Es geht eng zu in den großen Klassen. Besonders in den tragfähigen Reifendimensionen, etwa für den Ducato Maxi, ist das Angebot an Winterreifen noch eher mau. Zum Testzeitpunkt waren gerade mal fünf verschiedene Typen am Markt verfügbar. Doch mit steigendem Interesse an tragfähigen Transporterchassis wächst auch das Angebot entsprechender Reifen.
promobil-Reifentest in Ginzling im Zillertal: Hier finden auf einer für den öffentlichen Verkehr nicht zugänglichen tief verschneiten Passstraße die Handlingprüfungen statt. Fünf Winterspezialisten stellen sich hier dem Vergleich zum bewährten Sommer- respektive Ganzjahresreifen Michelin Agilis Camping, der per M+S-Definition über anerkannte, aber eingeschränkte Wintereigenschaften verfügt. Seine Resultate sollen als Anhaltspunkt dienen, um wie viel und in welchen Disziplinen ausgemachte Winterprofis wirklich besser sind. Vier Schwerpunkte haben die Reifen abzuarbeiten: Sowohl auf Schnee, auf nasser Fahrbahn als auch auf trockenem Asphalt müssen sie ihre Leistungen unter Beweis stellen. Hinzu kommt eine Bewertung ihrer ökologischen Aspekte wie etwa ihr verbrauchsrelevanter Rollwiderstand und, nicht zuletzt, das immer stärker beachtete Abrollgeräusch.
Zuerst fahren die ungleichen Kontrahenten auf Schnee um Meter und Sekunden. Der neue Conti Vanco Winter 2, genauso wie der mit mächtigen Blöcken versehene Altmeister Goodyear Ultra Grip, der kräftig lamellierte und laufrichtungsgebundene Nokian Hakka C Winter, der ebenso neue Pirelli Chrono Winter und, nicht zuletzt, der robuste und preisgünstige H 09 aus dem Hause Toyo. Erwartungsgemäß hat der auf Asphalt optimierte Michelin hier das Nachsehen. Träge beschleunigt der Ducato, nur mit viel Gefühl lässt sich das Traktionslimit ertasten. Auch beim Lenken braucht der Michelin für eine optimale Seitenführung eine feinfühlige Hand: Bei zögerlich einsetzender Richtungsänderung steigen die Lenkkräfte sanft an, um dann, wie auch die Traktion, recht spitz abzureißen. Ein Verhalten, das insbesondere im oberen Geschwindigkeitsbereich auch mal zu einem etwas quer gehenden Heck führen kann. Dennoch, nach bereits 70, 1 Sekunden tanzt der Ducato durch die Lichtschranke, das entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von erstaunlichen 84,9 km/h. Fast acht Sekunden früher kommt der Conti Vanco Winter 2 ins Ziel. Mit reproduzierbaren Zeiten um 62 Sekunden setzt er die Latte für Winterreifen bereits recht hoch. Es gefällt die präzise, kalkulierbare Lenkbarkeit, die eindeutigen Rückmeldungen im Volant und die gutmütige Balance des Fahrzeugs.
Ein Winterpneu klassischer Auslegung ist der bewährte Goodyear Ultra Grip. Sein sowohl in Längs- als auch in Querrichtung breiter, aber flacher Arbeitsbereich lässt dem Fahrer Zeit und Raum zur Reaktion. Dennoch kann er mit einer Zeit um 65 Sekunden und einem bei Lastwechseln schon mal spontan eindrehenden Heck nicht die volle Punktzahl erreichen.
Nun der Nokian: Mit sehr guter Traktion, einem direkten Umsetzen von Lenkbefehlen, einem weiten Grenzbereich und einer stabilen Fahrzeugbalance erreicht der fliegende Finne dynamisch das Niveau des Conti, lediglich eine gewisse Rinnenempfindlichkeit könnte ihm angelastet werden.
