Plötzlich war es ganz ruhig: Nachdem die Fahrverbote für ältere Diesel jahrelang die Schlagzeilen dominiert hatten (wir berichteten), gab es seit 2020 kaum Neuigkeiten darüber zu lesen. Während das Ärgerthema im Zuge der Corona-Pandemie aus der Öffentlichkeit verschwand, beschäftigten sich jedoch weiterhin deutsche Gerichte damit. Denn bis heute laufen etliche Klagen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen verschiedene Städte – und jüngst auch gegen Hersteller.
Die DUH – bekannt geworden durch das eifrige Einklagen von Verboten – muss sich allerdings immer häufiger mit Vergleichen abfinden. Der Grund: Viele Städte halten die Grenzwerte bei Feinstaub (PM10) und Stickstoffdioxiden (NO2) nun dauerhaft ein und erfüllen so nachweislich die EU-Vorgaben. Dadurch fehlt in den meisten Fällen die rechtliche Grundlage für Fahrverbote. Trotzdem lesen sich die Pressemitteilungen der DUH wie Siegesverkündungen.
So steht es um Fahrverbote in Deutschland

Deutlich reduzierte Belastung in vielen Städten nachgewiesen
Die eigentlichen Gewinner waren aber jeweils die Städte, die mit ihren aufwendigen und unter Hochdruck erstellten Luftreinhalteplänen Verbote abwehren konnten. Diese Pläne umfassen neben schnellen Lösungen wie lokalen Geschwindigkeitsbegrenzungen und Filtersäulen auch langfristig gedachte Konzepte wie einen besseren ÖPNV – und haben im Gegensatz zu den Verboten einen echten sozialen und ökologischen Nutzen.
Zusammen mit dem geringeren Verkehrsaufkommen der letzten zwölf Monate konnte die Schadstoffbelastung so vielerorts nicht nur knapp, sondern deutlich unter die Grenzwerte gedrückt werden. Bei den meisten angefragten Städten überwiegt deshalb Optimismus, dass die leidigen Einfahrtsbeschränkungen für sie anhaltend vom Tisch sind.
Die Stadt Reutlingen teilt uns prototypisch mit: "Entlang des im Stadtgebiet höchstbelasteten Straßenabschnitts konnte die NO2-Belastung von im Mittel 91 µg/m³ im Jahr 2009 auf 36 µg/m³ im Jahr 2020 mehr als halbiert werden." Und auch ehemals aussichtslose Fälle wie die Stadt Mainz haben dank besserer Werte mehr Spielraum hinzugewonnen. Die von der DUH förmlich belagerte Landeshauptstadt bereitete sich für den Oktober 2020 sogar schon auf Fahrverbote vor, konnte aber doch noch kurzfristig einen Vergleich schließen. Solange deutliche Überschreitungen ausbleiben, reicht vorerst ein Tempolimit von 30 km/h in den Bereichen der Rheinachse und der Kaiserstraße. Für die Zeit nach der Pandemie setzen die lokalen Behörden außerdem auf eine Umweltspur, zuflussregelnde Ampelschaltungen (Pförtnerampeln) und einen verstärkten Ausbau des Straßenbahnnetzes. Einen vergleichbaren Kompromiss wie in Mainz erhoffen sich auch Frankfurt und Düsseldorf, wo die Zahlen noch nicht stark genug gesunken sind, um Fahrverbote final auszuschließen.

Positive Nachrichten zur Entwicklung der Messwerte gab es kürzlich ebenso aus zwei Städten, in denen Fahrverbote verhängt wurden. Die Stadt Hamburg, wo der Spuk Mitte 2018 seinen Anfang genommen hatte, meldete für das Jahr 2020 an allen vier verkehrsnahen Messstationen einen Rückgang von bis zu 15 Prozent.
Stuttgarts berüchtigte Messstelle "Am Neckartor" hat sich beim Jahresmittelwert im Vergleich zu 2019 ebenfalls deutlich verbessert: Laut Umweltbundesamt sank der NO2-Wert im letzten Jahr von 53 µg/m³ auf 38 µg/m³, also unter die magische 40er-Marke. Seit 2010 konnte die Messstation so erstmals die Grenzwerte einhalten. Die "schmutzigste Kreuzung Deutschlands" ist damit auf dem besten Weg zum Musterknaben.
Welchen Anteil der geringere Pandemie-Verkehr und welchen Anteil die Einfahrtsbeschränkungen an den Rückgängen in beiden Städten haben, ist allerdings kaum objektiv zu beziffern. Denn selbst wenn man Entwicklungen aus anderen Städten als Vergleich heranzieht und sogar Referenzwerte aus uneingeschränkten Teilen derselben Stadt hat, erschweren immer noch Variablen wie neue Ausweichrouten und Luftbewegungen die Analyse.
Dies bestätigte kürzlich auch eine Studie der Universität Hamburg, welche anhand von Modellen die schwierige Aussagekraft von Fahrverbots-Messwerten untermauerte. Professor Wolfgang Maennig und Doktorand Eren Aydin zeigten auf, dass "relativ kleine Änderungen bezüglich der analysierten Zeiträume, Kontrollgruppen und Kontrollvariablen zu signifikant unterschiedlichen Ergebnissen führen können".
Sind Diesel-Fahrverbote jetzt noch sinnvoll?

