung spielten die Prüfer daher auch zwölf Szenarien durch, die zwar kritische Erschütterungen in die Kabine einleiten, das Steuergerät aber nicht dazu verleiten dürfen, die Airbags abzufeuern – das harte Zuschlagen der Motorhaube etwa oder eine Vollbremsung über eine niedrige Barriere. Auch bei Kollisionen mit geringer Geschwindigkeit wäre das Auslösen kontraproduktiv, weil es unnötige Beschädigungen am Fahrzeug oder Verletzungen der Insassen verursachen würde. Beim „No-Fire“-Versuchsaufbau wurde der Flair daher mit nur zehn Kilometern pro Stunde gegen das Hindernis gezogen. „Eigentlich war erst, als das klappte, endgültig klar, dass unser Auto von der Struktur her mit der Airbag-Technik harmoniert“, freut sich N+B-Chef Hubert Brandl. „Und dass wir den Weg weitergehen.“
Doch beim entscheidenden Test muss das gesamte Sicherheitsarsenal ran. Mit 32 Kilometern pro Stunde und sieben Tonnen Kampfgewicht prallt der Flair auf ein Betonhindernis, das bei 120 Tonnen keinen Millimeter nachgibt. Dabei wirken Kräfte auf das Fahrzeug wie bei einem Aufprall mit rund 130 km/h auf einen gängigen Pkw.
Erst in der Zeitlupe erkennt man die Details des Ablaufs. Sofort nach dem Kontakt schießen die Nylonbeutel aus dem Cockpit. Gleichzeitig ziehen Gurtstraffer die Dummys rabiat in die Sitze. Oberkörper und Köpfe kreisen nach vorn und tauchen zielgenau im Zentrum der Airbags ein – seit dem Aufprall ist eine Zehntelsekunde vergangen. Die Auswertung des Verletzungsrisikos für Kopf, Brustkorb, Bauchbereich und Beine ergibt bei beiden Dummys dank Airbags nur geringe Schädigungen. Alles in Ordnung. Das dritte Fahrzeug verendet schließlich an einem versetzten Hindernis. Es geht vor allem noch darum, abschließend zu prüfen, ob die Systeme zeitlich korrekt auslösen.
Dann stattet Niesmann + Bischoff alle Flair serienmäßig mit Airbags aus. Damit gelingt dem Hersteller definitiv ein Durchbruch bei der passiven Sicherheit von Linern, die bisher komplett auf Airbags verzichten mussten. Hier nochmals alle Neuerungen im Überblick
Fahrsicherheit besteht aus vielen Elementen. Ein Teil davon beugt aktiv Unfällen vor, wie ABS und ESP, das für Pkw seit 2011 und für Lkw seit 2014 Pflicht, für Reisemobile aber nicht vorgeschrieben ist. Auch Reifendruckanzeigen, optimierte Fahrwerke und die meisten Assistenzsysteme dienen der aktiven Sicherheit. Passive Sicherheitssysteme sollen Unfallfolgen, vor allem das Verletzungsrisiko für die Insassen minimieren. 3-Punkt-Sicherheitsgurte sind noch vor Airbags die Hauptlebensretter bei Unfällen. Nur im Zusammenspiel mit automatischen Gurtstraffern wirken Airbags optimal. Gesetzlich sind Airbags in Reisemobilen (noch) nicht verpflichtend. Für die meisten Mobile (außer Linern) gibt es sie jedoch – zumindest gegen Aufpreis.