Besser ist in der Bergaufdisziplin der Pirelli, der mit progressiver Lenkansprache, einem nochmals gesteigerten Traktionsniveau und sehr ausgewogener, überraschungsfreier Balance dem Feld mit knapp unter 61 Sekunden sprichwörtlich um die Ohren fährt. Auf dem Niveau von Conti und Nokian kann auf Schnee auch der Toyo H 09 mithalten. Von kundiger Hand bewegt, schafft auch er die nächtliche Sonderprüfung in rund 63 Sekunden. Ein etwas nervöses Heck und eine leicht indifferente Lenkungsrückmeldung lassen den Fahrer über mögliche Sicherheitsreserven allerdings oft im Unklaren. Ein Kritikpunkt, der im Straßenverkehr nur untergeordnete Bedeutung hat, hier aber zur Differenzierung herangezogen werden muss.
Weit weniger spektakulär finden auf der schneebedeckten Dynamikfläche Brems- und Traktionstests statt. Auch hier ein klares Bild: Die Neukonstruktionen von Conti und Pirelli wie auch der Nokian haben hier die Nase vorn, der zum Vergleich eingesetzte Michelin Agilis Camping demonstriert durch mehr als zehn Meter längere Bremswege aus Tempo 50 eindrucksvoll die Notwendigkeit von Winterreifen in alpinen Regionen.
Schauplatz der nächsten Runde des Tests ist das hochmoderne Continental-Reifenprüfzentrum bei Hannover. Statt dem Ernstfall auf Schnee und Eis werden die Reifen hier der Realität eines mitteleuropäischen Flachland-Winters ausgesetzt: Aquaplaning in Längs- und Querrichtung, Bremsen auf künstlich bewässertem Asphalt, Kreisfahren zur Überprüfung der maximalen Seitenführungskräfte.
Denn wie auf nasser Bahn muss ein Winterreifen auch mal bei Sonnenschein funktionieren, und so gilt dem nicht minder sicherheitsrelevanten Trockenbrems-Verhalten sowie der Fahrstabilität bei Kurvenfahrt oder plötzlichen Ausweichmanövern ebenso besonderes Augenmerk. Auch Labortests stehen auf dem Plan: hier werden der Komfort, der Rollwiderstand und das Abrollgeräusch der Reifen genauestens unter die Lupe genommen.
Universalgenies gibt es auch bei Reifen selten, wohl aber Spezialisten. Hier die Schneeprofis mit Abstrichen bei Trockenheit, dort die Nässekönner mit Abstrichen etwa im Rollwiderstand. Konstruktiv lassen sich eben gewisse Zielkonflikte noch immer nicht vermeiden. Letztlich ist eine intelligente zielgruppen- und anwendungsgerechte Verteilung der Qualitäten erfolgreich. Deutlich wird dies etwa beim Bremsen auf trockenem Asphalt: Während der Pirelli auf Schnee und Nässe überwiegend mit guten Noten brilliert, liegen seine Leistungen im Trockenen eher im unteren Drittel. Gegenteilig verhält sich hingegen der Goodyear Ultra Grip: Er gibt sich auf griffigem Asphalt erstaunlich standfest und wird hier konzeptbedingt lediglich vom Michelin Agilis übertroffen.
Für die Trockenwertung durchlaufen alle Reifen zusätzlich einen in die Handlingwertung integrierten schnellen Spurwechsel. Hier wird zuerst bei Tempo 100, dann bei 120 ein Notfall-Ausweichmanöver simuliert: Wer beim plötzlichen Verreißen der Lenkung den Halt verliert, wird abgewertet. Wenngleich sich der Ducato beängstigend zur Seite neigt, entpuppt sich keiner der Kandidaten als potenziell unsicher. Zwar sind – die Versuche werden grundsätzlich ohne ESP durchgeführt – in Sachen Lenkreaktion und Heckstabilität marginale Unterschiede feststellbar, doch in keinem der Fälle als kritisch zu beanstanden.
Kritisch hingegen sind die gravierenden Bremswegunterschiede auf nasser Bahn von fast 20 Prozent. Das entspricht beim Bremsen aus Tempo 80 einer Differenz von fast zehn Metern: Top-Werte erreichen hier Nokian und Michelin dicht gefolgt von Conti, Pirelli und Toyo, der etwas betagte Goodyear bremst entschieden zu lang und fährt in dieser Disziplin die rote Laterne ein. Nässespezialisten profilieren sich auch im Aquaplaning: Beim Aufschwimmtest in Geradeausfahrt verlieren nur Goodyear und Toyo bei rund 85 km/h die Haftung. Der Rest der schwarzen Truppe hat den bewässerten Asphalt noch bis deutlich über Tempo 90 fest im Griff.
