Große Klappe, viel dahinter: Für ein so kompaktes Wohnmobil vermittelt der schmale Brevio T 645 ein verblüffendes Raumgefühl. Was kann er besser als ein Campingbus? Ist er ein Kastenwagen-Gegner?
Große Klappe, viel dahinter: Für ein so kompaktes Wohnmobil vermittelt der schmale Brevio T 645 ein verblüffendes Raumgefühl. Was kann er besser als ein Campingbus? Ist er ein Kastenwagen-Gegner?
Als Kastenwagen-Gegner sieht Bürstner seinen kompaktesten Teilintegrierten gern. Und mit der Kriegsbemalung in Knallorange, den schwarzen Anbauteilen und 17-Zoll-Breitreifen meint es dieser Brevio Performance wirklich ernst. Nicht nur weil das offensiv wirkt, sondern auch weil farbige Aufbauten bis auf ganz wenige Ausnahmen bislang vor allem Kastenwagen vorbehalten waren. Die knallige Sonderfarbe kommt zum eigentlichen Performance-Paket noch dazu. Im Gegensatz zu den Varianten im Silber- oder Champagner-Look, die mit eingefärbtem Alu-Blech aufgebaut werden, wird nachträglich lackiert. Und das geht richtig ins Geld. 7.500 Euro ruft Bürstner auf. Dagegen sind die 1.451 Euro extra für die zivileren Farben, die es quasi von der Stange gibt, ein Schnäppchen.
Ein weiterer Grund, warum sich Wohnmobile noch immer mehrheitlich in unschuldiges Weiß kleiden: Obwohl der Brevio bis hinunter zu den soliden Metallschürzen tadellos lackiert ist, zeichnen sich Holzverstärkungen in den Wänden stärker ab als auf einer weißen Wand. Dennoch: Er macht was her, der Kleine, und wer Passanten gern die Köpfe verdreht, bekennt Farbe. Automobil muten auch die gerundeten Dachkanten an. Das GfK-Heck und die Haube über dem Fahrerhaus schmiegen sich dank schlanker Klebeprofile elegant an die Kabine. Die Styrofoam-Isolation und der unempfindliche GfK-Boden weisen den Aufbau des kleinen Brevio als einen der modernsten aus, den Bürstner derzeit im Programm hat. Auch das Dach schützt eine aufgeklebte GfK-Bahn vor Hagel. Damit sich der Wagen in den Sommerferien nicht zu stark aufheizt, bleibt die Oberseite übrigens weiß. Die Aufbautür ist von der schlichten Sorte, man wird’s verschmerzen. Wenn auf dem Stellplatz die große, solide Heckklappe aufschwingt, achtet eh niemand mehr darauf.
Der Brevio eifert ausgebauten Kastenwagen noch in anderer Hinsicht nach. Bürstner orientiert sich nämlich exakt an den Abmessungen von Fiat Ducato und Co. Das kleinste Modell ist 5,99 Meter lang. Und da auch unter Campingbussen geräumigere Einzelbetten-Modelle im Kommen sind, wagen sich auch die beiden größeren Grundrisse über die Sechs-Meter-Marke hinaus. Wie unser Testwagen, der Brevio T 645. Die Breite des Aufbaus von nur 2,10 Meter macht Außenspiegel mit langen Auslegern entbehrlich und die flotte Kiste handlich. Die Übersicht ist prima, und ungewohnterweise bringt sogar der Innenspiegel Durchblick: durch das große Heckfenster nämlich. Wendigkeit zählt jedoch nicht zu den Stärken des Brevio. Obwohl der Fiat-Flachrahmen ebenso mit 3,80 Meter langem Radstand verfügbar ist, bevorzugt Bürstner die auch bei Kastenwagen üblichen 4,04 Meter; was den ungewohnt kurzen Hecküberhang erklärt. Satzball nicht verwandelt, würde man im Tennis wohl sagen.
Das Potenzial, der bessere Kastenwagen zu sein, hat der Brevio trotzdem. Senkrechte Wände erzeugen ein Gefühl von Geräumigkeit, das die Stehhöhe von fast 1,95 Meter und der originelle Grundriss des t 645 mit der offenen Hecksitzgruppe noch verstärkt. Die Vorstellung, an einem lauen Sommerabend bei einem Glas Rotwein durch die geöffnete Heckklappe der Sonne beim Untergehen zuzusehen, hat etwas Bestechendes. Wären doch nur diese Mücken nicht; tatsächlich gibt es kein Schutzrollo dagegen. Abseits aller Romantik beweist das dicht schließende Portal allerdings beim Beladen durchaus seine praktische Veranlagung.