Obwohl das Bundesverwaltungsgericht das dauerhafte Einhalten von Grenzwerten als Entscheidungsgrundlage festgelegt hat, wird in den Diskussionen über die Zukunft der Verbote stattdessen nun immer mehr über die Technik diskutiert. Vor allem in Bezug auf Stuttgart beschäftigen sich die Politiker lieber mit dem Diesel an sich. Der Verkehrsminister von Baden-Württemberg, Winfried Hermann, begründete in den "Stuttgarter Nachrichten" die gewünschte Fortführung der Verbote damit, dass ältere Diesel unabhängig von den Zahlen weiter aus den Städten herausgehalten werden müssen. Laut dem Grünen-Politiker droht sonst eine Verschleppung des Austauschs von veralteten Antrieben. Das bedeutet: Die Einfahrtsbeschränkungen sollen zukünftig nicht mehr nur im Dienste besserer Luft stehen, sondern obendrauf als Waffe gegen Alt-Diesel zweckentfremdet werden.
CDU-Innenminister und Kabinettskollege Thomas Strobl entgegnete, dass die Verbesserungen deutlich zeigten, dass genügend saubere Fahrzeuge auf deutschen Straßen unterwegs seien. Die Verbote hätten somit ihren Sinn verloren. Diese Sichtweise bestätigen auch die Zulassungszahlen des Kraftfahrt-Bundesamts, das den Fahrzeugbestand speziell nach Emissionsklassen aufschlüsselt. Laut KBA machen Diesel-Pkw bis einschließlich Euro 5 momentan zwar noch rund zwei Drittel des Diesel-Gesamtbestands aus, allerdings nahm ihr Anteil seit 2014 kontinuierlich ab. Für Reisemobile sehen die Zahlen ähnlich aus.

In wenigen Jahren werden die massiv schadstoffärmeren Normen Euro 6 und Euro 6d/6d-Temp bei der aktuellen Tendenz die Hälfte der Selbstzünder stellen. Angesichts der jetzt schon eingehaltenen Grenzwerte wird sich die Lage aus technischer Sicht damit immer weiter entspannen. Das Stickoxidproblem ist auch ohne Maßnahmen mit einem Ablaufdatum versehen.
Sinken ab Euro 6 die Emissionen?
Worauf basiert die Annahme, dass ab Euro 6 der Stickoxidausstoß wirklich nachhaltig gesunken ist? Die Umwelt-Dachorganisation Transport & Environment (T&E) hat mit unabhängigen Erhebungen zeigen können, dass die neuesten Diesel-Generationen deutlich sauberer sind. T&E hat dafür im Jahr 2018 den Ausstoß im realen Verkehr gemessen und daraus Durchschnittswerte für jede Abgasklasse berechnet. Während für Euro 4 und 5 Werte von über 1000 mg/km ermittelt wurden, liegt der Durchschnittswert von Euro 6 laut T&E bei 450 mg/km und der Durchschnitt von Euro 6d/6d-Temp bei 80 mg/km. Verantwortlich für den Rückgang sind Speicherkatalysatoren und SCR-Systeme sowie die frühe Umstellung der Pkw-Hersteller auf die seit 2017 gültige Norm Euro 6d-Temp.
Während die aktuellen Diesel also mit immer besseren Werten glänzen können, trat mit den Diesel-Nachrüstungen eine andere große Hoffnung wieder in den Hintergrund.
Nur wenige Besitzer entschieden sich – trotz Zuschüssen durch Hersteller –, ihren Euro-5-Pkw umrüsten zu lassen. Ohne Zuschuss war der aufwendige Umbau auf Ad-Blue-Technik für Reisemobilbesitzer ohnehin kein Thema. Neben der geringen Nachfrage spielte hierbei vor allem das kleine Angebot eine entscheidende Rolle. So gab es im letzten Jahr mit Dr. Pley und Oberland-Mangold nur zwei echte Anbieter für Diesel-Pkw. HJS hatte den Fokus auf Handwerkerfahrzeuge gelegt, und die Baumot Group musste kürzlich Insolvenz anmelden. Das ist besonders für die Besitzer von VW-Dieselfahrzeugen ärgerlich, da das Unternehmen unter dem Namen Twintec eigens für sie Lösungen entwickelt hatte. Die Kunden reihen sich in die lange Liste der Verlierer der Fahrverbote ein – mit weiter sinkenden Werten werden sie aber hoffentlich die letzten sein.
Verschärfte Abgasnormen

