Wer würde einen edlen Bordeaux nach der Flaschengröße beurteilen, ein Stück Roquefort zunächst auf die Waage legen? Eine solche Einstellung würde ebenso wenig einem Rapido gerecht. Es spielt also nur eine untergeordnete Rolle, dass der neue 996 M zusammen mit zwei Schwestermodellen einen neuen Längenrekord in der Geschichte des französischen Herstellers aufstellt. Im direkten Umfeld der 80 000-Euro-Klasse gelten gut sieben Meter Länge immer noch als kompakt.
Eher zieht das verfeinerte Erscheinungsbild mit majestätisch aufragenden Heckleuchten Aufmerksamkeit auf sich. Was der Kenner von einem Rapido-Spitzenmodell aber vor allem erwartet, ist ein insgesamt abgerundetes Geschmackserlebnis. Der 996 M enttäuscht in diesem Punkt nicht.
Eine eigene Note kommt durch den 996-Grundriss ins bekannte Ensemble aus teils massiven Hölzern und messingfarbenen Beschlägen. Der offen angelegte Salon verwöhnt mit mehr Freiraum als viele längere Reisemobile. Helles Leder verstärkt den Eindruck eines gepflegten französischen Landsitzes. Gemütlich auf den breiten Längssofas sitzend, kippt die Stimmung selbst an trüben Regentagen nicht so rasch. Wenn es unbedingt sein muss, können sich zwei Reisende im Rapido sogar aus dem Weg gehen.
Nach Art eines Boudoirs fasst der Grundriss hinter einer Schiebetür Bett, Bad, Duschkabine und Kleiderschrank zusammen. Im liebevoll eingerichteten Sanitärraum hält man sich dann länger auf als nötig oder man findet zum Beispiel auf dem Bett Ruhe zum Lesen.
Jedoch fühlen sich Großgewachsene hier wie dort beengt. Das Bad ist nur 1,85 Meter hoch, was eine mittige Dachluke etwas entschärft; die Matratze begnügt sich mit 1,90 Meter Länge. Auch die Bettbreite entspricht nicht den Vorstellungen von einer Luxussuite. Ähnlich knapp ist das leicht bedienbare Hubbett bemessen. Ansonsten gibt es am Liegekomfort nichts auszusetzen, sodass im Zweifelsfall für zwei Reisende je eine eigene Koje bleibt. Nicht weiter schwierig wäre es dagegen, zu zweit ein opulentes Menü zu bereiten. Da der Küchenblock die Winkelform nur leicht andeutet, stehen sich zwei Köche nicht im Weg. Geht es dann ans große Brutzeln, würde man allerdings gerne den schwächlichen Dunstabzug gegen einen Dachlüfter direkt über der Küche eintauschen. Arbeitsfläche und Schrankfächer befinden sich dort, wo man sie benötigt. Nur die oft benutzte Besteckschublade sitzt ungewöhnlich tief, wenn wie im Testwagen ein Backofen eingebaut wurde. Zahlreiche Schubladen und Auszüge machen sich ebenfalls beim Unterbringen von Schuhen und Unterwäsche nützlich.
Solche zuvorkommenden Details spiegeln den hohen Reifegrad des solide verarbeiteten Ausbaus wider. Am Testwagen stellte lediglich der bei jedem Tritt vernehmlich knarzende Boden vor dem Bett eine unrühmliche Ausnahme dar. Unter dieser erhöht eingebauten Bodenplatte verstecken sich Kabel und Leitungen. Einen durchgehenden Doppelboden, wie er in dieser Klasse fast schon Standard ist, sieht Rapido dagegen nicht vor – unter dem Strich ein verkraftbarer Verzicht. Der Abwassertank lagert unterflur in einem beheizten Fach. Sein Manko ist vielmehr die auf 80 Liter begrenzte Kapazität und die sehr grobe Füllstandskontrolle.
Die Aufheizung insgesamt macht mit der Truma-Heizung keine Probleme, wobei direkte Ausströmer im Fußbereich der Sitzgruppe für eine schnelle Erwärmung hilfreich wären. Weniger noch vermisst man einen Doppelboden, wenn es um den von außen erreichbaren Stauraum geht. Zur sinnvoll bemessenen Heckgarage gesellen sich zwei seitliche Schubladen, die den unterflur vorhandenen Freiraum gut ausnutzen. Kleiner Schönheitsfehler: Deren Deckel bleiben nicht offen stehen und erfordern beim Beladen stets eine freie Hand. Gepäck mit nennenswertem Gewicht gehört hier aber ohnehin nicht hinein. Mit der Gesamtzuladung kommen zwei Personen gut aus. Doch kann die Vorderachse bei unbedachter Beladung ans Limit geraten. Bei dem mit rund 100 Kilogramm schweren Extras versehenen Testwagen blieben an der Vorderachse nur 140 Kilogramm Nutzlast – kaum genug für Fahrer und Beifahrer. Eine gewisse Entlastung ergibt sich durch die Hebelwirkung von schwerem Gepäck in der Garage – die Hinterachse verkraftet deutlich mehr Gewicht. Dennoch will die Wahl von Extras und persönlicher Ausrüstung beim Rapido wohl überlegt sein. Als konstruktive Abhilfe bietet sich die Verlegung des Wassertanks von der Sitztruhe ins Heck an. Auf Fahrverhalten und Federung bleibt die Gewichtsverteilung ohne negativen Einfluss. Der Rapido bewegt sich so, wie man es von der noch aktuellen Mercedes-Sprinter-Generation kennt. Akzeptabler Komfort hat Priorität vor ausgefeilter Fahrdynamik. Oder anders ausgedrückt: Gemütliches Cruisen macht mit dem Rapido mehr Spaß als das Ausnutzen der objektiv guten Fahrleistungen. Wie ein Weinkenner bei jedem Schluck genießerisch an die Vorräte in seinem Keller denkt, so streichelt der Rapido-Fahrer lieber das Gaspedal und freut sich über die Leistungsreserven des Fünfzylinders. Passende Beilage beim Testwagen: Tempomat und automatisiertes Getriebe. Besonders bei ruhiger Fahrweise wechselt das Sprint-Shift die Gänge sanft und nachvollziehbar. Erfreulich auch, wie harmonisch die teutonische Fahrzeugtechnik und der französische Aufbau am Fahrerplatz miteinander verschmelzen.
Die von Mercedes wie Rapido verwendeten Materialien können sich sehen lassen. Wichtig beim Fahren: der gute Rundumblick, beim Testwagen sinnvoll ergänzt durch einen ins Pioneer-Navigationsgerät integrierten Rückfahrmonitor. Andere Pluspunkte sieht man nicht sofort. Als eines der wenigen Reisemobile hat der Rapido wie moderne Pkw eine Zentralverriegelung mit Fernbedienung. Noch seltener ist in dieser Klasse der serienmäßige elektronische Schleuderschutz ESP. Auch an solchen Zutaten bemerkt man die Qualitäten eines wirklich guten Jahrgangs.
Technische Daten (Stand: Februar 2006) Hersteller: Rapido Modell: Rapido 996 M Basisfahrzeug: Mercedes Sprinter 316 CDI Typ: Integrierter Preis: ab 79480 EUR Sitze mit Gurt: 2 Schlafplätze: 4 Zul. Gesamtgewicht: 3800 kg Länge: 7160 mm Breite: 2310 mm Höhe: 2840 mm Basismotor: Turbodiesel KW: 115 PS: 156