Gesellschaftsfähig ist der Bürstner Brevio T 645 übrigens noch in anderer Hinsicht. Mit der zweiten Sitzgruppe im Bug offeriert der Brevio locker zehn Sitzplätze. Auch der nette Ausklapphocker vorn und die moderne Polstermachart unterscheiden den Brevio von anderen Vans. Mancher mag Platzverschwendung unterstellen, doch wer Fahrräder lieber im Innenraum – dank Zurrschienen sicher vertäut zwischen den hinteren Längsbänken – transportiert, weiß die alternative Sitzmöglichkeit vorne gewiss zu schätzen. Man schläft im Heck auf dem Hubbett. Ist es abgesenkt, bleiben darunter noch stolze 1,13 Meter Höhe für Fracht, darüber aber nur 62 Zentimeter Kopffreiheit. Dank mehrerer Absturznetze ist Schwindelfreiheit keine Grundvoraussetzung für die Benutzung des Betts, allerdings sollte die Besatzung nicht größer als 1,80 Meter sein. Logisch, dass der schmale Aufbau und die Hubmechanik Kompromisse bei der Länge der ansonsten bequemen Matratze fordern. An der Schulterbreite gibt es nichts auszusetzen. Offene Ablagen gibt es reichlich. Von der Decke strahlen zwei Lesespots.
Im Vergleich zu dem originellen Hecksitzgruppenkonzept präsentiert sich die übrige Einrichtung konventioneller, doch gleichwohl praxistauglich. Die Küche ist als lange Theke gestaltet, mit reichlich Arbeitsfläche zwischen dem Kocher und der großen Spüle. Zwei Flammen genügen für die schnelle Urlaubsküche. Der tiefe Kühlschrank fasst allerdings nur 100 Liter, und der in den Küchenblock hineinragende Gaskasten kostet viel Stauraum. Jammern auf hohem Niveau: Viele Campingbusfahrer würden sich nach einer solchen Pantry die Finger lecken. Für das Bad gilt Ähnliches. Hier machen sich wenige Zentimeter mehr Grundfläche bezahlt, die senkrechten Aufbauwände engen den Bewegungsraum in Schulter- und Kopfhöhe nicht ein. Vergleichsweise schlicht bleibt die Gestaltung, mit einer Dusche, die sich nur mit einem Vorhang vom Rest der Einrichtung abtrennen lässt. Das Waschbecken wird dazu zur Seite geschwenkt.
Den verfügbaren Stauraum im t 645 werden Paare in der Regel voll ausnutzen. Der große Kleiderschrank hinter dem Bad verdient allerdings eine Lampe. Insgesamt vier Hängeschränke werden wirkungsvoll von der rechten Sitztruhe im Heck und einer großen Schublade in der vorderen Sitztruhe ergänzt. Platz für Kabeltrommel, Keile und Co. findet sich in einem abgesenkten Bodenfach im Heck. Zuladung ist ausreichend vorhanden, um den Brevio guten Gewissens als 3,5-Tonner zuzulassen.
Bordtechnisch bietet der Brevio keine Überraschungen. Frischwasser und Bordakku lagern in der linken hinteren Sitztruhe. Der Grauwassertank hängt unterflur und wird nur optional isoliert und beheizt. Die Installationen geben keinen Anlass zu Kritik. Schon in der Basisausstattung mit mageren 115 PS kommt der t 645 auf 57.060 Euro. Außer in mehr Leistung sollte man auch ins Chassis-Paket ab 1.920 Euro investieren. Das 15-Zoll-Perfomance-Paket schlägt mit weiteren 2.790 Euro extra zu Buche. So erklärt sich schließlich der sehr erwachsene Testwagenpreis. Vieles kann der Brevio ebenso gut wie ein Kastenwagen, manches sogar besser; nur genau so günstig sein, kann er eben nicht.
Preise: 54.870–57.100 Euro
Basis: Fiat Ducato
Längen: 5,99–6,38 m
Gesamtgewicht: 3.500 kg
Modelle: Drei Modelle des schlanken Brevio bietet Bürstner derzeit. Neben den Klassikern mit Querbett (T 605) bzw. Einzelbetten (T 640) ist mit dem T 645 ein ungewöhnlicher Grundriss mit Hecksitzgruppe im Programm.
Der Brevio ist nicht nur kompakt, er ist anders. Dank großer Hecksitzgruppe wirkt der T 645 weit geräumiger, als man es von einem so schlanken und handlichen Mobil erwarten würde. Und er hat Potenzial, denn das Grundrisskonzept liefert auch Ansätze genug, den Van noch konsequenter auf zwei Personen zuzuschneiden, die zweite Bugsitzgruppe beispielsweise zugunsten einer Küche mit großem Kühlschrank oder einem Bad mit separater Dusche einzusparen.