Die Verbesserung der Luftqualität steht in Zusammenhang mit einer ständigen Verschärfung der Abgasgrenzwerte für neuzugelassene Fahrzeuge. Seit 1992 gibt es europaweite Grenzwerte für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge. Die Gesetzgebung, die vor fast 30 Jahren mit Euro 1 begann, ist heute bei Euro 6 angekommen. Dabei gibt es je nach Fahrzeugtyp und Zulassungsart im Detail größere Unterschiede.
Für die Mehrzahl der Reisemobile erfolgte ein entscheidender Schritt im September 2019 mit Einführung von Euro-6d-Temp-Fahrzeugen: Erstmals mussten Reisemobile die Grenzwerte nicht nur auf dem Prüfstand, sondern auch auf der Straße einhalten (Real-Drive-Emission), was den Einbau von Ad-Blue-Technik zwingend machte.
Doch auch Euro 6d-Temp ist letztlich nur ein Zwischenschritt. Ab kommendem Jahr müssen alle nach dem Light-Duty-Verfahren homologierten Basisfahrzeuge – also Fiat Ducato und Co. – die Euro 6d-Norm einhalten, die nochmals strenger ist. Das betrifft nicht die Grenzwerte auf dem Prüfstand, sondern die Einhaltung unter realen Fahrbedingungen. Die Abweichung zwischen Laborwert und Praxis darf in Zukunft nicht mehr so hoch sein. Zusammen mit einer überarbeiteten Version des Fiat Ducato werden Reisemobile ab Modelljahr 2022 auf diese Verschärfungen vorbereitet sein.
Der nächste Schritt heißt Euro 7. Für Pkw wird frühestens ab 2025 mit der Einführung gerechnet. Reisemobile sind üblicherweise ein Jahr später an der Reihe. So oder so stehen die Änderungen für Euro 7 noch nicht fest, werden aber bereits heiß diskutiert. Für Käufer wichtig zu wissen: Bei Einführung einer neuen Euro-Norm bleiben zuvor produzierte Modelle während einer Übergangsfrist zulassungsfähig.
Fazit
Kommentar von promobil-Autor Philipp Körner: Wirklich nur Verlierer? Es musste sich etwas ändern, keine Frage. Viel zu lange waren die Verkehrsknotenpunkte auch Schadstoff-Sammelbecken. Selbst die naivsten Verfechter automobiler Freiheit sollten das beim Blick auf die neuesten, stark verbesserten Werte eingesehen haben. Da hilft auch keine x-te Diskussion über Messmethodik, Anomalien oder die Wetterlage.
Der Weg zu den aktuellen Zahlen war jedoch ungerecht, unfassbar bürokratisch und voller Kollateralschäden. Denn: Wie will man Leute zu Verfechtern besserer Luft machen, wenn man ihnen den eh schon mühsam abgesparten alten Diesel unter dem Hintern wegenteignen will? Wie Städte zu Innovationstreibern der Mobilität machen, wenn man sie unaufhörlich vor Gerichte zieht? Und wie technischen Fortschritt fördern, wenn man gleichzeitig Selbstzünder für alle Zeiten in die Schmuddelecke zerrt?
Klar, die Ziele sind fürs Erste erreicht – wenngleich unter Mithilfe der Pandemie. Die Diesel-Fahrverbote selbst hatten jedenfalls kaum Anteil daran. Vielmehr waren es die Erneuerung der Fahrzeugflotte und angepasste Luftreinhaltepläne der Städte.