Ein ähnliches Bild zeichnet sich auch beim Aquaplaningtest in Querrichtung ab: Hier patzt der Pirelli: Beim spektakulären aquer-Test bei dem in Kreisfahrt eine in der Wassertiefe exakt definierte Wasserfläche mit stufenweise gesteigerter Geschwindigkeit durchfahren wird, verlieren er und der Goodyear bereits bei knapp 73 km/h den Halt. Sehr sicher fahren hier Michelin und Nokian: Bis an Tempo 80 heran halten sie präzise die Spur.
In Summe wirken sich diese Nässeeigenschaften auch in der Abschlussdisziplin, dem Nasshandling, aus. Auf dem engen und kurvenreichen, konstant bewässerten Rennkurs werden allerdings nicht allein die Rundenzeiten ermittelt. Neben dem subjektiv bewerteten Traktions- und Bremsverhalten zählen hier Faktoren wie Seitenführung, Lenkpräzision und Kontrollierbarkeit. Zudem wird bewertet, ob und wie stark das Fahrzeug auf Lastwechsel, etwa auf plötzliche Gaswegnahme in Kurven, reagiert. Durch unerwartetes Ausbrechen des Hecks könnte das Fahrzeug ins Schleudern geraten, das bedeutet Punktabzug. Zwar sind heutige Ducato zunehmend mit ESP ausgestattet, doch die überwiegende Zahl der Fahrzeuge ist bis auf Weiteres alleine auf die Sicherheit der Reifen angewiesen.
Mit flotten Runden und einer ausgezeichneten Lenkpräzision fährt der fahrstabile Nokian, dem ein sanft mitlenkendes Heck dynamisch um die Kurven hilft, den Nässesieg ein. Ein Reifen, der sich auch mit ESP im Grenzbereich noch sehr harmonisch bewegen lässt. Fast gleichauf, jedoch etwas weniger spontan und progressiv in der Lenkung, folgt der Pirelli, der durchweg mit sicherer Balance zu überzeugen versteht.
Auch der Conti spielt in dieser Liga, es gefällt das ausgezeichnete Lenkungsfeedback, das Rubbeln bei großen Lenkwinkeln stört. Sicher, doch mit leichten Traktionsproblemen gibt sich der tendenziell gutmütig untersteuernde Michelin. Leichte Defizite in der Seitenführung verhindern hier ein besseres Ergebnis. Auch der Rest des Feldes gibt sich, bei spürbar reduziertem Seitenführungs- und Traktionsniveau und meist großen Lenkwinkeln, gutmütig und sicher.
Weit weniger spektakulär stellen sich die Geräuschmessungen und die abschließenden statischen Versuche im Conti-Reifenlabor dar. Hier wird neben dem obligatorischen Schnelllauftest auch der Rollwiderstand ermittelt.
Besonders leicht laufen Michelin und Goodyear, Toyo liegt ganz hinten. Auch der sonst führende Pirelli kann hier nicht punkten. Sein Konzept ist entschieden und kompromisslos auf optimale Wintereigenschaften ausgelegt. Wer auf diese ausgeprägt alpinen Qualitäten Wert legt, ist mit dem neuen Pirelli Chrono Winter somit richtig bedient. In keiner Disziplin gravierende Schwächen und das breiteste Anwendungsspektrum bei winterlichen Witterungsbedingungen bietet hingegen der Nokian Hakka C Winter, dicht gefolgt vom ebenso empfehlenswerten Conti Vanco Winter.
Wer nur in absoluten Ausnahmesituationen, etwa bei der Fahrt in den Süden, mit Schnee in Kontakt kommen kann, findet hingegen mit dem bewährten Michelin Agilis Camping eine eindeutig für eisfreie Fahrbahnverhältnisse optimierte, aber mit M+S-Symbol auch gesetzlich durchaus vertretbare Lösung.
Kommentar - Alleskönner nach Vorn
Nur der neue Pirelli Chrono Winter schafft den Hattrick in der Winterprüfung: Eine glatte 10 setzt Maßstäbe. Der Preis dafür sind Einschränkungen auf trockener Piste und im Rollwiderstand. Der nur knapp zweitplatzierte Nokian zeigt sich hier als Generalist mit guten Werten in allen Bereichen, ein klarer Kauftipp.